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Kostbare Beute

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Mag es 1688 vor Wien, mag es 1717 vor Belgrad gewesen sein — es war an einem für die kaiserlichen Heere glorreichen Tag. Die Türken auf der Flucht, die Zeltlager verlassen, die Beute gewaltig. Eine Handschrift, in rotbraunes, goldgeprägtes Leder gebunden, die schwanen, roten und goldenen Schriftzeichen auf gelblichem Papier, 102 erlesene Miniaturen mit zarten roten, blauen und grün-goldenen Rahmen, In völligem Widerspruch zur „Bilderfeindlichkeit“ des Islams, die das Abendland heute noch als selbstverständlich annimmt — diese Handschrift also fiel mit zahllosen anderen Kostbarkeiten in die Hände der Sieger. Der Feldherr, Prinz Eugen von Savoyen, reihte sie seiner Sammlung ein.

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Mag es 1688 vor Wien, mag es 1717 vor Belgrad gewesen sein — es war an einem für die kaiserlichen Heere glorreichen Tag. Die Türken auf der Flucht, die Zeltlager verlassen, die Beute gewaltig. Eine Handschrift, in rotbraunes, goldgeprägtes Leder gebunden, die schwanen, roten und goldenen Schriftzeichen auf gelblichem Papier, 102 erlesene Miniaturen mit zarten roten, blauen und grün-goldenen Rahmen, In völligem Widerspruch zur „Bilderfeindlichkeit“ des Islams, die das Abendland heute noch als selbstverständlich annimmt — diese Handschrift also fiel mit zahllosen anderen Kostbarkeiten in die Hände der Sieger. Der Feldherr, Prinz Eugen von Savoyen, reihte sie seiner Sammlung ein.

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weiter zum Flugfeld. Auch das war Provence. Einleitung gleichsam. Aber schon sagt mir ein großer Olivenhain, silbrige Mandelfrüchte, wächserne Feigen, daß wir bald lachen werden. Wir nähern dem Fluß uns, und alles wird Garten, von Zypressen ein jeder gezäunt oder Schilf. Melonen reifen zuhauf und Tomaten. Schon nimmt eine lange Platanenallee uns auf und führt uns an herrlichen Höfen vorbei, an römischen Bogen, an schluchtartigen Gassen, an lärmendem Markt. Schmalhüftig schlendern Mädchen, sich selber genug auch vor dem üppigen Reichtum, und verschwinden in dunkle Paläste, während die Männer blinzeln über dem Aperitif und sich freuen der Sinne und Witze. Über die Katze vielleicht, grau-silbem und königlich, wie sie am Fleischbock hockt, wenn mittags der Unrat schon riesig wird und der Gestank.

Nur der Händler, der die Schildkröten feilbietet nahe dem Rinnsal, schmunzelt hinüber in die Arena... Schon die Römer haben die Suppe gelobt, die Schildkrötensuppe, und' den Stierkampf an den Heiligenfesten. Das konnte der Papst nicht ändern, auch da er au Avignon

trutzte, wo unter den Herrschermauern sich Emigrantenvolk jetzt laust.

Erde, du trockene, daß es knistert im Pinienhain, wohin man tritt, fast hätte ich deine Lieblinginnen vergessen, wie sie spielten an der Fontaine de la Diane und vor den Silberweiden der Rhone. Aus hellblauem Glas die einen getrieben, die andern gehämmert aus dünnstem Bronze, mit Zebrastreifen sah ich auch einige. Libellen, wassergebürtig, sonnsüchtig, Tänzerinnen. Was zeichnet ihr uns abstrakte Rätsel vor in nervösen Flügeln...

Sind es Wege der Lust, sind es Gebote der Wahrheit, sind es Figuren des Todes?

Erde, ich habe dich wiedergefunden in der Provence, wo der Bauer uns einlud, höflicher als ein Ritter von einst, hinter der Feldmauer diesmal zu zelten.

Es war seine Heiterkeit, die in uns schwang, als er groß durch die Felder stapfte. Und er brachte sie mit, wenn er abends zu einem Gespräch kam, das immer voll Welt war, ob er vom Krieg redete oder von Dirnen. Sein Lachen aber, es klang wie ein Feiertag. Als lache die ganze Provence.

Mit vielen anderen Kostbarkeiten aus dem Nachlaß Eugens gelangte dann auch diese Handschrift in den Besitz des kaiserlichen Hofes und ruht auch heute noch in der Handschniften-sammlung der österreichischen Na-tionalbibliiothek. Dort entdeckte sie 1966 Sevket Rado, türkischer Schriftsteller, Verlagsleiter und Journalist, auf seiner Suche nach besonders interessanten, vor allem Äuminier-ten osmanischen Manuskripten. 1937 zwar hatte Dr. Kurt Halter, damals junger Orientalist in Wien, eine kurze Beschreibung der Handschrift im „Bulletin de la Sooiete Francaise pour la Reproduction de Manuscrits ä peintures“ veröffentlicht — doch existiert bis zur Stunde noch keine genaue Übersetzung des gesamten Textes; die lange Reihe der faszinierenden Miniaturen allein spricht zum abendländischen Betrachter und enthüllt auch ihm sehr bald ihre unschwer zu lösenden Geheimnisse. Eine Geschichte der Welt, „Subhat al-akhbär“, ein „Rosenkranz der Jahrtausende“ hebt an, öffnet man die Handschrift an der Rückseite und blättert man nach vorne. Weltgeschichte aus der Sicht eines türkischen Hofschreibers und eines Hofmalers des 17. Jahrhunderts, jener Zeit der osmanischen Renaissance, als am Bosporus auch die Miniaturenmalerei, durch indische und westliche Einflüsse bereichert, noch einmal und für lange Zeit zum letztenmal ihren Höhepunkt erreicht hatte. Es war die Zeit, als das osmanische Reich sich auch politisch der alten Kraft und Glorie besann und seine letzten gewaltigen Vorstöße gegen die Republik Venedig und gegen das kaiserliche Wien unternahm. Solcher Aufwand bedurfte der Legitimierung durch Tradition und geschichtliche Vorbilder heldenhaften Angedenkens.

Mit Adam und Eva beginnt denn auch die Reihe der Miniaturen unserer Handschrift. Bekleidet hocken sie inmitten des blühenden Paradies-goirtens und über ihren unbedeckten Häuptern flackern golden die Nwnfoen der Propheten. In den kleineren „Perlen“ des „Rosenkranzes“ folgen Abel und Kain, aber auch Gayu-

macth, ein mythischer Ahnherr iranischer Heroengeschlechter. Flut und Arche kennzeichnen Noah, aus dessen schlichtem Turban wieder die goldenen Prophetenflammen züngeln. Noah liest im Koran. Japhet, sein Sohm, gilt als Ahnherr der Mongolen und der Türken. Nicht vergessen seien Abrabaim, Lot und der hier zeitlich wohl sehr verfrühte Elias im Laufe der weiteren „Rosenkranz-perlen“, auch nicht Moses, Aaron, Daniel und der persische Cyrus. David erscheint und sein Sohn Sulai-man-Safomon, der zu einer Nachtigall spricht, denn er verstand ja die Sprache der Vögel. Christus, bärtig und barhäuptig, trägt den Propheten-nimbus ebenso wie Zacharias, wie Johannes der Täufer und Alexander der Große vor ihm. Auf diesem Blatt vermeidet der Maler alle sonst verwendeten Linien der Abstammung und Geschlechterfolge. Diese beginnen erst wieder mit Mohammeds Großvater 'Abd al Muttalib, dem der Prophet unmittelbar in einer übergroßen goldenen „Rosenkranzperle“ folgt, auf rotem Teppich thronend, das Antlitz weiß verschleiert, die Hände verborgen in den Ärmeln des Gewandes. Aus seinem Turban flammt der Nimbus, zum letztenmal im Laufe der Jahrtausende, denn ihm folgt kein Verkünder mehr.

Die „Perlen“ gleiten weiter. Dschin-gis-Khan mit blitzender Krone ist zu erkennen, später, mit Sulaiman beginnend, die Osmanen, scharf charakterisiert, in langer Reihe: Mohammed II, der Eroberer von Byzanz, Seiini I., der die sunnitische Einheit im Glauiben schuf, Selim IL, der von Don Juan d'Austria vor Lepanto geschlagen wurde, Osman IL, minderjährig und daher bartlos. Die anfangs .mittelalterlich“ schlichten Turbane werden zusehends „barocker“, größer und komplizierter. Federn und Quasten sprießen daraus hervor. Nach dem Fall Konstantinopels hocken die Herrscher nicht mehr auf Teppichen, sondern auf Prunkdiwanen mit farbig wechselnden Kissen; der letzte in der Reihe, Mohammed IV., sitzt hochauflgerichtet auf dem goldenen Thron der Welt,

ihm zur Seite, stehend, die Gestalt eines Janitschairen. Ist es Köprüiü, der Großvezier in Person? Ist es der adelige Auftraggeber des Buches? Ist es der Hofmaler, der die Medaillons schuf? Noch wurde dieses Geheimnis nicht entsiegelt. Auf der rechten Seite des Thrones die Inschrift: „Hassan, der Maler, von Istanbul“, läßt Schlüsse zu, die nicht binden. Auch der Autor des Textes ist be-

funden hat. Die Miniaturen in ihrer makellosen Farbenpracht und der elegante arabische Duktus der reinen Schriftseiten venr4ttelm den ungeschwächten Eindruck eines Kunstwerkes von höchster Schönheit und Vollendung. — Ein Erläuterungstext von' Dr. Kurt Holter, ins Türkische übersetzt von Sevket Rado, ins Englische und Französische von Dr. Hans Suesserott und Julia A. Babeluk, ge-

kannt. Es war der Derwisch Mehmed ibn Saih Ramadan, der im 16. Jahrhundert unter Sulaiman dem Prächtigen gelebt hat. Ergänzungen seines ersten (verlorengegangenen) Originals erfolgten unter Mohammed III. und später. Das letzte in unserem Manuskript erwähnte geschichtliche Ereignis datiert von 1674, mit ihm endet der „Rosenkranz der Jahrtausende“.

Vor wenigen Monaten setzte das Verlagshaus Dogam Kardes, Großdruckerei in Istanbul, eine patriotische Tat. Sie besorgte mit dem Faksimiledruck des „Rosenkranzes“ eine stilgerechte Nachschöpfung der kompletten Handschrift, gestaltete den Einband originalgetreu und versah dessen Innenseiten mit handgeschöpftem Papier jener Art, wie sie in der Türkei der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Verwendung ge-

leiten als handlicher Separatdruck den aufmerksamen Betrachter durch das Werk.

Es war das erstemal, daß ein türkisches Unternähmen das Wagnis einer solchen Reproduktion zur Gänze auf sich genommen hatte. Viermal wurden die Druckproben mit dem Original in Wien verglichen, ehe die Verlagsleitung den Herstellern „grünes Licht“ gab. Die erste Auflage des Faksimiledrucks blieb auf 2000 Stück beschränkt, die zu Beginn des Jahres 1969 binnen zweier Wochen zur Gänze vergriffen waren. Für wissenschaftliche Institutionen und für private Interessenten in aller Welt (auch Ihnen durchaus erschwinglich) ist eine zweite Auflage geplant. Kein Zweifel, daß dieser Druck gerade in Österreich, dessen Nationalbibliothek das kostbare Original verwahrt, seine Freunde finden wird.

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