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Konzept: für jeden etwas

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Ein revolutionärer „Figaro“, eine klassische „Iphigenie“, ein perfekter „Troubadour“, es scheint, als hieße heuer das Konzept: für jeden etwas.

Die „Hochzeit des Figaro“ Mozarts ist vor allem durch Regie und Bühnenbild revolutionär. Mozarts Oper ist es sowieso. Gustav Rudolf Seilner versuchte es, den Aufstand des Menschen gegen die gräfliche Herrschaft in den Vordergrund der Komödie zu rücken. Es ist Sellners Verdienst, es nicht zu einem sozialen Drama umgefälscht zu haben. Die Bühnenbilder R a i f a e 11 i s stellen durchaus spanisches Rokoko dar und abstrahieren es zugleich in das Wesentliche. Die Transparenz aller Wände — hier mit zarten Gittern dargestellt — ist nicht zum erstenmal versucht, denn diese Komödie ruft ja darnach, aber sie ist neu gelungen. Auch die Kostüme sind im gleichen Sinne nach dem Spanischen stilisiert. Spanisch ist auch die Leidenschaft der Gefühle. Der Zweifel beginnt erst bei der Musik und besonders in der gesanglichen Gestaltung. Heinz W a 11 b e r g als Dirigent mag die Ouvertüre herb und aufständisch, den Fandango kraftvoll und zynisch nehmen, die gleiche Dramatik tut den Stimmen und auch dem Mozartischen Gesangsstil nicht gut. Nur Graziella S c i u 11 i verläßt Mozarts musikalischen Ausdruck niemals. Am stärksten raubt diese Deutung der ohnehin aufwühlenden Musik Mozarts der Gräfin Sena Jurinacs jede Lyrik. Auch Fischer-Dieskau als Graf wird in seiner Arie im 3. Akt von dieser Dramatik aus der musikalischen Form gerissen, während der Figaro Geraint Evans' noch die Grenze hält. Die jungenhafte Schelmerei des Cherubino (Evelyn Lear) hat in dieser Deutung wenig Platz; diese Gestalt erhält etwas schiefes Licht aus dem Soubrettenfach. Aber die Regie hat viele Höhepunkte und führt diese komische Oper bis an die Grenzen des Dramma giocoso des „Don Giovanni“.

Es war zu erwarten, daß das musische Ereignis dieser Festspiele „Iphigenie in Aulis“ von Chr. W. Gluck sein werde. Sie hat wohl in Verdis „Troubadour“ ein Gegenstück, aber es ist auch diese Oper zu einem Fest der Stimmen geworden. Günther R e n n e r t als Regisseur und das bildhafte Vermächtnis Caspar N e h e r s haben die Statik der klassischen Tragödie in Musik zur Spielfonn gewählt, die Ästhetik der großen Formen in Chorgruppen, Baulinien und Kostümen. Die Felsenreitschule wird zur Überform des Bühnenbildes. Den Sieg der großen Linie feiert aber Karl Böhm als Gestalter dieser Musik von wahrhaft edler Leidenschaft. Die Fortsetzung der Reformoper Glucks heißt nicht Mozart, sondern über Wagner hinweg Richard Strauß. Hier liegt das Musikerlebnis des schöpferischen Geistes Europas. Die hohe Vollendung der Darbietung gab dem Werk Erfüllung: vor allem Christa Ludwig als Iphigenie ist Musik in Schönheit, Stil und Ausdruck. Walter B e r r y s Agamemnon ist Musik der gebändigten Kraft. Leuchtend gelingt Elisabeth Steiner die Göttin Artemis. Inge B o r k h singt großlinig, wenn auch im Stil etwas dramatisierend. James King als Achilles gelingt der Glanz des Helden und Otto Edelmann als Kalchas die harte Kraft des Oberpriesters. Die Musen triumphieren wieder.

Als Premiere war der „Iphigenie“ Glucks indessen Verdis „Troubadour“ vorausgegangen und zugleich damit das Opernereignis einer wahrlich perfekten Aufführung. Hier kann das Publikum rasen, es braucht nicht von Musik ergriffen zu sein. Das salzburgische Erlebnis an diesem „Troubadour“ ist wohl wieder die überwältigende Wirkung der Bühne, die der Regie Herbert von K a r a j a n s auch großartige Massenszenen gestattet. Das Bühnenbild Theo Ottos ist fast naturalistisch, wenn es auch, da alles in Nacht gehüllt ist, fragmentarisch bleibt. Karajan dirigiert diese Aufführung wie immer mit höchstem Einsatz, mitreißend in der Gestaltung und ziselierend im einzelnen. Die Stimmen sind ein Fest der italienischen Oper. Vor allem Leontyne P r i c e als Leonore, in Ausdruck und Belcanto überzeugend r-, nicht weniger Giulietta S i-mion at o (Azucerw) und kaum weniger Franco Corelli (Manrico), Ettore B a s t i a n i n i (Graf Luna) und Nicola Zaccaria (Ferrando). Aber auch diese Sänger, ja selbst Karajan können nicht die musikalischen Banalitäten, die Schaueroper und die blutrünstige Leidenschaft hinwegsingen und hinwegdirigieren. Es bleibt ein Fest der Perfektion und wird auch dadurch nicht zum Festspiel.

Man hätte gerne bewiesen, daß Rossinis Musik, wenn auch in dem geistlichen Werk seines „Stabat mater“, Musik aus der Musik Mozarts sei. Das Konzert geistlicher Musik unter Joseph M e s s n e r mit dem Domchor und den Solisten Fah-berg, Hellmann, Fehenberger und Pröbstl war nicht ganz das Medium hierzu. Dieses „Stabat mater“ steht der Oper zu nahe, als daß es Kirchenmusik für unsere Gefühlswelt sei könnte. Noch dazu wurde das Werk nach jedem seiner zehn Teile von einem stimmenhungrigen Publikum in Stücke zerklatscht. Noch blieb also Rossini den Gegenbeweis zugunsten der Salzburger Festspiele schuldig.

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