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Kriegsgericht

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Der amerikanische Autor S a u 1 L e v i 11 hat ein Stück geschrieben, das soeben, kurz nachdem es in Deutschland Anlaß von Demonstrationen war, in der Josefstadt von Franz Reichert herausgebracht wurde: „Der Andersonville-Prozeß“. Derselbe Autor hat ein im Programmheft abgedrucktes Leitwort verfaßt, in dem er diesen Prozeß kurz nach der Beendigung des Sezessionskrieges 1865 mit den Prozessen gegen deutsche Kriegsverbrecher nach 1945 vergleicht. Beklemmend nah unserer Zeit scheint die Sachlage zu liegen. Hier, vor dem amerikanischen Kriegsgericht, kämpft ein Lagerkommandant aus der Armee der Südstaaten um sein Leben. Dieser gebürtige Schweizer ließ 14.000 Soldaten der Nordstaate in dem ihm anvertrauten Gefangenenlager zugrunde gehen. Er ist fest überzeugt, unschuldig zu sein, sieht in dem ganzen Prozeß nur eine Gehässigkeit, eben die politische Rachsucht der Sieger, die über die Besiegten auch noch zu Gericht sitzen wollen.

Das Makabre nicht an dem Stück an sich, wohl aber in seiner Aufführung, ist, daß eben diese über die längsten Strecken hin den Eindruck erwecken muß: ja. dieser Angeklagte — und wie viele nicht-angeklagte Schuldige hierzulande sehen sich nicht gerne in dieser wuchtigen klobigen Gestalt, die, verkörpert durch Jochen Brockmann wie ein Michael Kohlhaas wirkt — hat recht. Ihm geschieht unrecht, damals, wie es heute so vielen geschehen ist. Der Autor trägt selbst Schuld daran, diese Assoziationen noch zu unterstreichen, indem er das Unvergleichliche vergleicht: Auschwitz und Buchenwald, die Lagerwelt Hitlers, Höss' und Globocniks und den Prozeß gegen den Kommandanten von Andersonville vor rund hundert Jahren. Echten Gegenwartsbezug hat nämlich nur ein Moment, und dieses wird zwar treffend, aber viel zu kurz im letzten Akt herausgestellt: die Frage des militärischen Gehorsams. Geht das Menschenrecht vor? Der Kammandant von 1864 beruft sich, wie so viele seiner geistigen Söhne. Enkel und Urenkel für das, was er geschehen ließ, auf den Befehl seines vorgesetzten Generals. Der Verteidiger weist ihm nach, daß er durchaus imstande gewesen wäre, die 14.000 Mann zu retten, wenn er selbständig etwas unternommen hätte, die sanitären Verhältnisse zu bessern und Lebensmittel im reichen umliegenden Lande zu requirieren. Der US-Staatsanwalt kommt hierbei selbst in einen echten inneren und dann auch äußeren Konflikt mit dem Vorsitzenden General dieses Gerichtshofes, da dieser in der unerschütterlichen Allianz aller Generale unserer Zeiten das peinliche Problem: Menschlichkeit kontra militärischen Gehorsam, umschiffen möchte. Hier liegt ein echter Höhepunkt dieses recht starken Dramas. Hier liegt ein echter Bezug zur Gegenwart vor. Leider wird dieser vom Autor zuwenig herausgearbeitet. Völlig abwegig, irreführend ist jedoch jeder Vergleich mit den KZ.s Hitlers. Es ist eben nicht ..Buchenwald, madein USA“, wie es eine sehr USA-freundliche Wiener Zeitung betitelt; Vulkane lassen sich nicht mit Hausbränden, Sintfluten nicht mit

Sturzbächen vergleichen. Die „Hölle“ von Andersson-ville — Gefangene aller Länder und Zeiten erfahren ihre Lager als Hölle — ist durchaus noch auf dieser alten Erde beheimatet: in der Härte, Dummheit, im beklagenswerten Haß und der Indolenz, hier eben dieses naturalisierten Schweizers. Die Höllen von Auschwitz, Bergen-Belsen, Gasen, Dachau, Buchenwald reichen in ganz andere Dimensionen hinab.

Gespielt wird vorzüglich. Kurt Heintel als Staatsanwalt: eine überzeugende Leistung, die das ganze Stück trägt. Beklemmend gegenwartsnah der bullige Jochen Brockmann als angeklagter Lagerkommandant: eine in sich tragische Gestalt, tief überzeugt von seinem Recht; man sieht es dieser ganz in sich geschlossenen Gestalt an, daß sie keine Poren besitzt, um eine andere Sicht der Dinge, geschweige denn ein über ihm stehendes Recht auch nur wahrzunehmen. Erik Frey amtiert als ein überaus gewandter Verteidiger. Treffend in kleinen Rollen: die Herren Schrenk, Wieland, Hebenstreith, Matic.

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