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Kleine und große Piper-Bücher

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Wir haben die kleinen Piper-Bändchen so oft gelobt, daß es schwer fällt, eine neue Variation des Lobes zu finden. Warum Eulen nach Athen tragen? Wir dürfen uns also ruhigen Gewissens darauf beschränken, hier die vierzehn im vergangenen Jahr erschienenen Bändchen kurz vorzustellen (Nr. 103 bis 116).

Die Gegenwartsliteratur ist mit Franz W e r f e 1 s „Trauerhaus“, mit Wilhelm Hausenstein? „Traum vom Zwerg“ und dem „Zärtlichen Betrüger“ von Max B e e r b o h m (einer Uebertragung aus dem Englischen, mit reizvollen Zeichnungen von Regina Ackermann) gut vertreten. Aus dem Reisebuch „La vie errante“ von Guy de Maupassant wurde sehr einfallsreich eine Auswahl getroffen: „Unterwegs nach Kairouan.“ Das Büchlein ist geschmückt mit Zeichnungen dreier Künstler: Eugene D e 1 a c r o i x, Rene B e e h, August Macke, die Nordafrika 1832, 1911 bzw. 191*4 besuchten

Die Erzählungsbände werden trefflich ergänzt durch zwei kleine Lyrikanthologien. „Unter dem sapphischen Mond“ heißt eine Auswahl aus der deutschen Frauenlyrik seit 1900 von Oda S c h a e-f e r. die alphabetisch von Ingeborg Bachmann und Emmy B a 11 - H e n n i n g s bis zu Silja Walter und Maria-Luise Weißmann reicht. Der Band „Ein weißes Kleid — ein grau Gebände“ enthält alte chinesische Lieder aus dem 12. bis 7. Jahrhundert v. Chr., übertragen von Günther D e b o n. Wieviel ursprüngliche Kraft steckt in ihnen/

Die „Aegyptischen Bildnisse“, ausgewählt von Kurt Lange, zeigen, wie hervorragend sich gerade Plastiken in kleinem Format wiedergeben lassen, während Bilder, vor allem Gemälde, leicht verzerrt und in den Farbwerten verfälscht erscheinen können. Der deutschen Malerei der Gegenwart sind gleich drei Bändchen gewidmet: „Max Beckmann — Der Maler“, 46 Abbildungen, ausgewählt von Erhard Göpel (eine willkommene Ergänzung zu „Max Beckmann — der Zeichner“; das graphische Skelett der Bilder kommt der Schwarzweißwiedergabe sehr entgegen), Emil Nolde, „Aquarelle“ (16 Tafeln, Nachwort von Günter Busch), und Fritz W i n-ter, „Triebkräfte der Erde“ (16 Oelblätter, Einführung von Werner H a f t m a n n). Den deutschen Abstrakten gegenüber sind wir etwas skeptisch — gerade diese Auswahl von Winter aber vermag uns zu überzeueen. — Die letzten beiden Bände sind in Farben: die Wiedergabe erreichte eine hohe Qualität. — Noch zwei weitere, sehr eigenartige Farbbände haben wir anzuzeigen. „Dank in Farben -Aus einem Künstlergästebuch“ enthält Zeichnungen und Aquarelle sehr berühmter Gäste (u. a. Klee und F e i n i n g e r), die sich im Gästebuch Alfred und Thekla Heß' in Erfurt verewigt haben. Dank in Farben? Wir müssen uns hier darauf beschränken, dem Verlag in Druckerschwärze zu danken! — „Jazz“ von Henri M a t i s s e enthält mit der Schere „gezeichnete“ Blätter, .die Matisse aus Buntpapier ausgeschnitten und geklebt hat Noch reizender sind vielleicht die Blätter Paul F1 o r a s in „Menschen und andere Tiere“, die wir aus Anlaß der Flora-Ausstellung in der Galerie Würthle in Wien bereits ausführlich gewürdigt haben. — Nicht gelungen erscheinen uns dagegen die „Imaginären Porträts“ von H. F r o n i u s.

Nun zu einigen größeren Werken aus dem Verlag Piper. ,i . , .

Im vergangenen Oktober ist im Alter von 95 Jahren der belgische Architekt Henry van de Velde in Zürich gestorben. Er war der letzte Vertreter der Pioniergeneration, die in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ihren Kampf gegen die plüschenen, gipsenen und gußeisenen Vorurteile des damals herrschenden, so gar nicht „gesunden“ Volksempfindens begann — um bald von einer zweiten, radikaleren Generation in ihren Bestrebungen überflügelt zu werden, einer Generation, die endgültig mit dem Ornament, auch dem des Jugendstils, brechen sollte. Aus den Schriften van de Veldes hat der bekannte Kunstkritiker Hans C u r j e I für Piper eine sehr informative Auswahl getroffen und eine kluge Einleitung geschrieben. (Henry van de, Velde. „Zum neuen Stil“. 260 Seiten mit 16 Tafeln und Bibliographie. Preis 8.80 DM.)

Abgeschlossen liegt nun das Unternehmen vor uns, die „Kunst des 20. Jahrhunderts“ in drei Bänden darzustellen. Den ersten Band, der im Frühjahr 1957 herauskam, haben wir in der „Furche“ bereits eingehend besprochen Der zweite Band, der die Plastik behandelt, war uns dagegen eine große Enttäuschung. Entscheidende Erscheinungen, wie etwa Brancusi und Arp, werden unzureichend behandelt. Von Hermann Blumenthal und Edwin Scharff zum Beispiel findet man mehr Abbildungen als von Werken Brancusisl Ueberhaupt scheint es sich bei diesem Band fast ausschließlich um eine Geschichte der deutschen Plastik zu handeln. Kein einziger der großen Oesterreicher wurde berücksichtigt. Auf Anhieb könnten wir ein gutes halbes Dutzend Namen nennen, die mit mehr Berechtigung in diesem Band stehen sollten als die sehr braven Blumenthal und Scharff. Daß der österreichische Beitrag so konsequent übersehen wurde, ist nicht mehr mit Ahnungslosigkeit zu entschuldigen; das läßt sich nur durch Absicht oder die bekannte deutsche „Großraumpolitik“ oder beides erklären. — Es tut uns leid, daß wir das in aller Offenheit sagen mußten. Aber wir hatten keine Freude an diesem Band. — Geglückt ist die Ergänzung durch die Graphik berühmter Plastiker am Schluß des Bandes. („Die Kunst des 20. Jahrhunderts.“ Herausgegeben von C. G. Heise. 2. Band: Plastik. Von Hans Platte. 300 Seiten mit 121 Abbildungen. Kunstdruckpapier, Preis 15.80 DM.)

Am deutlichsten läßt sich der Zeitgeist einer Epoche wohl aus seinen Bauwerken und den Geräten des täglichen Lebens ablesen. Sind solche Zeugnisse in so beispielhafter Weise gesammelt wie von Wend Fischer für den dritten Band der Reihe, der sich mit Architektur und Kunsthandwerk beschäftigt, dann kann man aus ihm mehr entnehmen als aus einem mehrbändigen Geschichtswerk. Wer Augen hat zu sehen, sieht hier auf engstem Raum — zwischen zwei Buchdeckeln — das Gesicht seiner und der jüngstvergangenen Epochen. Sieht er dann die ihn umgebende Wirklichkeit, so ist sein Blick geschult für das Wesentliche. Er mißt fortan an den repräsentativen Beispielen seiner Zeit — und verwirft, was ihnen nicht standhält: die kasernen-haften Wohnbauten und die protzigen Managerpaläste. Sie sind geistlos, weil zeitgeistlos. (Der schönste, klarste, gelungenste Band der Reihe „Die Kunst des 20. Jahrhunderts“: „Bau, Raum, Gerät.“ Von Wend Fischer 288 Seiten mit 185 Abbildungen. Kunstdruckpapier Wir vermissen nur einen alphabetischen Namensindex! Preis 15.80 DM.)

Aldous H u x 1 e y s Studie „Himmel und Hölle“ schließt an sein Buch „Die Pforten der Wahrnehmung“ an. in dem er seine Erfahrungen mit dem Rauschgift Meskalin niederlegte: wie dieses ist es brillant geschrieben, aber mit Vorsicht zu genießen.

Starke Drogen sind nicht für jedermann. Vier Zehntelgramm Meskalin genügen, das Bewußtsein zu verändern. Mystik aus der Retorte? Die Frage Hux-leys geht dahin: Kann der Körper die Wirkstoffe, die zu Visionen oder wie Huxley sagt, zu „religiöser Erregung“ führen, selbst erzeugen? War das in früherer Zeit durch die strenge Befolgung von Fastenübungen, Geißelungen usw. der Fall? Ist das Meskalin dafür heute ein entsprechender Ersatz? Offene, zum Teil nicht ganz richtig gestellte Fragen. Eines steht sicher fest: Huxley hat, wie er bekennt, auch durch Meskalin keine Visionen gehabt. Die Bewußtseinsveränderungen, die während des Meskalin-rausches eintreten, ähneln eher den Symptomen von Geisteskrankheiten. Huxley geht es im letzten nicht um „Himmel und Hölle“, also um ein Jenseits, sondern um eipe Erweiterung unseres Bewußtseins. Um mystische Erfahrungen zu machen, bedarf es aber, ganz banal gesagt, einer bereiteten Seele. Jede Fastenübung, Jede Pilgerschaft diente der Vorbereitung der Seele. Besteht diese psychische Bereitschaft, diese Erwartung der Seele nicht, so müssen alle Erlebnisse, in welchem Bewußtseinszustand immer sie gemacht werden, sinnlos und undeutbar erscheinen (96 Seiten).

Eine Sammlung höchst amüsanter Feuilletons (in Prosa und gereimt) ist Rudolf Hagelstanges neuer Band „How do you like America?“, Impressionen eines Zaungastes in der Neuen Welt. Das interessanteste Kapitel: das über Ezra Po und; das herzlichste: das Wiedersehen mit dem alten Freunde Arnold; das rührendste: der Besuch bei den schwarzen Baptisten (144 Seiten).

Andreas Okopenko beweist in seinem ersten, bei Piper erschienenen Gedichtband, daß er zu den wenigen Lyrikern deutscher Sprache gehört, die nicht nur von der Sprache leben, sondern sie auch um neue Ausdrucksmöglichkeiten bereichern. Bei ihm ist in einmaliger Weise das halbbewußte Welterleben iunger Menschen in der Pubertätszeit, das Ineinander von Sinneseindrücken und Wunschvorstellungen. Wort geworden. (Andreas Okopenko: „Grüner November.“ Gedichte. 80 Seiten. Preis 7 DM )

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