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King Kong zeigt den Menschen, wo's langgeht

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Die Frau und der Affe”, der neue Roman von Peter Hoeg, enthält Stellen, an denen der Leser innehält und denkt: Ich möchte wetten, daß der Autor zehn Seiten vorher noch nicht gewußt hat, daß es so weitergeht. Vielleicht nicht einmal vor zwei Seiten. So überraschend ist der Haken, den die Handlung plötzlich schlägt. Und so aufgesetzt wirkt der neue Einfall. Das gilt vor allem für das Ende. Denn die Enthüllung, daß sich nicht mir ein einziger Affe in I .ondon herumtreibt, sondern daß es auch noch zwölf gut getarnte sprechende Affen im Fernsehen und an der Universität und im Tierschutzverein und im Landwirtschaftsministerium gibt und daß sie sich plötzlich alle outen, erscheint ihm, dem Leser, denn doch recht starker Tobak.

Aber dieser Peter Hoeg ist ein Naturtalent von Erzähler, einer mit der Fähigkeit, auch noch die ausgefallensten Einfälle in Erzählung umzusetzen. Er beweist ein weiteres Mal, daß die Welt der Erzählung eine eigene Welt ist, eine Welt, in der man alles darf, vorausgesetzt, daß man es kann. Und Peter Heeg kann offenbar alles, was er sich vornimmt. Oder nimmt sich nichts vor, was er nicht kann. Oder doch wenigstens beinahe kann. „Die Frau und der Affe” ist ihm beinahe gelungen. So sehr beinahe, daß viele Leser sie für rundum geglückt halten werden. Vor allem all jene, die zu etwas Nachsicht gegenüber der literarischen Qualität, der Stimmigkeit in sich bereit sind, wenn die Botschaft in ihrem Sinne ist.

Hoeg erzählt nämlich nicht nur eine absurde Geschichte, sondern auch eine in hohem Maß politisch korrekte. Sein Roman spielt in einer Welt, in der eigentlich nur Außenseiter wert sind, daß man sich mit ihnen einläßt, und jeder Schritt auf der Karriereleiter nur ein weiterer Schritt auf dem Wege der Entmenschlichung ist. Und jene, die sich den hehren, den positiven Zielen verschrieben haben, treiben es - eine pessimistische Aussage, aber eine ganz und gar nicht abwegige Beobachtung! - bei Peter Heeg oft am ärgsten.

Das Buch beginnt mit dem Satz: „Ein Affe näherte sich London. Er saß auf einer Bank im offenen Cockpit eines Segelbootes, auf der Leeseite, zusammengesunken, mit geschlossenen Augen und in eine Wolldecke gewickelt”, und damit ist es um den Ijeser geschehen, er kann jetzt eine ganze Weile nicht mehr mit dem Lesen aufhören. Der in bester Science-fiction-Tradition geschriebenen

Exposition folgt nach einiger Zeit eine kleine Durststrecke, auf der die Geschichte etwas an Spannung verliert und leicht durchhängt: Die Heimatlosigkeit der Dänin Madelene in London, wie auch überhaupt unter den Menschen, wird ziemlich breit vermittelt. Natürlich muß sie uns vermittelt werden, damit wir verstehen, warum sie sich so willig vom Affen entführen läßt, aber wir haben schon verstanden und noch immer wird vermittelt.

Übrigens hat wohl auch der geneigte Leser dieser Besprechung längst verstanden, wovon die Rede ist: Von einem umgedrehten, im'Sinne der Gesellschaftskritik vom Kopf auf die Füße gestellten King Kong, einem Affen, der den Menschen zeigen könnte, wo es lang geht, wären sie schon etwas weiter. Da wird freilich die Zivilisationskritik dick und unter ihrem Gewicht die Geschichte etwas platt.

Was alles nichts daran ändert, daß dieses Buch lesenswert ist, auch wenn es noch etwas besser sein könnte. Die Entführung Madelenes durch den Affen Erasmus, den vorher sie entführen wollte, um ihm die geplanten Experimente zu ersparen, ihr Weg durch die Stadt, ihr Idyll im Naturpark: Das bewegt sich zum Teil hart am Rande dessen, was einen Teil der Leserschaft ausrasten ließe, ist aber glänzend erzählt. Immerhin erwartet Madelene am Ende von Erasmus ein Kind, aber zu diesem Zeitpunkt kann er ja längst Englisch und Dänisch.

Bekanntlich gelangte Peter Hoeg mit dem Roman „Fräulein Smillas Gespür für Schnee” plötzlich zu Weltruhm. Wer in seine Gedanken- und Bilderwelt eindringen, seine Obsessionen kennenlernen und die Romane besser verstehen will, sollte auch die Erzählungen des Bandes „Von der Liebe und ihren Bedingungen in der Nacht des 19. März 1929” lesen. Zwar wäre dem heuer Vierzigjährigen mit diesem Band der Durchbruch zum internationalen Erfolg kaum geglückt, doch bestätigen die Erzählungen sein Können, seine erzählerische Potenz. Es handelt sich wohl um ältere Arbeiten, die nun ein internationales Publikum finden, zum Teil düstere, zumTeil verstiegene, zum Teil etwas antiquiert erzählte Geschichten, und zum Teil alles zusammen, düster, verstiegen, antiquiert.

Letzterer Eindruck mag freilich wenigstens zum Teil auf die Erzähl-technik deutschsprachiger Autoren und dadurch entstandene Vorstellungen von Modernität, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können, zurückzuführen sein.

Düsternis und Verstiegenheit darf man aber sehr wohl auch ohne solche Einschränkung der Erzählung „Versuch mit der Dauer der Liebe” bescheinigen, in der eine Physikerin zur Überzeugung gelangt, daß sich die Gefühle der Menschen und die Ereignisse der Vergangenheit ihren Schauplätzen eingeprägt haben und in gespenstischen Versuchsanordnungen rekonstruiert werden können, während ein vor Jahrzehnten als Kind in unsterblicher Liebe zu ihr entbrannter Gärtner jahrzehntelang, auch noch nach totalem Gedächtnisverlust durch einen Kopfschuß, ihren Spuren folgt und ihr immer wieder in die Quere kommt.

Oder der „Geschichte einer Ehe”, die so perfekt ist, daß sie zum Inbegriff der guten Ehe schlechthin erhoben wird und ganz Kopenhagen jahrelang jeden Dienstag durchs Fenster bestaunen darf, wie sich die Glücklichen zum Abendessen setzen, und ein paar Stunden später, wie sie davon aufstehen (dazwischen bleiben die Vorhänge zu), welches Idyll sich freilich als Haßhölle erweist. In ihr schmort in jeder Generation einer der van Austens, weil ein Vorfahr als Schiffskapitän die Nachkommin eines besonders heiligen Inders mißhandelt und vergewaltigt und damit ein schreckliches Karma über seine eigenen Kinder und Kindeskinder gebracht hat.

Oder der „Reise in ein dunkles Herz”, worin der deutsche Kolonialgeneral Lettow-Vorbeck und der Dichter Joseph Conrad, oder, besser, eine Art Karikatur Conrads, in ein Streitgespräch und anschließend einen Hinterhalt afrikanischer Rebellen geraten.

Vieles in diesen Geschichten wirkt abstrus, manche lesen sich wie frühe Fingerübungen. In einigen von ihnen kommen Frauen mit früh beschädigter Persönlichkeit vor, die an die Madelene mit dem Affen erinnern. In etlichen begegnet uns eine Zivilisationskritik, deren biologistischen Ausgangspunkt Hoeg in „Die Frau und der Affe” mit aller Härte preisgibt. Niemand darf das riesige Naturreservat bei London betreten, denn dessen Image soll nicht unter der Erkenntnis leiden, daß „Buntspechte Meisenjunge aus dem Nest stehlen, Ameisenbären Marajungen die Eingeweide aussaugen, Löwen ihren eigenen Nachkommen Gepardenjunge zum Fraß vorsetzen, Zebras ihre Territorien sichern, indem sie Wasserbockkitze massakrieren, Eichhörnchen Hühnerhabichtnester schleifen” - die Menschen sind nämlich, der Leser hat es schon erraten, genauso. Erst Erasmus und die Seinen haben den Menschen überholt und den Sprung zur Humanität geschafft.

Zwar liest man jede Geschichte mit Interesse zu Ende, doch erst im „Fräulein Smilla” fand Heeg jene Figur und Geschichte, die seiner Erzählkunst auch außerhalb Dänemarks das große Publikum verschafften.

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