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Krieg allem, was Franzose heißt!

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So grundverschieden Nordafrika auch von Indochina sein mag — im Grundsätzlichen macht Frankreich in Algerien die gleichen Erfahrungen wie in Indochina. Heute scheint der Punkt erreicht, wo sich der algerische Maquis aus einer mit Formeln der westeuropäischen (französischen) Demokratie arbeitenden Emanzipationsbewegung in einen totalitären Organismus umwandelt. Diese Umstellung geht einher mit einem Wechsel in der Führungsschicht: die im Pariser Quartier Latin aufgewachsenen, vorwiegend arabischen Politiker wurden anscheinend endgültig in den Hintergrund gedrängt durch eine rein kabylische (berberische) Gruppe

um Ramdan Aban, die teils aus früheren französischen Unteroffizieren besteht und ihre Karriere ausschließlich im Untergrundkampf gemacht hat.

Sichtbares Signal der Wandlung ist ein Artikel aus dem französisch geschriebenen Organ „E1 M o u j a h i d“, das als Sprachrohr der „N a t i o-nalen Befreiungsfront“ (FLN) dient. In diesem Artikel wird mit äußerster Brutalität einer Fiktion ein Ende gemacht, die bisher sowohl vom FLN wie von seiner an die Wand gedrückten Konkurrenzbewegung, der „Algerischen NationaLbewegung“ (MNA) des in Frankreich internierten M e s s a 1 i Hadj, aufrechterhalten wurde: der Fiktion nämlich, daß der Kampf des algerischen Maquis nicht Frankreich, sondern dem französischen Kolonialismus gelte. Aufgebracht über die Mahnungen der antikolonialistischen Linken in Frankreich, den wahllosen Terror einzustellen, hat der Maquis in dem erwähnten Artikel alle Gefühlsbindungen an diese Linke gekappt. Der Terror könne nicht „selektiv“ sein, weil der algerische Kampf dem französischen Volk als Ganzem gelte.

Das ist bitter für die französischen Antikolo-nialisten, die seit Jahren einen mühsamen Kampf gegen die aufgeputschte öffentliche Meinung ihres Landes führen und dem Kolonialkrieg ein Ende machen möchten. Gewiß finden sich unter ihnen auch Männer der Mitte und der Rechten; den Hauptstamm aber bilden die im Bannkreis des Marxismus stehenden Linksintellektuellen. Denen wird nun kühl gesagt, daß es eine Solidarität der Arbeiterschaft des kolonisierenden Volkes mit dem kolonisierten Volk nicht,-geben könne. Und das kann von einem einsichtigen Beobachter gar nicht bestritten werden. Nicht nur macht der im französischen Volk mehr um sich greifende Algerierhaß, der sogenannte „Antisidismus“ (von „Sidi“, als dem Spitznamen für einen Algerier), auch unter der marxistisch beeinflußten Arbeiterschaft s#inen Weg. Auch bei den extrem kolonialistischen Kampforgani-

sationen in Algerien ist festzustellen, daß die armen Weißen den Löwenanteil der Mitglieder stellen.

Ebenso macht sich der Artikel in „El Mou-Jahid“ auch lustig über die Bestrebungen derselben französischen Linken, bestimmte Männer, wie etwa die Algerien-Milliardäre Borgeaud und Blachette, als die Bösewichte des Kolonialismus herauszustellen-. Mit den Popanzen solcher „Sündenböcke“ verwische man, daß der Kolonialismus gar nicht in erster Linie wirtschaftliche Ausbeutung sei — zuerst sei er vielmehr eine militärische Eroberung, der mit Polizeimitteln Dauer verliehen werde.

„Das Statut des Franzosen in Algerien ist das Statut eines Unterdrückers. Kein Franzose in Algerien kann neutral oder unschuldig sein. Jeder Franzose in Algerien unterdrückt, verachtet, beherrscht... Man hat vorgebracht, daß nicht alle Franzosen in Algerien Kolonisten seien, und man hat Stufen innerhalb des Kolonialismus festgestellt. Der französische Kolonialismus ist jedoch ein zusammenhängender Block, der eines Herrn Borgeaud gar nicht bedarf. Die französische Herrschaft ist die Totalität der Kräfte, die sich der Existenz der algerischen Nation entgegenstellen. Herr Blachette ist nicht mehr ein • .Kolonialist' als ein Polizist, ein Feldhüter oder ein Lehrer.“

Daß sogar der (notorisch sozialdemokratische) Schullehrer zum Kolonialisten gestempelt wird, ist ein Stich ins Herz jedes französischen „Linken“. Doch der Artikel fährt fort:

„Der Algerier empfindet den französischen Kolonialismus global — nicht um der Simplifizierung willen oder aus grundsätzlichem Fremdenhaß, sondern weil de facto jeder Franzose in Algerien

mit dem Algerier Beziehungen unterhält, deren Grundlage die Gewalt (force) ist. Der Hinweis auf Franzosen, die außerordentlich nett sind zu den Algeriern, ändert daran nicht das geringste. .“

Die Stellungnahme des FLN geht aber noch weiter. Nicht nur jeder Algerienfranzose, auch

die Franzosen des Mutterlandes gelten durch die Bank als Feinde. In einer Kolonie, in der die Kolonialmacht nur durch Truppen und ein paar Verwaltungstechniker vertreten ist, könne man allenfalls noch von einer Unwissenheit und damit Unschuld anderer Teile des kolonialisieren-den Volkes sprechen. Algerien jedoch werde von der Kolonialmacht in breiter Ausdehnung bevölkert. Und nach einem vielzitierten Spruch habe jeder Franzose „einen Cousin in Algerien“. Darum sei jeder Franzose und jede Französin Kolonialist, sei jeder Komplice der Morde und Folterungen an Algeriern. Es sei eine Scheinheiligkeit der französischen Linken, wenn sie den „Kolonialismus“ mit der Mahnung bekämpfe, Frankreich müsse seiner Geschichte treu bleiben: diese Geschichte bestehe ja gerade zu einem Großteil aus Kolonialismus. Man sieht: radikaler könnte man die Vormundschaft der Sorbonne nicht abschütteln.

Die Schlußfolgerung des Artikels lautet: „Heute ist jeder Franzose in Algerien als feindlicher Soldat zu betrachten. Das ist die logische Konsequenz, solange Algerien nicht unabhängig ist. Herr Lacoste hat das begriffen, als er eine .mobili-sation en surface' (ungefähr als .vollständige Mobilisierung' zu übersetzen) aller in Algerien wohnenden Franzosen und Französinnen vornahm.“ Auch das ist eine sehr bittere Pille für die französischen Antikolonialisten: daß ihr „schwarzer Mann“, der Algerienminister Lacoste, besser als sie begriffen habe, worum es gehe ...

Was bedeutet der Artikel von „El Moujahid“, der bisher von keiner Stelle des FLN desavouiert worden ist? Er bedeutet, daß eine totalitär dankende (und totalitär sich ausdrückende) Gruppe im Namen des algerischen Maquis der französischen Nation als ganzer — notorische Antikolonialisten wie Mendes-France und Francoise Mauriac inbegriffen — den totalen Krieg erklärt. Ein totaler Krieg notabene, auf den Frankreich mit einem ebenso totalen Krieg zu antworten kaum in der Lage ist.

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