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Kreuz inmitten des Grauens

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Hürtgenwald — der deutsche Wehrmachtbericht nannte dies Eifelgebiet zwischen Düren und Aachen in den letzten Kriegsmonaten fast täglich. Vom September 1944 bis Anfang März 1945 wogte der Kampf darum hin und her. Die Deutschen spickten den Boden mit Minen und Maschinengewehrnestern, die Amerikaner zerpflügten ihn mit Granaten, Bomben und Panzern. In blutigem Ringen wechselte der Hürtgenwald achtzehnmal den Besitzer. So wurde eine Stätte des Grauens aus ihm; noch heute umstehen Warntafcln das Gebiet, und Minensuchtrupps tasten sich vorsichtig hindurch. Jeder Schritt kann den Tod bringen. Jeder Blick aber begegnet furchtbaren Bildern. Denn immer noch bergen zerwühlte Gräben und Trichter die dem Regen und der Sonne preisgegebenen Überreste toter Soldaten. Und als die Augustsonne das ganze Land versengte, da fürchteten die Eifelbauern, der Hürtgenwald würde zur Brutstätte einer entsetzlichen Seuche werden. Aber ein Waldbrand, sonst so gefürchtet, brachte ihnen heiß-ersehntc Hilfe, und es mag sein, daß von allem heute nur noch Knochen, verrostete Waffen und Patronenhülsen künden.

Mitten durch dies unsagbare Grauen wanderte auf einsamer Straße in den letzten Augusttagen ein wuchtiges Kreuz: das Zeichen des Gebetskreuzzuges, den die Männer des Bistums Aachen am regnerischen Karfreitag in der Scidenstadt Krefeld begonnen. Tag für Tag hatten sie es weitcr-gcschleppt durch das vom Krieg zerstampfte Land am Niederrhein und in der Eifel. Von der Geburtsstadt der katholischen Männerbewegung, in d?rcn Re:hen dieser Kreuzzug gephnt wurde, wanderte es zu dein Städtchen, das den großen Beter des Niederrheins gebar: Thomas von Kempen. Von Kempen ztw dis Kreuz zur alten, ausgebrannten Münsterstadt M.-G 1 a d b a c h, wo einst die älteste beschriftete Glocke Deutschlands zum Gebet rief.- Und dann betrat das Kreuz das Bauernland, auf dessen versengten Feldern die Hoffnung des Volkes am Rhein und Ruhr: eine auskömmliche Ernte, verdorrte. Die Bauern reichten das schwere Kreuz weiter an die Bergleute des Wurm-Kohlenreviers von Alsdorf und Herzogenrath, und die Bergleute begleiteten es zu Hunderten, bis die zerstörteste Stadt Europas es aufnahm: Jülich, von dem nicht einmal drei Prozent erhalten blieben. Bald ragte es inmitten der Trümmer von Düren auf, wo man früher das Haupt der Mutter Anna barg. Und dann stieg es zum Hürtgenwald hinauf. . Die hungernden Bauern der völlig verwüsteten Eifel umfaßten das Holz, und es segnete das aufgerissene, nun noch von der Feuersbrunst niedergefresene Gelände, dem die Amerikaner den Namen „da^ Verdun des.zweiten Weltkriegs“ gaben. Ein Gelände, das Hunderte verschlang, auf die heute noch eine Frau oder eine Mutter warten mas*. Endlich grüßte es die schönen Kunstwerke in der tausendjährigen Reichsabtei Steinfeld, die in ganz Westdeutschland nicht ihresgleichen hat, verweilte bei den kostbaren Heiligtümern im 1100 Jihre alten Kornelimünster — und zeugt fortan im hohen Dom der ruhmvollen Kaiserstadt Aachen von Gebet, Glauben und Gelöbnis der Männer im westdeutschen Grenzland. , So wanderte das Kreuz, in dessen dunkles Holz Professor Anton Wendling das blut-übergossenc Antlitz des Gekreuzigten gleichsam eingebrannt hat, einen weiten, beschwerlichen Weg, und nicht überall wurde es willkommen geheißen. Skepsis und schroffe Ablehnung selbst in geistlichen

Kreisen fanden sich bereit, den Kreuzzug eine Torheit, einen „Betrieb“ und gar ein Ärgernis zu nennen. Besonders in ländlidien Gegenden wiesen vereinzelte Gemeinden das Kreuz ab. Mancher Pfarrer sprach in-seinem Bericht an Bisdiof van der Velden ergreifend von der bangen Erwartung und Besorgnis, mit der er dem Unterfangen entgegengesehen hatte, aber auch von der Überraschung und Begeisterung, die ihn packten, a!s'sich weit mehr Männer, als zunächst vermutet, . um das Kreuz scharten. Wucht und Bannkraft des Kreuzes wirkten tief ein.

Viele Seelsorger bekundeten, angesichts des Christuskopfes, der wie eine lodernde Flamme über den Scharen der Männer stand, seien Gebet, Lied und Predigt geradezu aufgeflammt. Und in der Tat: Männer jeden Alters und aller Schichten schritten neben und hinter dem Kreuz, hielten den Rosenkranz umklammert und beteten: „Der uns den wahren Frieden schenken wolle.“ Je tiefer der Kreuzzug ins Land drang, um so mehr Männer eilten herzu, und schließlich baten zahlreiche Gemeinden, die vom Kreuz nicht berührt wurden, man möge sie e'nbeziehcn in den Weg.

Wo aber das Kreuz für eine Nacht rastete, da gesellten sich abends und frühmorgens die Frauen Und Kinder zu den Männern, und in die gemeinsame Bitte um Frieden mischte sich mit nicht weniger Inbrunst das Bekenntnis der Schuld, die Bereitschaft zur Sühne und das Flehen um das tägliche Brot. Ergreifende Bilder gäbe es zu beschreiben; das Anliegen des Kreuzzuges ist im ganzen Grenzland des deutschen Westens wohlverstanden worden. „Wenn du gern das Kreuz trägst, wird es dich tragen und zu dem ersehnten Ende führen —-“: in diesem Gedanken des Thomas von Kernpen. trugen die Männer der Eife! und des Niederrheins das Kreuz, und dabei schulterten sie alle die Sorge und den Jammer um die Kriegsgefangenen, die Vertriebenen, die Gemordeten, um die von unübersehbarer Hungersnot und neuer Grenzziehung bedrohte Heimat.

Bischof van der Velden erkor sich den Wahlspruch: „Im Kreuz ist Heil.“ Dies Wort begleitete den Zug. „Im Kreuz ist Heil!“ riefen die Männer einander zu, wenn sie an den Pfarrgrenzen das Kreuz übergaben, beziehungsweise übernahmen. Und die Straßen der Kreuztracht, die Beichtstühle und Kommunionbänke waren Zeugen des Heils das das Kreuz dem Grenzvolke sdienkte. Es war ein Kreuzzug für den inneren und äußeren Frieden, entsprungen aus dem heißen Verlangen, im eigenen Volke zwischen den Konfessionen und widersprechenden Anschauungen und zwischen den Völkern im Geiste des Bekenntnisses eigener Schuld und Fehle der Versöhnung, dem Wieder-Bruder-Werden zu dienen. Man ist nicht umsonst ausgezogen. Nicht nur aus der Schweiz und aus England kamen verständnisvolle Stimmen. Auf gleiche Eindrücke deuten auch die Grüße, die aus Frankreich kamen. Kardinal Saliege von Toulouse sandte sie als erster, Bischof Theas von Lourdes und Tarbes folgte. Er lud Aachener Männer zur großen „Wallfahrt der Nationen“ mach Lourdes in, und Anfang August sdirieb er an die Katholische Männerbewegung (KMB), er habe dem Heiligen Vater vom Kreuzzug der Aachener Männer berichtet. Der Papst habe mit tiefer Ergriffenheit zugehört und ihn dann gedrängt, an. den Abschlußfeierlichkeiten, den „Ft iedenstagen in A a c h e n“, teilzunehmen, außerdem werde Pius XII. einen päpstlichen. Legaten entsenden. Nach ihren schriftlichen Zusagen werden also in den letzten Septembertagen zum erstenmal, nach fast einem Jahrzehnt, französische Bischöfe deutschen Boden betreten. Während der „Friedenstage“, die eine Woche des Männergebetes im ganzen Bistum bgleitet, werden sie mehrmals zu den Vertretern der deutschen Diözesen und diözesaner Einrichtungen sprechen. Und es ist zu hoffen, daß sich aus dieser Begegnung, die dem echten Frieden zwischen Konfessionen und Nationen dienen soll, eine engere Verbindung der französi-sdien Bewegung „Pax Christi“ mit den deutschen Kreuzträgern sich entwickelt.

Ich habe mir die Zeitungen vom vorigen Jahre binden lassen. Es ist unbeschreiblich, was für eine Lektüre dieses ist: fünfzig Teile falsche Hoffnung, siebenundvierzig Teile falsche Prophezeiung und drei Teile Wahrheit. Diese Lektüre hat bei mir die Zeitungen von diesem Jahre sehr herabgesetzt; denn ich denke: Was diese sind, das waren jene auch. , . , . . . .

(Lichtenberg, Aphorismen)

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