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Kleintheaterprobleme

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Nehmen wir es vorweg: Die große Zeit der Wiener Kleinbühnen ist vorüber. Und sagen wir es rundheraus, daß unser „rückständiges Wien“, wo man im Theater lieber theaterspielen sieht und findet, daß in einem den dramatischen Forderungen entsprechenden guten Stück Problem und dramatische Kraft einander nicht ausschließen müssen (da man zum Zwecke der reinen Diskussion und Belehrung über Themen der Philosophie und Theologie, der Psychologie und Soziologie besser die Universität oder die Volkshochschule als das Theater aufsucht) für eine literarisierende Theateravantgarde nie ein idealer Boden war. Man hatte dies in einer Zeit, da nachzuholen war, da der Anschluß an Europas Geist zurückgewonnen werden mußte, nur übersehen — oder besser: es war damals jedes Mittel recht.

Als nach dem Kriege, da das Gemäuer wie der Geist unserer großen Bühnen noch arg bombenbeschädigt war, diese kleinen Unternehmungen wie Pilze aus dem Boden schössen, ein ambitioniertes und engagiertes Theater forcierten, und mit modernen Stücken ein intensives, lebendiges und mutiges Zeitbild demonstrierten, war man des Lobes, der Ermunterung, des Wohlwollens voll. Es war eine Zeit, da Stücke von Sartre, Anouilh, Giraudoux, Thorn-ton Wilder und Chrystopher Fry nur an den kleinen Bühnen und sonst nirgends zu sehen waren; es war eine künstlerisch äußerst lebhafte Zeit, da die jungen Autoren der Kriegs- und Nachkriegsgeneration ihre Erstlingswerke vorstellten — und man war froh, sie zu sehen —, es war eine Zeit, da in den Kellerensembles Schauspieler spielten, die heute am Burgtheater und am Volkstheater, in Düsseldorf und in Hamburg Erfolg haben. Es war eine goldene Zeit der kulturellen Ambition, des schöpferischen Fragments, des guten Willens, da man auch über Unvollkommenes beglückt war — es waren Flitterwochen mit dem Experiment.

Diese Flitterwochen sind zu Ende. Sie sind einem rauhen Alltag gewichen, der der jugendlichen Illusion feindlich gesinnt ist, da einzig und allein die Leistung gilt. Die Beurteilung ist schärfer geworden, den Seitensprüngen jugendhafter Romantik unzugänglicher, die Forderung nach Qualität ist in den Vordergrund gerückt. Die Kellertheater aber blieben auf der Strecke. Was Symbol einer unter das Niveau des Bürgersteiges hinabgestiegenen, von gutem Willen und keimenden Talenten entfachter Auflehnung war, ist zum Symptom der Ratlosigkeit geworden, denn nun heißt es, vom „schwarzen“ Theater auf das Theater schlechthin umzustellen, von der „Literature engagee“ auf die Literatur.

Die Folge davon ist eine gewisse Desorientierung, die in unsere Theaterkeller eingezogen ist; sie äußert sich in einer oft bedrohlichen Konzeptlosigkeit und in einer Unzahl äußerst problematischer Aufführungen. Die Kleintheaterdirektionen haben die Gewohnheit an-genommi, mit dem „Mangel“ zu argumentieren: mit dem Mangel an geeigneten Stücken, niit dem Mangel an Schauspielern und Regisseuren, mit akutem Geldmangel. Und sie verstehen ihre Schwierigkeiten und unüberwindlich scheinenden Handikaps so treffend und drastisch ins rechte Licht zu setzen, daß sie damit ein nicht minder treffendes und drastisches Gegenargument heraufbeschwören, die nüchterne Alternative, daß angesichts solcher Umstände die Kleintheater eben schließen mögen. Beide aber, Argument wie Gegenargument, sind für die wirkliche Situation der einzelnen Bühnen nicht ganz zutreffend. Sie mögen bestenfalls als generelles Symptom gelten, sind aber nicht unbedingt typisch, denn trotz aller Schwierigkeiten gibt es, in der „Courage“ etwa, in der „Tribüne“ und selbst in dem nicht sehr zufriedenstellenden Parkring-Theater, immer wieder gute, oft sogar sehr gute Leistungen. Von den Problemen wird immer nur dann gesprochen, wenn — durch Unfähigkeit verursacht — etwas schiefgeht; geht einmal etwas gut, dann wird es als Beweis dafür, daß man Schwierigkeiten überwinden kann, zuwenig beachtet; man spricht dann von „Ausnahmefällen“.

Im Grunde steht den Kleintheatern trotz Abwanderung und Ensembleschwierigkeiten nach wie vor eine Reihe guter, zum Teil sehr guter Schauspieler und ambitionierter, begabter junger Regisseure zur Verfügung; die Schwierigkeiten der Stückauswahl sind beträchtlich und innerhalb der Situation aller deutschsprachigen Bühnen allgemein, ohne indessen von so zwingender Allgemeinheit zu sein, daß eine versierte Direktion an unüberwindliche Schwierigkeiten stieße; und was die finanzielle Misere anbelangt, läßt sich nur sagen, daß Geldmangel ein Uebelstand aller Theater ist, seit es Theater gibt. Mit anderen Worten: jeder1 KTeinbühne steht es — ungeachtet der .iSituatibn“ — frei, so geschickt zu sein als sie vermag, um ihrer Probleme mit Erfolg Herr zu werden — oder noch einmal mit anderen Worten: das Kellertheaterproblem überschattet wohl eine Gesamtsituation, die nicht rosig ist, letztlich aber haben wir es lediglich mit speziellen Problemen einzelner kleiner Theater zu tun. Im Grunde haben wir gute und schlechte Kleintheater, solche, an denen es mehr gute Aufführungen als schlechte gibt und mehr gültige Literatur als ungültige — und umgekehrt. Angesichts der Tatsache, daß zwei Kleinbühnen allen Schwierigkeiten zum Trotz das ominöse „Kellertheaterproblem“ mit viel Geschick meistern, ein drittes zwar nicht gerade Außergewöhnliches, aber immerhin Akzeptables zustande bringt und zwei andere ziemlich versagt haben, haben wir uns weniger mit der Qualität als mit der Quantität zu befassen.

Die Summe von 300.000 Schilling, die alljährlich vom Staat zur Subventionierung der Kleinbühnen ausgeworfen wird, spricht dafür, daß es bei einer zielbewußten Anwendung möglich sein müßte, diese Schauspieler und Regisseure zu einer wirklich angemessenen Anzahl von Ensembles zu sammeln und sie ausreichend zu bezahlen, so daß sie auch wirklich da und nicht gerade bei einer Rundfunksendung sind, wenn man sie braucht. Das Wiener Kellertheaterproblem ist ein Problem der Zahl: ob es weiterhin fünf Kellerbühnen geben soll, mit zersplitterten Kräften, zersplitterten Subventionen, zersplitterten Konzepten und zersplitterten Besuchergruppen und nach dem Leitsatz, daß es nicht genug Orte geben kann, an denen man sich künstlerisch bemüht — oder eines, zwei oder drei, mit eingespielten Ensembles, genügender Unterstützung, mit festumrissenen Zielen und zahlreichen Interessenten. Dem Vorzug der uneingeschränkten Chance für qualitativ Wertvolles, das sich an jedem Ort, selbst inmitten niedrigen oder mittelmäßigen Niveaus entwickeln kann (zusätzlich der karitativen Bedeutung solcher Orte für engagementlose Schauspieler), steht der Vorzug der Auslese, der gewährleisteten Qualität, des Erfolges der konstruktiven, den Wechselfällen des Zufalls entzogene Leistung gegenüber. Es hat wenig Sinn, da irgend etwas zu „fordern“, die „Situation“ wird sich von selbst regulieren; aber es ist zweckmäßig, sich über all die theoretisierenden Diskussionen über „Künstprobleme“ zur Wirklichkeit zu bekennen, zu der Wirklichkeit der wirklichen Leistung.

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