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Komm, du süßer Schloß Schlaf!

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Könnten nur die Gerechten gut schlafen, wäre die Schlaflosigkeit die größte Plage der Menschheit.

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Könnten nur die Gerechten gut schlafen, wäre die Schlaflosigkeit die größte Plage der Menschheit.

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Das Leben ist so kurz - und ich habe davon einige Stunden mehr verschlafen als beabsichtigt. Ist das nicht ein Jammer? Ich habe heute so lange geschlafen, daß ieh mich jetzt sputen muß, um mit dem Schreiben fertig zu werden, bevor die Post abgeht.

Ich sehe schon, wie mir der alte Cicero mit dem Finger droht und sich selbst zitiert: „Der Schlaf ist das Bild des Todes!“ Der noch ältere chinesische Philosoph Jang Tschu meinte, daß uns „der Schlaf in der Nacht und nichtige Angelegenheiten am Tage“ um die Hälfte unseres Lebens bringen. Gegen den Schlaf am Tage hat Jang Tschu nichts gesagt - entweder ist er gar nicht auf die Idee gekommen, daß man auch am Tage schlafen kann, oder war er - wie ich — der Meinung, daß es besser ist zu schlafen, als sich mit nichtigen Angelegenheiten zu beschäftigen. Und es gibt nur wenig davon, was wir tun, das man nicht als nichtig bezeichnen könnte.

Ciceros Unyersöhnlichkeit ist verständlich - er war ein sehr aktiver Mensch. Andere, nicht minder aktive und nicht weniger beschäftigte Männer waren aber anderer Meinung. Heine sagte: „Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung!“ Schiller: „0 mordet nicht den heil- gen Schlaf!“, und Goethe, der wohl Schlafschwierigkeiten hatte, rief aus vollem Herzen: „Süßer Schlaf! Du kommst wie ein reines Glück ungebeten, unerfleht am willigsten!“

Die Tatsache, daß ich zufällig positive Äußerungen zum Schlaf von drei deutschen Dichtern zitiert habe, will nicht bedeuten, daß die Deutschen oder die Dichter ein verschlafenes Volk wären. Im geistigen Sinne gilt es zumindest für die Dichter ganz bestimmt nicht. Zumal man auch sehr radikal deutsche Antischlaf-Deklarationen (siehe das Sprichwort, also des Volkes Stimme: „Wer länger schläft als sieben Stund’, verschläft sein Leben wie ein Hund“) und positive nichtdeutsche finden kann (siehe Shakespeare: „Laßt wohlbeleibte Männer um mich sein, die des Nachts gut schlafen“).

Ich hab’ wohl genug Autoritäten zitiert, die meinen längeren Schlaf rechtfertigten (übrigens, es waren auch nicht mehr als sieben Stunden), will jedoch noch die höchste Autorität befragen. „Denn seinen Freunden gibt er’s im Schlaf“, sagt die Bibel (Psalm 127,2). Egal, welche Gaben man darunter versteht - ob Wohlstand oder Weisheit, Frömmigkeit oder Frieden —, eines ist klar: Wer mehr schläft, bekommt mehr. Man kann den Ausspruch auch so verstehen, daß der Schlaf selbst das Geschenk Gottes ist - diejenigen, die unter Schlaflosigkeit leiden, würden es sicher bestätigen. Und auch das

Bibelwort vom „Schlaf der Gerechten“ bekräftigt diese Auslegung.

Ich bin froh, daß man sich für die Liebe zum Schlaf nicht schämen muß. Ich kann nämlich überall und zu jeder* Zeit einschlafen, nicht nur im Theater oder vor dem Fernseher. Dies beweist, daß der gute Schlaf nicht nur den Gerechten gegeben wird, sondern auch denen, die zuwenig Zeit zum Schlafen haben. Was natürlich ungerecht ist. Könnten aber nur die Gerechten gut schlafen, wäre die Schlaflosigkeit die größte Plage der Menschheit. An sich wäre es gut, wenn die Bösen mehr schlafen würden, damit sie weniger Zeit haben, Böses zu tun. Im Schlaf sündigt man nicht.

Dieser Spruch zeigt übrigens noch einmal, wie falsch es ist, wenn man einen Liebesakt als „schlafen miteinander“ oder „Beischlaf“ bezeichnet. Nicht, daß ich jeden Liebesakt als Sünde betrachten würde — nur die lustlosen und unfreiwilligen sind

es. Aber Lieben mit „Schlafen“ zu verwechseln ist für die beiden angenehmsten Tätigkeiten des Lebens beleidigend. „Beischlaf“ im eigenen Sinne des Wortes ist eine absolut harmlose Sache. Mögen doch Männer und Frauen jeden Verwandtschafts- und Bekanntschaftsgrades ruhig miteinander schlafen, wenn sie nur ruhig schlafen wollen. Wenn es aber um das Liefen geht …

Partner, die schlafen, wenn sie zusammen sind, sind wohl nicht die besten Liebhaber. Ich habe mal einen Aphorismus verfaßt: „Sie will nicht mehr mit ihm schlafen. Denn wenn er mit ihr schläft, schläft er.“ Dies soll nicht als allgemeiner Vorwurf gegen Schlaf-Liebhaber verstanden werden. „Er“ hat nur einen falschen Zeitpunkt gewählt — sonst soll man gerne schlafen, so lange es geht. Damit man frisch für alle Tätigkeiten ist, bei denen man nicht verschlafen sein darf. Zum Beispiel für die Arbeit.

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