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Kolo a la Tito

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Anläßlieh Chruschtschows letztem Besuch bei Tito verbrachten beide einen Abend in Titograd. Der russische Gast bewunderte den Marschall, weil er so unermüdlich Kolo tanzte. „Kein Wunder“, erklärte man ihm, „das ist doch sein Lieblings-tanz: zwei Schritte links, zwei Schritte rechts.“

Wenn es nicht wahr ist, so ist es doch gut erfunden. Derzeit suchen die Jugoslawen etwas besorgt zu ergründen, in welcher Richtung demnächst der Kolo getanzt wird. Zwei Schritte nach rechts heißt auf politischer Ebene weniger Anlehnung an den Osten, auf menschlicher Ebene mehr Freizügigkeit, weniger Behörde, mehr Essen, mehr Textilien, besser verdienen, vernünftiger wirtschaften.

An sich ging es in letzter Zeit eher nach links. Die politischen Astrologen rechnen sich aber aus, daß in einer neuen Freundschaft Moskaus mit Peking für Jugoslawien kein Platz sein würde: Die Chinesen würden auf einem Abschwören der Häretiker bestehen, und Tito würde zu einem solchen Widerruf nicht bereit sein. Also, folgert man, sollte die nächste Entwicklung eher wieder nach rechts führen.

Nächste brennende Frage: Was kommt nach Tito? Der Marschall, der zweifellos von einer breiten Bewegung des Vertrauens getragen wird, ist Mitte Siebzig; obwohl in allen Büros und Ämtern sein Bild als gebräunter, energiegeladener Sechziger hängt, wird doch eines Tages die Nachfolgefrage akut werden. Auch da rechnet man sich Chancen aus, daß der Kolo nicht unbedingt wieder nach links gehen muß. Rankovic, Serbe, soll kein Extremist sein; die Serben, das staatstragende, politisch tonangebende Element, sind wie eh und je eine freiheitsliebende Rasse, die den Kroaten Tito in seiner Politik zwischen den Blöcken nur zu gerne unterstützen und seine Nachfolge im gleichen Sinn antreten sollten, wenig geneigt, sich von irgend jemand kürzere Zügel anlegen au lassen. Den Slowenen — Kardelj etwa — sagt man dagegen schon eher Neigungen zu ideologisch schärferer Einstellung nach.

Man baut auch darauf, daß der Strom der Liberalisierung schon zu breit sei, um ihn zurückfließen lassen zu können. Pässe für Auslandsreisen bekommt man relativ leicht. Milovan Djilas soll auch bald wieder freigehen; Skeptiker behaupten allerdings, daß er sich bald wieder die Zunge verbrennen wird. In der „neuen Klasse“, so hört man, läßt, wer immer es sich leisten kann, die Söhne und Töchter in England oder der Schweiz studieren; man rechnet sich aus, daß diese Schicht in ihrer Grundeinstellung schon zu nahe dem westlichen Gedankengut ist, um noch einmal zum doktrinären Stalinismus zurückkehren zu wollen. (Die Jugoslawen sind ein witzfreudiges Volk, ein gutes Zeichen, daß politische Witze Nährboden finden und hingebungsvoll kolportiert werden. Also, die Frau eines hohen Funktionärs, in einen Skandal wegen Kaufs einer Liegenschaft im Ausland verwickelt, antwortet auf die Frage nach der Quelle: „Vorn Haushaltsgeld gespart!“)

Die zwei Schritte nach links der letzten Zeit wurden wirtschaftlich mit Sorge registriert. Die Kontakte mit Pankow haben nicht dazu beigetragen, das seit der Frage der Reparationen gespannte Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland zu verbessern, obwohl man gerade sie wirtschaftlich gut brauchen könnte. Auch ist der Balkan für viele Leute, die westlich vom Rennweg leben, schon sehr weit entfernt. Man erzählt die Bemerkung eines rheinischen Industriellen — „Da fahre ich nicht hin, man kann da nicht in die Kirche gehen“ —, worauf ihm ein Slovene sagte: „Schon möglich, aber nur, weil vielleicht die Kirche zum Gottesdienst überfüllt ist.“ öster-1 reich betrachtet man dagegen nach wie vor als artverwandten Nachbarin und in der Tat bestehen unzählige familiäre, gefühlsmäßige, traditionelle Bindungen. Die Italiener wußten das wirtschaftliche Vakuum, das durch den Absentismus der Deutschen entstand, ihre Aufnahmsfähigkeit für jugoslawische Güter, wie Vieh und Holz, wie auch die geographische Nachbarschaft zu nützen. Sie zeigten sich wirtschaftlich bewaglich und großzügig und haben sich in Jugoslawien gut in den Sattel gesetzt. In Slowenien wimmelte es in diesem Herbst von italienischen Touristen.

Gegenüber dem Osten hat man den Eindruck, einem ständigen Aderlaß ausgesetzt zu sein. Es sollen große Lieferungen nach Rußland gehen — so etwa in Textilien —, so daß die bisher gut versorgten Inlands-textilgeschäfte und Großhändler allmählich knapp an Waren werden. Anekdote: Ein Besucher aus Budapest zu einem jugoslawischen Funktionär: „Ist das alles Potemkin oder kann man das wirklich kaufen?“ Man kennte es wirklich.

Die sogenannten politischen Exporte werden mehr betrieben, als die jugoslawische Devisenbilanz verträgt. Es geht z. B. viel Ware nach Ägypten; die ägyptischen Unterhändler bieten dagegen Ware beschränkter Qualität zu stark überhöhten Preisen. Viele dieser politischen Exporte nach Afrika und Asien werden kreditiert, und man erinnert sich mit Unlust der albanischen Erfahrunigein. Als nach dem Kriege die jugoslawische Bevölkerung noch kaum genug Schwarzbrot hatte, bekamen die Albaner weißes Mehl geliefert und auch sonst alles, was gut und teuer ist; auf die Bezahlung warten die Jugoslawen heute noch.

Diese Außenhandelspolitik führt dazu, daß die jugoslawische Handelsbilanz heute ein großes Devisenloch aufweist; die ehrgeizigen Investitionsplanungen gehen weiter — nicht immer wirtschaftlich sehr vertretbar, da lokale Kirchenturmpolitik Fehlleitungen verursacht, wenn z. B. mehrere gleiche Werke in verschiedenen Republiken gebaut werden, wenn ein einziges größeres genügt hätte —, sie benötigen viel Geld und die Devisen sind knapp.

An privatem Lebensstandard geht es den Leuten besser als allen ihren nördlichen und östlichen Nachbarn. Die Lohne sind gestiegen, sie beginnen bei einem Mindestlohn von etwa 25.000 Dinar monatlich. Das Mittel der Löhne und Gehälter in Slovenien liegt bei 40.000 Dinar monatlich, wobei ein Gefälle von West nach Ost besteht: Diesem Durchschnittsverdienst stehen 35.000 Dinar in Kroatien und 30.000 Dinar In Serbien gegenüber; ein Direktor verdient vielleicht 80.000 bis 100.000 Dinar. Die Lohn- und Gehaltspolitik ist in letzter Zeit großzügiger geworden. Den Unternehmern wurde gestattet, Reserven anzugreifen und die Löhne und Gehälter zu erhöhen. Es sollen Direktoren enthoben worden sein, die sich dieser Politik widersetzten.

Allerdings hielten die Preise damit mehr als Schritt. Kalbfleisch stieg in einem Jahr von 700 auf 1400 Dinar pro Kilo, Schweinefleisch kostet 1000 Dinar (der Bauer bekommt 250). Wer vor einem Jahr in einem Gasthof um 120 Dinar aß, muß jetzt dafür 350 Dinar auf den Tisch legen. Zu essen gibt es relativ genug, zu hungern braucht scheinbar niemand. Die Vergenossenschaftung der Bauern wurde gebremst, wer aus den Genossenschaften austreten will, dem werden keine Schwierigkeiten gemacht, und bis 10 Hektar kann jeder sein eigenes Land bebauen. Dementsprechend ist auch die Versorgung mit Lebensmitteln recht gut — wenn auch zu steigenden Preisen. Auch Industriegüter wurden teurer: 1 Paar Schuhe kommt z. B. auf 6000 Dinar, ein guter Anaug auf 15.000 Dinar. Dennoch möchte man zumindest dieses Niveau verteidigen.

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