7135366-1997_44_18.jpg
Digital In Arbeit

Komet, der allzu bald verglühte

Werbung
Werbung
Werbung

Man hat es sich mit dem Komponisten Mendelssohn, mit . seinen zum Teil kühnen Ideen und seinem umfangreichen Schaffen zu allen Zeiten ziemlich leicht gemacht. Der kurzen Periode überschwenglicher, fast schon kritikloser Verehrung folgte bald nach seinem Tod - er starb am 4. November vor 150 Jahren - eine Zeit der Verdrängung. Der berühmte Wiener Musikkritiker Eduard I lanslick hatte die Lage schon richtig beurteilt, als er schrieb, daß Wagnerianer und Antisemiten im Fall Mendelssohn in „Haß und Überhebung ihr trauriges Geschäft” betrieben. Und die verordnete Verbannung „jüdischer Musik” aus den Konzert- und Musiktheaterprogrammen des Dritten Reichs drängte -

Mendelssohn als Geächteten überhaupt ins Out. Zögerlich wurde sein Qutvre nach dem Zweiten Weltkrieg wiederentdeckt. Und erst jetzt, anläßlich des 150. Todestags, scheint man sich auf seine Bedeutung als führender Romantiker und Vorkämpfer der Bach-Renaissance für ein ganzes Jahrhundert zu besinnen.

Er sei der „Mozart des 19. Jahrhunderts, der hellste Musiker, der die

Widersprüche der Zeit am klarsten durchschaut und zuerst versöhnt hat”, schrieb 1840 Robert Schumann über den damals 31jährigen Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy. Seine Biographie zeigt in jeder Hinsicht Frühvollendung: 1809 in Hamburg geboren, wird er mit zehn Jahren Schüler Carl Friedrich Zelters; mit zwölf besucht er zum ersten Mal Goethe in Weimar, reist nach Paris und in die Schweiz, komponiert 17jährig die Ouvertüre zu Sha-kes-pearcs „Sommernachtstraum”. Mit 20 dirigiert er bereits in der Berliner Singakademie Bachs „Matthäus-Passion” - eine unfaßbare Sensation - und tritt kurz danach seine großen Bildungsreisen an: England, Schottland, Deutschland, die Schweiz, Paris und Wien, Italien bis nach Neapel, I .ondon ... Mit 24 leitet er das Nieder-rheinische Musikfest in Düsseldorf, mit 26 wird er zu den berühmten Gewand hauskonzerten nach Leipzig berufen. In rascher Folge entstehen in wenigen Jahren die Hauptwerke: ein romantischer Märchenbilderbogen - von der „Hebri-den”- und der „Melusine”- Ouvertüre über das Oratorium „Paulus”, das d-Moll-Klavierkonzert, die „Lobge sang”-Kantate und die „Schottische”

Symphonie bis zur „Ersten Walpurgisnacht”. Ein Werkkatalog mit mehr als 120 Opuszahlen ...

1843 wird er geehrt: Im Potsdamer Neuen Königspalais wird seine Schauspielmusik zum „Sommer-nachtstraum” aufgeführt; er übernimmt den Berliner Domchor, bald darauf auch wieder die Gewandhauskonzerte. 1847 stirbt er 38j ährig, nur sechs Monate nach dem Tod seiner geliebten Schwester Fanny, seiner wichtigsten Ratgeberin. Ein Komet ist verglüht.

Tschaikowsky lobt zwar Mendelssohns Musik noch als „Muster der Stilreinheit” und Max Reger spricht von der „Wahrheit seines Ausdrucks, seines Empfindungslebens”, aber Friedrich Nietzsche wertet ihn bereits als „schönen Zwischenfall der deutschen Musik” ab. Vom „schönen Zwischenfall” zur - ungerechten - Kritik, daß er „klassizistisch glatt” und „seicht” gewesen sei und neben dem „Strahlenkranz eines Genies wie Beethoven verblaßte”, sind nur ein paar Schritte. Doch immerhin: Das Urteil verliert gerade jetzt, in einer Zeit, die die Auseinandersetzung mit Mendelssohns Werken wieder sucht, an Härte. Das Publikum von heute entdeckt neben den Symphonien, Oratorien, Schauspielmusiken auch den Meister der kunstvollen kleinen Form, der Lieder und Klavierstücke, der „Lieder ohne Worte”, der feinen Kammermusik. Ein Kosmos der besonderen Art, den Musikfreunde großteils erst entdecken müssen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung