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Kompetenz und Synthese

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In jüngster Zeit erscheint jüdische Literatur in deutschen Verlagen so zahlreich, daß die besorgte Frage aufsteht, ob es zu solchem Unternehmen genügend Helfer von echter Kompetenz gibt. Nicht wenige Publikationen werden wähl- und lieblos auf den Markt geworfen, was weder der jüdischen noch der deutschen Sache dient. Es geht heute um nichts Geringeres als um die Wiedergeburt der schicksalhaften deutsch-jüdischen kulturellen Synthese, die ein Fundament unserer geistigen Welt war und wieder werden muß.

Nun geschieht es beispielsweise, daß ein Roman wie „Mila 18“ von Leon Uris vorgelegt wird, ein Buch von fast 800 Seiten Umfang, in das man sich zunächst mit steigender Erbitterung vergräbt. Geschildert wird jüdisches Leben in Polen ab Kriegsbeginn, der Höhepunkt ist der legendäre Aufstand der Bewohner des Warschauer Gettos. Der Sachverhalt: Zum erstenmal seit biblischer Zeit kommt es dazu, daß Juden mit der Waffe in der Hand jüdisches Territorium verteidigen. Sie tun es gegen einen entmenschten Feind, die deutsche SS, sie tun es als Zivilisten mit einer Handvoll unzureichender Waffen gegen die größte Militärmaschinerie der Welt, tun es im Bewußtsein sicheren Unterganges, bis der letzte von ihnen kämpfend fällt und nur mehr die Stille des Todes das riesenhafte Leichenfeld deckt. Ein erhabener Augenblick der Weltgeschichte ist zu Ende, ein Opfergang friedlicher Menschen, der seinesgleichen nicht hat, dazu berufen, durch kommende Jahrhunderte zu leuchten, zugleich aber einen Teil der moralischen Basis zu schaffen, von der aus sich der junge Staat Israel auch militärisch zu behaupten haben wird.

Wie geht Uris an das gewaltige Thema heran? Er verwurstet es mit allem Raffinement eines Routineschriftstellers im Stil eines Illustriertenromans. Dann, plötzlich, nach der 600. Seite, ereignet es sich, daß die Fakten Macht über Uris gewinnen. Sein Stil wird trocken, sachlich, seine Routine von aneinandergereihten Tatsachen wie von Hammerschlägen zertrümmert.1 W zuletzt bleibt, ist ein Autor, der vor einem gewaltigen Geschehen ebenso kapituliert wie der Leser. Und damit gewinnen beide erst die rechte Demut und Würde als Nacherlebende, ht es, nach solchem Beispiel, noch nötig zu definieren, was wir unter Editorenkompetenz verstanden wissen wollen?

Ein Gegenbeispiel. Mit steigender Faszination vertieft man sich in das Werk „Die Höhlen der Hölle“ von Koppel Holzman, der jüdisches Leben, Sterben und Hoffen in einer kleinen galizi-schen Stadt unter dem Blutregiment der SS aufzeichnet. Hier hat, das spürt man bis zur letzten Zeile, ein Mensch zur Feder gegriffen, der sich, gleichsam ohne schriftstellerischen Ehrgeiz und Verstand, selbst ausschaltet, in tiefster Ehrlichkeit und Demut allein dem Diktat des apokalyptischen Geschehens gehorchend. Was so entstand, ist kein Roman, kein gewolltes Kunstwerk, sondern ein Wortgebilde, das jede urbane Kategorie sprengt. Erschauernd treten wir ein in das Seelengemälde eines Kollektivs, das sich spiegelt in der Spannung des einzelnen, atmen wir vielfach biblische Luft. Uns bannt ein Menschenbild, so verzweifelt, so großartig wie bisher kein zweites aus solchem Anlaß in der zeitgenössischen Literatur. Ein Buch, ebenso schwierig wie mitreißend, ebenso gültig im Inhalt wie in der formalen Substanz, in einer suchenden, aus dem Stoff geborenen Technik des Wechsels von Schilderung, Dialog und bohrendem Gedankenmonolog. Man gedenkt der Versuche von Sartre und Camus bis Michel Butor und Robbe-Grillet, zeitgenössische Prosaformen zu ßnden, durch die sich reiner und unserem Erlebnisstil adäquater wieder Wahrheit über die Welt und den Menschen sagen läßt. Einem Holzman, der als Outsider, als fanatischer Wahrheitssucher unwissentlich ein solches Werk schuf, ein weittragendes Echo im deutschen Sprachraum zu verschaffen: Das ist es, was wir unter kompetenter verlegerischer Initiative verstehen.

Ein weiteres Muster kluger Wahl und sorgsamer Betreuung stellen die in einem Band vereinten, mit informativem Nachwort und ausführlichem Glossar versehenen Romane von Mendele Moicher Sfurim dar. 1837 geboren, darf Sfurim als eigentlicher Begründer der jiddischen Literatur gelten, sein Lebenswerk umfaßt neben seinen hebräischen Werken zwanzig jüdische Bücher. Er war Lehrmeister und Vorbild auch Scholem-Alejchems, der eleganter, pointierter und nachsichtig-liebevoller schrieb und, vor allem mit seinem klassisch gewordenen Schelmenroman „Tewje, der Milchmann“, nach der Jahrhundertwende erstmals Weltruhm gewann. Sfurim, dessen Humor zorniger, schwerblütiger ist als der seines Nachfolgers, ist der schärfere Gesellschafts- un Sozialkritiker. Er schildert Typen, die siel ironisch aufheben, er versteht es, in Kollektivschicksal das Subjektphänomei aufblitzen zu lassen, insgesamt ein unver geßbares Bild kleinen ostjüdischen Leben seiner Zeit liefernd, eines, wie Max Broi es ausdrückte, „in unendlicher Tiefe be wahrten heilen Volkstums“, das kurz zu vor noch im Chassidismus das letzte groß' Aufflammen jüdischer Mystik zustandi gebracht hatte.

Auch leichte Kost läßt sich gebühren&#171; verwalten. Davon zeugen die Satirei Ephraim Kishons, der es versteht, ebense naiv-frech wie naiv-liebevoll Menscher und aktuelle Zustände im heutigen Israe auszuspielen, verzerrt und damit zugleich wie es nur jüdischer Witz fertigbringt geläutert und bis in die Nähe des Symbols erhoben. In den besten Stücken brilliert jüdische Selbstpersiflage, die stets zugleich todernst gemeint ist und nicht! anderes bedeutet als leiderfahrenes Unter spielen und Auf-den-Kopf-Stellen voi Emotionen, die, einen Schritt weiter ohn< die elastische Selbstdisziplin der Ironie rasch zu Tränen des Jammers, der Freude, der Sehnsucht werden könnten.

Die jüdische Literatur ist, gemessen zumal an der relativ kleinen Volkszahl, seit alters her reicher und blühender als die der meisten anderen kulturschöpferischen Völker. Denn, seit Moses, inmitten anbrandender heidnischer Kulte gegen die Versuchung zur Idolatrie kämpfend, Israel beschwor:.....daß ihr nicht ausartet und euch ein Bild macht!“, ruht die ganze Kraft jüdischer Tradition und jüdischen Lebens im Wort. Oder wie es der Kunsthistoriker Werner Haftmann formuliert: „Im Allerheiligsten des Tempels von Jerusalem stand das feierliche Nichts. In dieser von Gott zu erfüllenden Leere lag allein — in der Bundeslade verwahrt — das Wort.“ So geschah es, daß das Judentum unverhältnismäßig viele wortkundige, wortgewaltige Männer hervorbrachte, und noch dreieinhalb Jahrtausende nach Moses ist im Kampf eines Karl Kraus um die Reinheit der Sprache eine letztlich nur religiös zu begreifende Unbedingtheit spürbar. Zahlreiche der reichen Schätze jüdischen Schrifttums von der Frühzeit bis zur Gegenwart gilt es dem deutschen Leser und der Welt überhaupt erst vorzustellen.

Neben hervorragenden Leistungen, wie etwa auch jenen des Jakob Hegner oder des S.-Fischer-Verlages gibt es da viel Mittelmaß und leichtfertig publiziertes Zeug, was nicht zur Mode werden darf, denn nicht zuletzt waren mangelhafte Kenntnis und Verfälschung jüdischen Wesens, jüdischer Geschichte und Leistung Mitursache am Ausbruch des Rassenwahns.

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