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Kleine Goethe-Literatur aus Österreich

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Di drei Universitätsstädte unserer Heimat haben alle in würdiger Fora das Ihre zum Goethe-Jubiläum beigetragen: Wien mit der Festschrift des Wiener Goethe-Vereins, Ton Prof. E. Castle im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht herausgegeben (im Osterr. Bundesverlag 1949)t Graz mit dem Bändchen der Steiermärkischen Landesbibliothek; Innsbruck mit dem Almanach des Akademischen Senats der dortigen Universität.

Von der Festgabe Wiens (und Österreichs) ist längst berichtet worden.

Die Grazer Festschrift Jahr der Ehrfurcht. Vier Reden zum Goethe-Jahr* (Leykam-Verlag, Graz-Wien 1949) gipfelt in den Analysen von J. F. Schütz: . W ortkunst und Klangbau in Beispielen aus Goethes .Faust“, erstaunlichen Proben enthusiastischer Einfüh-lungs- und Suggestivkraft. Aber auch die Studien von A. Cloß .Goethe als Naturforscher“, und von A. Graf, .Goethe und die Geschiehte“, sind sehr willkommene Beiträge als fach- und achkundige Uberblicke mit ihren Hinweisen auf Beziehungen österreichischer, besonders stelrischer Gelehrter zu Goethe. (Eine eingehendere Besprechung brachte die Zeitschrift .Der österreichische Mittelschullehrer“, Wien, September 1950.)

Den .Innsbrucker Unlversitäts-almanach auf das Goethe-Jahr 1 9 4 9“ eröffnen zwei gut orientierende und geistvoll geschriebene Essays: der von M. Enzinger, .Goethe und das alte Dsterreic h“, eine Analyse der noch barocken Seelen- und Geisteslage Österreichs zur Zeit der Weimarer Klassik (gekrönt sollte diese Abhandlung einmal werden durch den Erweis der inneren Kongenialität und doch Polarität Goethes und Mozarts, des Faust“ und des „Don Giovanni“); — und der Essay von A. Lesky, „Goethe, derHellene*, worin sich zuerst die Phasen der griechischen Erlebnisse Goethes klar herausstellen, dann aber dem Verhältnis des „Neuhumanismus“ zur Antike (W. v. Humboldts Scheu vor der Desillusionierung), die Goethesche Intuition des wahren Hellenentums gegenübertritt (und dieses sei: „Deutung und Bewältigung einer chaotischen Umwelt durch das Gesetz“).

Die dritte Abhandlung, vonE. Lach mann, .Zur Auslegung von Goethes Gedichten“, wendet sich gegen die bloß biographische Erklärung, die nicht beachte, daß das, was im Gedicht Gestalt wird, keineswegs Abbild des (vielleicht auslösenden) Erlebnisses sei. So deutet der Verfasser auf vielfach interessante Weise die „Urworte“, das Gedicht „Wiederfinden“, die Marienbader „Elegie“, die „Ballade vom vertriebenen und heimkehrenden Grafen“ (die Revolution als „Urphänomen“).

Die drei anderen Studien gelten dem Naturinteresse Goethes. L. Franz, „Goethe als Urgeschichtsforscher“, zeigt, daß es Goethe bei den Ausgrabungen an der Menschengestalt gelegen war, welche die gefundenen Skelette vermuten ließen. Er wollte eine vergleichende Anatomie der Menschenrassen, er sah (rousseauisch) in dem bei Römstedt ausgegrabenen Schädel das letzte Dokument eines „reinen und schönen Naturvolkes“. (L. Franz hat darüber ein eigenes Werk geschrieben: Goethe und die Urzeit“, Innsbruck 1941.) — Die Abhandlung von F. Siegibauer, „Goethes Begriff der Morphologie“, übernommen aus der „Klinischen Wochenschrift“, 1933, bezieht sich vorzüglich (wenn auch nicht ausschließlich) auf die Anatomie. Die drei Prinzipien der Goetheschen Gestaltforschung: Homologisierung (funktionsmäßig entsprechender Körperteile). Idee der Urform, Idee der Metamorphose dieser Urform, und weiter der Gedanke, daß jeder Typus seine Energiemenge (Lebens- und Gestaltungskraft) mitbekommen habe, mit der er haushalten müsse (entsprechend der „loi de balancement“ von Geoffroy de St.-Hilaire), werden darin (mit Zustimmung) entwickelt und mit den Ergebnissen der damaligen wie der modernen Forschung (bis zu kretschmers Konstitutionstheorie) zusammengestellt. (Eine wertvolle Ergänzung der Grazer Arbeit von A. Cloß und der eingehenden Begriffsanalyse von F. Weinhandel, „Goethes Morphologie“, in der „Wiener Festschrift“.) — In der letzten Studie, von J. H. Rille, „Goethe e n t-decktinSüdtiroleineneueKrank-heit“, die Pellagra nämlich, eine Mangelseuche, deren Symptome er bei den „welschen Tirolern“ südlich des Brenners — im Vorüberfahren — richtig beobachtet und mit einer gewissen Berechtigung auf das fast ausschließliche Essen von Polenta zurückgeführt habe, erfährt der Leser von einem Spezialisten auf diesem Gebiet die ganze Geschichte der Pellagraforschung, an der schon die altösterreichische Regierung ihr Verdienst hatte.

Eine kaum bekannte Seite der Beziehungen Altösterreichs zu Goetne eröffnet sich nun aber, außerhalb der Festschriften, in dem sehr gut geschr:ebenen, sehr gut gedruckten und mit Bildern ausgestatteten kleinen Buch von Alfred Orel, „Goetha alt Operndirektor“ (Eugen-Ruß-Verlag, Bre-genz 1949): der große Anteil nämlich, den Wiener Singspiel und Oper, den Gluck, Dittersdorf, Mozart an dem Repertoire des Weimarer Hoftheaters gerade unter Goethe Leitung hatten. Von den zwischen 1791 und 1817 aufgeführten Opern stehen an der Spitze: „Die Zauberflöte“ (82), „Don Juan“ (68), „Die Entführung aus dem Serail“ (49 Aufführungen), dann folgen neben italienischen Opern die Stücke von Dittersdorf und wieder Mozart-Opern. Aber auch Wiener-Vorstadt-Spiele, zum Teil Vorbilder oder Nachahmungen (stofflich) der „Zauberflöte“ (welche, „Höhepunkt des deutschen Singspiels“, „eben durchaus Wiener Volksstück“ sei), fanden, In leichten Umarbeitungen durch Vulpius, offenbar großes Gefallen beim Weimarer Publikum und Gnade bei Goethe, so „Das Sonnenfest der Brahminen“ (von Hensler und Wenzel Müller) oder „Kasperl, der Fagottist“ (von Parinet und Müller) unter dem Titel „Die Zauberzither“, sogar „Das Donauweibchen“ (von Hensler und Kauer), umbenannt in „Die Saalnixe' (mit 26 Aufführungen). Erst hinterher reiht sich Goethes eigenes Singspiel „Jery und Bätely“ (mit 24 Aufführungen) ein. — Die Weimarer Bühne gehört „offensichtlich zur Wiener Einflußsphäre“. — Darauf folgt aber noch die Darstellung der .musikalischen Seite“

in Goethes geistiger Entwicklung überhaupt: seiner Versuche zuerst, von der Dichtung her zu einem deutschen Singspiel zu kommen (die wenig geachteten heiteren Spiele Goethe haben darin ihren geistesgeschichtlichen Sinn); seiner Vorliebe für Glucksche Musik, die .dem rationalistischen Erbe in Goethe am nächsten stand“; der Kapitulation dann des reflektierenden Dichter (mit .Claudine von Villa Bella“) vor dem .Theatergenie de Komponisten' (vor Mozarts „Entführung au dem Serail*); seiner sorgsamen Regie der „Zauberflöte“, des Stückes, mit dem Mozart „endgültig das Weimarer Theater erobert' und „die Ära Dittersdorf“ abgeschlossen habe (siehe Goethes eigene Notiz dazu in der „Kampagne in Frankreich“) usw.; schließlich auch seines oft gerühmten und doch so seltsamen Wunsches (gegen Ende seines Lebens): „Mozart hätte den .Faust' komponieren müssen“, und zwar .im Charakter des ,Don Juan' “. — So wenig wollte Goethe sehen, welch weltverschiedene Gestaltung die beiden großen Mythen der beginnenden „Neuzeit“ (wie Kierkegaard die Sagen von Don Juan und Faust genannt hat) bei Mozart und bei ihm selbst gefunden hatten (ganz abgesehen von dem formalen Gegensatz: Faust-Dichtung und Mozart-Libretto). — Orels Buch wird vielen Freude machen.

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