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Kreative Musen, weibliche Mäzene

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Man verstand es, Gespräche zu führen und Briefe zu schreiben. Dreitausendmal hat Karl Kraus seine Gefühle für die schöne Sidonie Nadherny zu Papier gebracht. Am „Steinernen Tisch” im Park von Schloß Janowitz konnte er seine lyrischen Arbeiten beginnen und Sidis Balkon im Auge behalten. Büke verwöhnte sie mit unzähligen Briefen. Janowitz war Wahlheimat, war Zuflucht. Von Sidonie wurde der Bastlose materiell unterstützt.

Ihr Wunsch, selbst ein Buch zu schreiben, blieb unerfüllt. Sie notierte nur in ihrem Tagebuch. War Sidonie die ideale Muse?

Mechtilde Lichnowsky auf Schloß Graetz, eine treue Freundin bis zum Tod im englischen Exil, führte einen bedeutenden literarischen Salon und arbeitete unermüdlich an ihren Bo-manen. Karl Kraus brachte ihre Kompositionen für Nestroyabende nach Wien.

Dritte im Bund ist Mary Dobrzens-ky auf Schloß Pottenstein. Hier, so wie im fürstlichen Graetz, hat Karl Kraus gehaust und sich an Sidis Seite wohlgefühlt. Rudolf Kassner schätzte Marys Salon sehr und bewunderte ihre Nächstenliebe für bedeutende Künstler, aber auch für andere Zeitgenossen. Franz Hercog aus Pottenstein enjtsinnt sich ihrer Wohltaten und der Trauer, als sie im Jahr 1948 vertrieben wurde.

Siehatteeinst Rilke in der Schweiz beherbergt, Oskar Kokoschka, Utrillo und Karel Capek korrespondierten oder diskutierten mit ihr. Keinerlei eigene Texte sind von Mary Dobrzens-ky bekannt.

Eigene Werke, Rilke, Kassner, Hofmannsthal, Richard von Schaukai als Hausgäste erinnern an eine „große Dame”, wie Kassner Fürstin Marie von Thum und Taxis nannte. Im Schloßpark von Lautschin wandelten Seite an Seite die Freunde Rilke und Kassner. Kassner, der Kulturphilosoph, Schriftsteller und beste Rilke-beschreiber war hier ein sogenannter „ständiger Hausgast”. Karl Kraus pendelte zwischen Wien und Janowitz im sicheren Gefühl, der „ständige Begleiter” von Sidonie zu sein. Maler und Dichter sowie Komponisten hatten an diesen Orten Bezugspersonen mit,Kunstsinn, Gespür für Qualität sowie Verständnis für materielle, seelische und gesundheitliche Nöte. Welch ein individueller, spontaner, effektiver Kulturbetrieb! Welche Fülle an Produktionen, die in Kunst- und Literaturgeschichte Furore machten!

Bainer Maria Rilke hat seiner Gön -nerin Marie von Thum und Taxis die Duineser Elegien übergeben, nicht nur sie ihr gewidmet. Mit einem wahren Feuereifer hat sie Rilkes Gabe ins Italienische übertragen. Aufsätze und Briefe an und von Rilke ziehen sich gemeinsam mit Erinnerungen an Dottore Serafico (Rilke im Briefjargon der Fürstin) als roter Faden quer durch ihre Arbeiten, die meist an ihrem Lieblingsplatz, einer Kaminecke der Schloßbibliothek von

Lautschin entstanden. Je nach Saison dufteten ihr Bosen entgegen, oder verströmten Chrysanthemen ihr bleiches Licht.

Seit 1948 sind Bücher und Möbel verschwunden - Banales hat sich zu breit gemacht. Beamte des Prager Transportministeriums residieren jetzt noch hier im Schloß. Auch das Barockschloß Pottenstein aus dem Besitz der Familie Dobrzensky wirkt leer, fast ausgeräumt.

Voller Patienten präsentiert sich Schloß Zdislawitz, der Geburtsort von Marie von Ebner-Eschenbach. Man hat das Gebäude zur Psychiatrie gemacht. Eine Marmorbüste der großen Dichterin aus dem alten Österreich träumt zum Park hinaus. Heimatgefühle hatte die Ebner-Eschenbach nur hier, wohin sie von ihren Reisen, Kuren oder Wienaufenthalten immer wieder zurückkehrte. Sie hat Öster

reich als Vielvölkerstaat mit allen gesellschaftlich-sozialen Phänomenen, Hierarchien und multikulturellen Möglichkeiten gekannt. In Erzählungen hat sie ihn kritisch geschildert. In deutscher Sprache. Einst, als Kind, ließ sie kleine Briefe im Wind von einem Hügel im Park des Barockschlosses aus in die Welt hinausflattern. In tschechischer und französischer Sprache.

Im Schloß Lissitz (Lysice bei Brünn) ist ihre Bibliothek zu sehen. Briefe zeugen von einem regen Gedankenaustausch mit bedeutenden Zeitgenossen, wie zum Beispiel mit

Franz Grillparzer und Betty Paoli, der literarisch ambitionierten Vorleserin aus dem Salon der Fürstin Nanni Schwarzenberg (Wien und Schloß Or-lik). Vorgänger der Paoli bei den Schwarzenbergs war Adalbert Stifter, und zwar bis zu seiner Lehrtätigkeit im Haus Metternich im Schloß Konigswart in Westböhmen bei Marien-bad. Die Fürstin war eine kunstsinnige, ungewöhnliche und schöne Frau, die wußte, welche Personen man zusammenbringt. Die Zeit mit der Fürstin Nanni und in Konigswart spiegelt sich in seinem Boman „Nachsommer”.

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