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Kleiner Wienerwald-Spaziergang

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Nach langer Zeit fahren wir wieder einmal hinaus in den Wald vor unserer Stadt...

Es sind nicht viele Ausflügler in der Straßenbahn, und bei der Endstation verlieren sich diese wenigen bald in verschiedenen Richtungen. So wandern wir allein auf den Wegen, auf denen sonst immer ganze Prozessionen dahinzogen, und wir sind froh darüber, denn es bt für uns ein Wiedersehen mit dem Wald nach langer Zeit, und bei so einem Wiedersehen ist man lieber allein. Wenn man einen lieben Bekannten nach langer Zeit wieder sieht, so freut man sich — wir freuen uns, daß wir unseren Wald wieder sehen dürfen, denn auch er ist unser lieber Freund.

Eine Tafel ist auf einem Baum hinaufgenagelt und darauf steht zu lesen, daß Papierabfälle, Apfel- und Orangenschalen, leere Sardinenbüchsen und Bierflaschen, Knochenreste und Wursthäute den Wald nicht schöner machen und daß der gute Wanderer diese Dinge wieder schön brav mit heim nehmen soll. Man ist heute ein großer Matenalist geworden und als solcher steht man vor dieser Tafel, denkt an sein Stückerl trockenes Brot im Rucksack und träumt das schöne Märchen: Es war einmal... J

Das kleine Bankerl mit den vielen eingeschnittenen Herzen lädt uns zur Rast ein — es ist morscher geworden und es ächzt, als wir uns darauf niederlassen. Mitzi und Franzi 1926, Erni und KarH im großen Herz — was mag aus euch allen geworden sein? Aber singt dort oben in den Ästen des alten Baumes mit der verblaßten roten Markierung nicht ein Vogel sein Lied vom neuen Frühling?

Und auch die Aussichtswarte, wo sonst immer der alte Mann um 10 Groschen sein Panorama verkaufte, steht noch. Nur der alte Mann ist nicht mehr da. Und es ist seltsam, daß man sich manche Dinge in der Erinnerung so verwachsen mit dem Menschen aufbewahrt hat, daß sie einem dann nur halb oder unvollständig scheinen, wenn dieser Mensch nicht da ist oder nicht mehr da ist.

Seitab vom Wege wachsen einige Felsen aus der Erde, so wie sie in den Alpen wohl zu Abertausenden unbeachtet liegen. Hier im Wienerwald aber stellen sie für den .Wiener Kletterer die Schule dar, wo er sich das Rüstzeug für die großen, steilen Wände des Hochgebirges holt. Die roten, blauen, grünen und gelben Punkte weisen ihm den Weg oder zeigen ihm an, daß er, wenn er diesen Griff und diesen Tritt benutzt, schon wieder auf einem ganz anderen Steig klettert. In einer Tausendmeterwand spielt so etwas natürlich keine Rolle — aber auf diesen kleinen Wänden ist so ein Vorkommnis ein grober Verstoß gegen die alpine Regel und darauf wird auch hier sehr viel gehalten.

Die Jausenstation, deren Nähe in fünfunddreißig, zwanzig, zwölf und fünf Minuten uns schon seit langem die Wegweiser ankündigen, ist leer. Die Tische und Bänke sind arg verfallen und eine tiefe Stille liegt um das Haus. Der Wirt bringt uns persönlich die Schale schwarzen Kaffees, und während wir in Gedanken darin umrühren, träumen wir von den Zeiten, wo hier wieder Lustigsein und Lachen und strahlender Sonntag sein wird.

Es wird dämmrig und wir blicken von unserem Berg noch einmal ' auf die große Stadt hinunter, deren Häuser nun immer mehr und mehr zu einem wesenlosen Grau werden. Einzelne Lichter flammen auf, und wir freuen uns darüber, denn auch in diesen, früher unbeachteten, Dingen sehen wir jetzt das Glück einer Welt des Friedens.

Und dann sind wir wieder in der Straßenbahn eingepreßt in die Menge, es ist ein Schieben und Stoßen, und unsere Rucksäcke erregen allgemeines Ärgernis, ganz gleich, ob wir sie nun auf den Boden stellen oder in der Hand halten oder auf dem Rücken lassen, denn ein Rucksack ist heute ein Ding, das immer Ärgernis erregt — ob er nun Kartoffel oder nur eine alte Windjacke und ein Sträußchen Frühlingsblumen beinhaket, das bleibt sich gleich.

Ein Tag geht zu Ende. Wir sind froh und so glücklich — ein Strahl vom Leuchten des Frühlings ist auch in unser Herz gedrungen.

Aus Gemüt und Streben jedes einzelnen baut sich jener Geist der Zeit zusammen, der die Tat gebiert, die Tat und das Antlitz des Jahrhunderts, oft des Jahrtausends — keiner tat die Tat und formte das Antlitz, aber alle taten's, wenn sie auch dann vielleicht dastehen und staunen — das Blut, der einfach rote Balsam, strömt fröhlich durch alle Adern des ganzen Körpers und ahnt nidit, daß ers selbst dies Wunderwerk von Körper aufgebaut hat: das Volk, das hier jubelnd strömt, jeder seinem Zwecke, meist dem der Freude dienend, dieses Volk baut rastlos emsig in Kindern und Kindes-Kindes-Kindern an einem Baue, den es nidit kennt, nach einem Plane, den es nicht weiß — sie bauen unermüdlich fort, und stürzt einer, so steht schon wieder ein anderer mit Hammer und Kelle an seinem Platz und sputet sich — und wenn der Bau fertig ist, so staunen die einigen, die eben zugegen sind! Dann geht einer hin und erzählt in vielen Blättern, wie das alles gekommen ist, aber auch er weiß es nidit. — Weise Denker waren bei dem Baue, aber, audi sie konnten nur Teile sehen und bestimmen. — Wer das Ganze anbefahl und überwadite, den hat noch nie ein Auge gesehen!

Adalbert Stifter

Aus dem Aufsatz „Aussicht von der Spitze des Stephansturmes“

Der Gralssuclier

Wo bist du, heiliger Gral

meiner glühenden, nie gestillten Sehnsucht?

In der Irre gehe ich

seit undenklicher Zeit,

und die Jahre meiner Wanderschaft

werden stiller und stiller,

und leise, ganz leise, nur mehr vernehmba

in sternenbeglückten Nächten,

spricht die unselig heilige Hoffnung,

dich zu finden in mir!

Aus den Glocken meiner Kindheit, die mir ferne klingen, erhöre ich dich;

aus Kinderaugen, die wie Perlen glänzen,

ersehe ich dich;

und in dem tiefen Gedenken

an alles, was ich liebte,

ersehne ich dich!

Oh, ich bin einsam!

Denn die uferlosen Fernen, die um mich sind,

schweigen und schweigen!

Und wenn eineT an mir vorübergeh*.

senke ich tiefer das Haupt,

daß er nicht sähe,

wie tränenumfeuchtet mein Blick!

Es rauschen die Meere;

von stummsteinernen Wänden

stürzen die Wasser zu Grund;

ich .aber schreite und schreite---,

'mmer und immer zu dir---1

Heinrich Teufelauer, Vorchdorf, O.-ö.

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