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Konzerte vor Ostern

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Eine von Kar! Richter dirigierte, von warmer Empfindung getragene, geistig inspirierte Aufführung erlebte die für die Osterzeit schon traditionell gewordene Matthäuspassion im Großen Musikvereinssaal. Mögen manche Puristen mit einigen vielleicht zu extremen Tempi, zu schnell genommen in den Chorälen und zu zurückhaltend in den Arien, nicht ganz einverstanden sein und der Auffassung Richters nur teilweise zustimmen, jedenfalls entwirft der Dirigent vor dem Hörer ein musikalisches Bach-Bild, das der weihevollen Größe und Einmaligkeit des Werkes sowie seiner jeweiligen Dramatik und Statik überzeugend gerecht wird. Vor dem Verdienst Richters brauchen seine !um großen Teil ausgezeichneten Mithelfer nicht zurückstehen, so der von Helmut Froschauer bestens studierte Singverein und die Wiener Sängerknaben, die in tadelloser Verfassung spielenden Symphoniker sowie die ein Pauschallob verdienenden Instrumentalsolisten. Rudolf Scholz betreute die Orgel, das Cembalo Richter selbst. In den dem Tenor gestellten, eminent schwierigen Aufgaben — er übernahm für einen erkrankten Kollegen auch die Tenorarien — bewährte sich Peter Schreier als Evangelist stimmlich ebenso vortrefflich wie in der grundmusikalischen, intelligenten Darstellung des Erzählers. Eine alle anderen Solisten überragende Leistung! Ernst Schramm verfügt über einen edel timbrierten, tragenden, für die Partie des Jesus wohl etwas zu hellen Bariton. Und die Anlage der Partie ist eher auf einen anklagenden als verzeihenden, milden Heiland gerichtet, so daß neben manchen sehr schön erfaßten Stellen wieder andere aus dem Rahmen der Jesusgestalt herausfallen. Von den Damen gebührt Sheila Armstrong mit ihrem weichen, kultiviert eingesetzten Sopran die Einstufung vor Helen Watts, deren hübschem, wenn auch kleinem Alt man mehr Tiefe wünscht. Beiden Sängerinnen ist hohe Musikalität und große Ver-innerlichung des Vortrages zu attestieren. Als Fehlbesetzung muß leider John Shirley-Quirk gelten, dessen rauher, strohiger Baß sich kaum für die kleinen Partien des Judas, Petrus und Pilatus, noch weniger für die ihm zugewiesenen Arien eignet. Ansonsten eine Aufführung, die für alle Bach-Verehrer ein schönstes musikalisches Ostergeschenk bedeutete.

Der gute Eindruck, den man von Martti Talvela auf der Bühne empfängt, mindert sich um etliche Grade, wenn man ihn als Liedinterpreten hört. Das pastose, mächtige, in der Tiefe leider trocken klingende Organ eignet sich wenig für die Lyrik eines Romantikers katexochen wie Schumann, wo dem Künstler auch die Technik eines mezza voce und noch mehr eines tragenden Pianos infolge des Hinaufziehens der Bruststimme in höhere Lagen Schwierigkeiten bereitet. Wo Hugo Wolf in Gesängen wie „Cophtisches Lied“ und „Königliches Gebet“ dem Sänger erlaubt, sich gewichtiger und dramatischer zu geben, gerät der Vortrag ausdrucksmäßig besser. — Die Lieder Yrjö Kilpinens sind von einfacher melodischer Erfindung, die sich am stärksten in schwermütiger, nordischer Einfärbung manifestiert; textlicher Gehalt — nach der deutschen Übersetzung zu beurteilen — und musikalische Ausdeutung halten einander gut Balance. Als Vorzüge Talvelas wären die Bemühungen um klare Diktion und um geschmackvolle Phrasierung und Differenzierung längerer Melodiebögen zu nennen, das gewaltige Volumen der Stimme wirkt in manchen Momenten fanfarenartig. Iruun Gage erwies sich als vorzüglicher Begleiter, der in Zwischen- und Nachspielen auch ein schätzenswertes künstlerisches

Eigenleben zeigt. Ein in Mittelqualität einzustufender Abend.

Paul Lorenz

*

Im Mozartsaal des Konzerthauses gab Anton Heiller einen Orgelabend. Die von der Firma Hradetzky in Krems erbaute neue Orgel bewährte sich wieder einmal hervorragend. Anton Heiller bedient sich ihrer als Meister — in jeder Beziehung. Das überdimensionale Programm bestand aus zwei Teilen mit etwa 16 Nummern. Werke von Frescobaldi, de Arauxo und Coupe-rin bildeten einen ersten Zyklus. Sehr eindrucksvoll war die auf Imitation beruhende Fantasie des Spaniers und ihre die Farbkontraste hervorhebende Registrierung: ein Stück von verhaltenem Feuer. Die einzelnen Teile der „Messe für die Pfarreien“ von Couperin sind nach den konzertierenden Soloregistern benannt und wurden entsprechend vorgetragen. — Hierauf folgten vier Stücke von Jehan Alain, dem frühverstorbenen, genialen jungen Franzosen, die wie impressionistische Improvisationen wirken, eine intensive (meist meditative) Stimmung ausstrahlen und an Messiaen erinnern; ebenso das mystische Motto, das Alain seiner „Litanie“ vorangestellt hat. — Der 2. Teil war ausschließlich J. S. Bach gewidmet, hauptsächlich frühen Werken: Toccata und Fuge E-Dur, Präludium und Fuge A-Dur, Partita über „O Gott, du frommer Gott“, drei Choralvorspiele und, zum Abschluß, Fantasie und Fuge g-Moll. — Heillers Spiel zeichnet sich durch Virtuosität, hohe Musikalität und zeichnerische Klarheit aus. Um ja alles deutlich zu machen, werden auch grelle und grellste Register nicht vermieden. Und wohl noch nie hat man im Laufe eines Abends im Mozartsaal so viel Fortissimo gehört. Das mochte sachlich gerechtfertigt sein, ist aber unökonomisch, was den Höremdruck betrifft: es ermüdet. Viel Jugend im Saal und sehr lebhafter Beifall von Leuten, die offenbar vom Orgelspiel etwas verstehen.

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