6570660-1950_18_11.jpg
Digital In Arbeit

Kleine Welt in der großen

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt zweierlei Bühnen, solche mit lebenden Mensdien und andere, kleinere mit Puppen. Ist die Puppenbühne nun mehr als nur ein Ersatz des Menschentheaters, der doch in einer Zeit, da es schon in jedem Marktflecken ein Kino gibt, völlig überholt wäre? Nur wenn uns diese kleinen Theater ein besonderes Stück unseres eigenen Lebens, unserer eigenen Daseinsverflochtenheit vorführen, das in gleicher Anschaulichkeit und Stärke weder das Buch noch die große Bühne wiederzugeben vermag, haben die Puppenbühnen auch heute über den Bereich des Kindes hinaus Berechtigung.

Doch werden wir uns der Eigenart des Puppentheaters bewußt! Sind es verkleinerte Menschen, die sich da vor uns bewegen? Sie sehen etwa so aus und gehaben sich ungefähr so, doch eben in dem etwa und ungefähr steckt der Unterschied. Die Handpuppe des Kasperltheaters, beschränkt auf die Bewegung von drei Fingern, ist ein vermummtes Stück des menschlichen Körpers, nichts als die Bewegung dieser Finger, sie kann nie das Abbild des ganzen Menschen sein. Die Marionette hat reichere Bewegungsmöglichkeiten, der Spieler muß sich in seiner Einwirkung mit dem Ziehen der Drähte begnügen. Sie erscheint uns als ein weitgehend in sich abgeschlossenes, eigenes Wesen. Aber als ein verkleinert menschliches? Keineswegs.

Die Marionette kann hundert Dinge treiben, die dem menschlichen Darsteller versagt sind, sie vermag die Glieder zu verrenken, komisch oder vielleicht auch in einer seltsamen Anmut, es ist ihr möglich, Sprünge auszuführen, die dem Tänzer verwehrt bleiben, sie fliegt durch die Luft, läßt sich so jämmerlich tot schlagen wie nie ein Mensch und hüpft noch mit abgeschlagenem Kopf fröhlich herum. Damit aber wird die Marionette zu einem Wesen, das seine eigenen Gesetze hat. Wenn wir die Gliederpuppe nicht mehr als einen verkleinerten Mensdien auffassen, stört uns keineswegs der sonst so auffällige Widerspruch zwischen der Kleinheit der Gestalt und der vollen, kräftigen Stimme, es befremdet uns nicht, daß Kopf und Hände sich vor allem dann auffällig bewegen, wenn die betreffende Marionette zu sprechen scheint, und wir stellen durchaus nicht fest, die rasselnde große Kerkerkette müsse eigentlich eine kaum hörbare; filigrane sein. Und schon gar nicht tadeln wir die Bewegungen, die zweifellos steif, hölzern,' vielfach eckig und abgehackt sind. Nur im Vergleich mit der menschlichen Bewegung ist dies ein Nachteil. Lösen wir uns aber von dieser Vorstellung, so werden sie zum Ausdruck des Puppenwesens, wie' ebenso die Fähigkeit des Fliegens oder des Herum-laufens ohne Kopf. Die Marionette ist uns scheinbar ähnlich und erweist.sich doch als etwas gänzlich anderes. Sie besitzt einen Reiz, der nicht ohne Geheimnis ist.

Es kommt sogar dazu, daß für die Bühnendarstellung vereinzelt der Gliederpuppe gegenüber dem Menschen der Vorzug gegeben wird. Heinrich von Kleist spricht in seinem bekannten Aufsatz über das Marionettentheater davon, daß in einem mechanischen Gliedermann mehr Anmut enthalten sein könne als in dem Bau des menschlichen Körpers. Er zeigt auf, welche Unordnungen in der natürlichen Grazie der Menschen das Bewutßsein anrichte. Grazie, meint er, erscheine in demjenigen menschlichen Körperbau am reinsten, der entweder gar kein oder ein unendliches Bewußtsein habe. So konnte es kommen, daß Gordon Craig, der englische Erneuerer des Bühnenbildes, die Marionette gegenüber dem Schauspieler als das vollkommenere Mittel der Theater-kunst pries. Und der Russe Brjusson erhob die Forderung, man möge die Menschen der Bühne durch lebensgroße Gliederpuppen ersetzen und ihnen Grammophone einbauen.

Filme von starker seelischer Wirkung haben immer wieder mit Großaufnahmen gearbeitet, in denen wir übergroß das menschliche Gesicht mit dem Widerspiel der Gefühle bis in seine zartesten Regungen sehen. Der Kopf der Marionette ist winzig klein, er hat einen stets gleichbleibenden, unbeweglichen Gesichtsausdruck und entbehrt damit aller Möglichkeiten des Mimischen. Der wichtigste Zeiger des Seelischen, das mensdiliche Antlitz, ist starr. Damit wird es von vornherein unmöglich, diesen seltsamen Wesen ein Seelenleben zuzuweisen von der Vielfalt und Eigenart des wirklichen Menschen. Das Theaterstück für den lebenden Schauspieler bietet einen gewissen Reichtum seelischer Einzelzüge in einer auf das jeweils Wesentliche gedrängten Zusammenfassung. Das ist der Marionettenbühne verwehrt. Wirken diese Gestalten nun lediglich wie ein Mechanisches, Lebloses, Unorganisches, das sich da gespenstisch bewegt? Etwas davon spüren wir gewiß, doch schließt dies nicht den Eindruck einer starken Beseeltheit aus. Allerdings ist es nicht unsere Seele, sondern eine andere, eine uns seltsam fremde und doch wieder sehr vertraute. An Medien im Trancezustand beobachtet man nicht nur die Gesichtsstarre der Marionetten, sondern auch ihre Bewegungen, und von Werner Krauß wird ein gleiches berichtet, wenn er die Besessenen des Strindberg darstellt. Wir geraten durch die Marionette in Bereiche, die jenseits unserer scheinbar so eindeutigen Sinnenwelt liegen. Weist uns das Mechanische dieser Puppen zwar in Gebiete des Abstrakten, so ist hier aber das Abstrakte seltsam reich vielfältigsten Gefühls. Dies ist kein Widerspruch, wem hat nicht etwa die abstrakte Welt der Kristalle, jenseits allem Verstandlichen, schon einmal Tieferes aufgetan?

Wir haben von unseren Geschäften, von der Zeitung her, die wir vielleicht gerade vordem aus der Hand legten, einen ganzen Erdkreis im Kopf und sollen uns mit einemmal einengen auf dieses Nichts an Bühne? Es ist, als müßten wir die Welt plötzlich durch ein Nadelöhr ansehen. Bringt man nun vielleicht damit unser Dasein auf eine letzte Formel, die das Unüberscliaubare übersichtlich, das Verworrene klar und einfach macht? Die Puppenbühne hat eine Vorliebe für die Wiedergabe von Gewittern mit peitschenden Regengüssen, mit Blitz und Donner, für die Darstellung von Vulkanausbrüchen mit mächtigen Feuergarben und Rauch. Die gewaltigsten aller Naturerscheinungen werden uns in einem Theaterchen vorgeführt, das ein paar Handspannen breit ist. Das Ungeheure, Bedrohliche, Ängstigende, Menschenverschlingende ist von niedlicher Geringfügigkeit und noch das titanenhafteste Streben erscheint uns zwergenhaft klein. Kann man uns das Ameisenhafte unseres Seins sinnfälliger dartun? Gehören aber nicht ebendrum die vermessenst ausgreifenden Taten auf dieses allerkleinste Theater? Es bedarf nun keiner weiteren Begründung mehr, daß die Marionettenbühne lediglich wenige Menschentypen allgemeinster Art gebrauchen kann. Sie stellt überhaupt nur das im weitesten Sinn Menschliche dar, das Menschliche aber sichtbar eingeflochten in außerverständlich Bezogenheiten, ins Metaphysische, weshalb es, als ihr Ausdruck, auf diesen winzigen und doch weltbedeutenden Brettern so viel Legendenfiguren, Fabelgeschöpfe und Geister, Zauberer und Märchengestalten gibt. Wird aber nun damit nicht eigentlich Dichtung in einem viel tieferen Sinn möglich, als es der heutige Dramatiker auf dem Theater der lebenden Schauspieler meist bietet? Doch glauben wir, der eigentliche Dichter“ der Gliederpuppe ist uns noch gar nicht geschenkt worden.

Läßt uns die Marionettenbühne in all ihrer Kleinheit Weltzusammenhänge ahnen, die durch das gesprochene Wort doch des Verstandlichen nicht völlig entbehren, so bietet die Teschnersche Figurenbühne mit ihren Pantomimen im ansonst gleichen Bereich eine fast ausschließliche und sehr unmittelbare Gefühlswirkung. Die von unten an Stäben geführten Figuren sind in ihren Bewegungen von vollendeter Anmut, wir gewahren ein Gleiten und Sdiwingen der Gliedmaßen und Gestalten, das sich unermüdlich wiederholt, obwohl die Auftritte, dem Handlungsgang nach, rasch vorübereilen könnten, verhalten sie, wir achten der Zeit nicht, eine weltferne Musik umfängt uns, wir werden vpn diesen filigranen Wesen in ein Zauberreich entführt, das sich uns mit tiefer Beglückung als eine sehr mächtige Wirklichkeit unserer Seele zu erkennen gibt.

Marionettentheater und Figurenbühne, wir danken ihnen Erlebnisse, die so tief und stark 6ind, daß wir sie nicht missen wollen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung