Klonen statt Hedonismus

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Man mag von der Skandal-Attitüde rund um Michel Houellebecqs "Die Möglichkeit einer Insel" abgestoßen sein. Dennoch legt der Roman - hinter den penetranten Verschüttungen durch Sex - Verwundbarkeiten offen.

Ja, man kann Gewichtiges einwenden gegen die "Möglichkeit einer Insel", den ultimativen Roman von Michel Houellebecq, als den ihn seine pr-Maschinerie seit Wochen durch die Medien trommelt: mit skandalheischenden Zitat-Fetzen, vorab selektiv verteilten Rezensionsexemplaren sowie Homestorys für die dem Autor gewogene Journalistik.

"Meine Chancen stehen fünfzig zu fünfzig. Entweder ist er aufgrund seiner positiven Erfahrung deutschen Journalistinnen gegenüber generell freundlich gesinnt und wird sich gern mit ihr unterhalten; oder sein Bedürfnis ist durch Harriet vollständig abgedeckt ...", so eröffnet - nur als ein Beispiel - die zum berühmten Autor Reisende in der Zeitschrift Literaturen ihren "Bericht von einem hoffnungslos entgleisenden Zwiegespräch in Paris". (Anmerkung: Harriet ist jene deutsche Journalistin, der Houellebecq seinen Roman widmet.)

Nicht der "Nymphentyp"

"Einer Kollegin von der Times", so die Reisende weiter, habe Houellebecq erklärt, "er würde auf Fragen nur unter der Bedingung antworten, dass sie mit ihm schlafe". Man musste sich aber nicht fürchten, die Kollegin von den Literaturen fühlte sich vor solchen Avancen nämlich sicher, "denn ich bin über vierzig und nicht der Nymphentyp, mit dem das Multitalent seine softpornografischen Filme besetzt".

Was, so könnte man ob solch überbordender Attitüden seufzen, ist nun bloß ein perfekt gemachter Medienhype, um einen längst wohl bestallten Autor und dessen Verlag, der ihn erst kürzlich um teures Geld eingekauft hat, in die Megaprofitzone zu pushen, was ist Literatur, und was steckt hinter all dem?

Muss der/die Roman-Rezipient/in sich vorab mit allen erdenklichen Muschi- und Pimmel-Fantasien wappnen, damit er/sie den entsprechenden Houellebecq'schen Suaden, die auch die "Möglichkeit einer Insel" seitenweise füllen, gewachsen ist? Eine gute Frage. Sicher ist: Wer etwas gegen aufdringliche Kopulations- und Penetrations-Prosa hat, braucht Houellebecq erst gar nicht in die Hand zu nehmen. Aber das ist ja spätestens seit seiner Sextourismusgeschichte "Plattform" (2002) sowieso klar.

Houellebecq walze seine sattsam bekannten Themen und Muster bis zum Überdruss und zur Fadesse aus, so der übellaunige Tenor des deutschsprachigen Feuilletons über "Die Möglichkeit einer Insel". Und alles, was an Unsäglichkeiten aus dem Roman über Sex, Sex und nochmals Sex, aber auch über Islam, Judentum, Christentum zitiert wird, ist tatsächlich kaum zu unterbieten und bleibt bestenfalls deswegen erträglich, weil alle gleichermaßen insultiert werden.

Aber Tiraden und Schundsprache, die Reduktion des Daseins auf den Beischlaf und das alles gemixt mit naiver Apokalypse hin zu einer posthumanen Gesellschaft aus Neo-Menschen perpetuieren - zugegebenermaßen ans Unerträgliche und unerträglich Langweilige grenzend - doch nichts anderes als Erlösungssehnsucht.

Man könnte den Plot des Romans durchaus mit den Erlösungsfantasien rund um die Film-Trilogie "Matrix" oder - zurück in die sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts - mit Frank Herberts Kultepos "Der Wüstenplanet" korrelieren, aber "Die Möglichkeit einer Insel" lässt Anklänge ans mythisierende Sciencefiction-Genre wohl zu, verweigert sich der Einordnung in diese Richtung dennoch.

Houellebecq erzählt die Geschichte des hedonistischen Komikers Daniel1, der nach seinem durchgefickten Leben diesem ein Ende bereitet, nachdem er sich einer Sekte angeschlossen hat, die ewiges Leben durch Klonen auf ihre Fahnen schreibt: Nach dem Tod von Daniel1 entsteht aus seiner aufbewahrten dna der nächste, genetisch idente "Neo-Mensch" Daniel2, nach dessen Tod dann Daniel3 und so weiter. Erzählt wird Daniel1' Geschichte retrospektiv, indem die Neo-Menschen Daniel24 bzw. Daniel25 den schriftlichen Lebensbericht von Daniel1 kommentieren und weitertreiben.

Das alles ist keine leichte Kost, nicht nur wegen der kopulativen Obsessionen von Daniel1 und der entsexualisierten Existenz der Neo-Menschen: Ungeschlechtliche Vermehrung, aus dem Pflanzenreich ja bekannt, führt Houellebecq zu einem - apokalyptisch angehauchten - Gedankenexperiment in Richtung (Neo-)Mensch. Hinter allem Weltekel, den Daniel1 permanent ausspeit, lugt ein tiefer Weltschmerz hervor, der im Leben nicht gelindert werden kann.

Religiöse Bezüge gibt es in dieser Konstellation zuhauf, sie legen hinter den Verschüttungen durch Sex Verwundbarkeiten offen. Zunächst dies macht die Auseinandersetzung mit Houellebecqs Roman wert.

Dazu kommt eine Fülle kleiner Szenen und Andeutungen, die - scheinbar wahllos eingestreut - reale Zivilisationsdiagnosen darstellen: Als Daniel1 in Paris an einem Plakat "Lyrik in der Metro" vorbeifährt (man kennt Gleiches von Wiens Gewista-Plakatwänden), ist er belustigt, als er es mit der Inschrift überpinselt sieht: "Statt eurer beknackten Gedichte solltet ihr uns besser in der Stoßzeit mehr Züge zur Verfügung stellen."

Einige Seiten später entlarvt Daniel25 "Darwins Fiktion vom Kampf ums Leben'" als Verschleierung der Tatsache, dass sich der genetische Wert eines Individuums "ganz brutal auf eine einzige Konstante reduzieren ließ: die Anzahl der Nachkommen, die er letztlich zu zeugen imstande war." - und man kommt also wieder bei der Sexmanie an, die Daniel1 in die unerlöste Depression stürzen ließ.

Plausibel prophetisch?

Interessanterweise fällt dem diesbezüglich vor Gericht gezerrten "Islamhasser" Houellebecq auch eine Utopie zur globalen Entwicklung des Islam ein, der man fast die Plausibilität einer Prophetie zubilligen möchte. Ja der Islam, beschreibt Daniel25, bemächtigt sich Europas, aber - gleich dem Fall des Kommunismus - zeigt die Unterminierungsarbeit in seinen Ursprungsländern Wirkung: innerhalb weniger Jahre kommt es zu einer Massenrevolte der Jugend für libertinäre Lebensweise in den arabischen Ländern, "der sie natürlich nicht gewachsen waren."

Wegen solcher Einsprengsel kann man der "Möglichkeit einer Insel" tatsächlich die Möglichkeit zugestehen, Houellebecqs ahnungsvollster Roman zu sein.

Die Möglichkeit einer Insel

Roman von Michel Houellebecq Aus dem Französ. von Uli Wittmann

DuMont Verlag, Köln 2005

442 Seiten, geb., e 25,60

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