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Eines Nachmittags wollte ich meinen alten Freund Grobbelvink, Direktor des Museums „Amsterdamer Kunstbesitz“, noch aufsuchen. Grobbelvink war immer ein Mann nach meinem Herzen gewesen. Am Morgen seiner Volljährigkeit war er im Bett wach geworden und hatte den Entschluß gefaßt, von diesem Augenblick an nie mehr etwas zu tun. Er hatte eine Lüsterjacke angezogen und weiter sich darauf beschränkt, alle Arbeit planmäßig zu meiden. Seine Treue diesem Prinzip gegenüber wurde schließlich belohnt. Als er dreiundfünfzig Jahre alt war, bot man ihm die Direktorstelle eines Museums an, das genau das war, was er suchte. Alle Gemälde hingen an ihrem Platz, und Grobbelvink brauchte nichts anderes zu tun, als in seiner Lüsterjacke

ein wenig herumzugehen oder hinter der Tür seines Direktorzimmers, auf der „Besuch“ stand, ein Buch zu lesen. Manchmal tat er sogar das nicht einmal und schlief auf einem Schaffell, vor einem Schützenstück von Knekelbeen, den ganzen Tag lang. Es gab auch drei Saalwärter, schweigsame, ein wenig mürrische Greise mit Mützen auf. Auch sie schliefen meistens. Neben dem Gemälde von Kokkelhoom, das die Erstürmung von Jericho darstellte, stand ein breites Sofa, auf dem man sie alle drei liegen sehen konnte, behaglich schnarchend aus ihren ungewaschenen Köpfen. Es war ein herrliches Museum.

Manchmal kamen auch Besucher. Nicht viele, aber sie kamen doch. Es waren richtige

Kenner, die ruhig auf ein Gemälde zuschritten und in stundenlanger Betrachtung vor ihm ihre Butterbrote aßen. Manchmal verbrachten sie da die Nacht. Es ist vorgekommen, daß einer von ihnen, ein Freund von Stilleben, eine volle Woche in demselben Saal verweilte, von einem Bündel Knoblauch zum anderen herum schlendernd und zufrieden seine Pfeife rauchend. Grobbelvink fand alles bestens. Manchmal gab er einem Besucher ein Gemälde mit, um es zu Hause noch einmal aufmerksam zu betrachten. Er wollte aber unbedingt, daß man es zurückbrachte. Nun, so gehört es sich.

Selbstverständlich kamen wohl mal Unregelmäßigkeiten vor. So erschien im Jahre 1938 ein Lehrer, eine ganze Klasse hinter sich. Es war ein Mann mit leuchtenden Augen und einem Schillerhemd. Mittels eines Stocks mit Gummihütchen zeigte er auf mehrere auffallende Partien eines Seestücks von Bon-tekve. Hiernach begann er mit lauter Stimme alle Aepfelchen auf einem Stilleben Luttel-mans' zu erklären. Grobbelvink erhob sich von seinem Schaffell und hörte mit Entsetzen zu. Plötzlich wandte der Lehrer sich an den lahmen Barend, einen der Saalwärter, und fragte: „Gehört Luttelmans zu den Impressionisten?“ Der Saalwärter war ein ehemaliger Seemann, in vielen Abenteuern gehärtet, aber jetzt erblich er doch. „Wollen Sie es noch einmal sagen?“ bat er ungläubig. Der Lehrer wiederholte seine Frage. Der Mann schlurfte nach Grobbelvink und überbrachte ihm die entsetzlichen Worte. Grobbelvink erstarrte. Doch bald faßte er sich. „Heraus mit dem Gesindel“, schrie er, „meine Gemälde sind nicht zum Aufschneiden, sondern zum Anschauen.“ Grobbelvink schloß das Museum auf einen Monat und ging nach Scheveningen, um sich durch die stärkende Seeluft ein wenig zu erholen. Hierauf ließ er die Stelle, wo der Lehrer gestanden hatte, mit Lysol ausspülen, und es gelang ihm, das Geschehene allmählich zu vergessen. Solch ein Museum war das.

Vor kurzer Zeit empfand ich Bedürfnis, diese Oase noch mal zu besuchen. Ich war seit Jahren nicht dagewesen. Ich nahm eine Butterbrotbüchse mit, einen Klappsitz und eine Feldflasche, denn hetzen war Grobbelvink zuwider. Sofort beim Eingang sah ich

schon, daß etwas nicht in Ordnung war. Menschen standen Schlange, und in der Türöffnung saß der lahme Barend, eine nagelneue Mütze auf dem Kopf. Er besah mich vom Kopf bis zu den Füßen, doch er erkannte mich nicht. „Was möchten Sie?“ fragte er schließlich. „Herein“, sagte ich. „Das möchten wir alle“, sagte er, „zwei Gulden und hinten anstehen, bitte.“ Kaum stand ich fünf Minuten da, so fuhr ein Möbelwagen vor, voll bunten Glasfenstern aus der Kathedrale von Chartres. Zugleich erschienen drei Handkarren mit Kinderzeichnungen. Sofort darauf traf ein Schlepper mit einem riesigen Anhänger ein, bis an den Rand mit Negerplastik gefüllt. Ich konnte meinen. Augen nicht glauben. Die großen Flügeltüren des Museums flogen auf und da stand Grobbelvink, mit zerzausten Haaren und einem energischen Blick. Er erkannte mich sofort. „Kulturaustausch“, sagte er, mir die Hand drückend, „du triffst es heute. Aber wie bekomme ich es herein. Warte mal, wenn wir nun zuerst die Kirchentüren von Köln und die Chorbänke von Dirschot hinausschmeißen, dann habe ich ein wenig Luft. Die stehen hier doch schon eine Woche, der Andrang nimmt ab. Zupacken, Jungen.“

Im Nu flogen die Chorbänke und die Türen des Kölner Doms auf die Straße. Ein vorüberlaufender Hund geriet unter, einen der Kolosse und war so platt wie ein Pfennig. „Ja, das hat man mit dieser Arbeit aus dem Mittelalter“, sagte Grobbelvink, „diese Kerle liebten keine halben Maßnahmen. Wer darunter kommt, der hat kein Bleiben mehr. Neuerdings hatte ich ein paar Grabsteine aus Abessinien an meiner Wand hängen und an einem Sonntagmorgen donnert der mittlere herunter auf sechs Amerikaner, die eben dafür herübergekommen waren. Die Rückfahrkarten waren nicht mehr nötig. Barend, haben wir Luft?“

„Wir pfropfen es schon“, sagte Barend.

„Fahrt dann herein, Jungen. Zuerst die Negerplastik. Das geht immer herein, wie Kuchen. Und was haben wir da? Kinderzeichnungen und bunte Glasfenster. Nicht französische Teppiche und Bettdecken?“

„Morgen, Chef“, sagte Barend.

„Stelle die Rubensen und Halsen nur au( den Dachboden“, sagte Grobbelvink, „dann kommt wieder eine Wand frei “

„Die sind schon weg, Chef“, sagte Barend. „Austausch mit Brüssel.“

„Nun, sieh mal“, sagte Grobbelvink zufrieden, „die Ruisdaels aus Saal 3 sind nach Deventer, stelle dorthin nur Kathcdralfenster. Schicke alles, was wir an Nackt haben nadi Bordeaux. Die sehnen sich darnach. Was frei kommt, ist für Kinderzeichnungen. Holla! was haben wir da?“ Acht gotische Taufbecken fuhren vor.

„Alle Wetter“, sagte Grobbelvink, „ich hatte diese Dinge vergessen. Stelle sie inzwischen draußen auf. Wenn es schon regnet, sie ertragen wohl einen Trpfen- Aber komm doch herein, du wirst staunen.“

Er hatte recht. Es war, als träte ich in ein ganz neues Museum. Holzschnitte aus Bern, Teemützen aus Albanien, Andachtsbilder aus Polen, alles stand aufgestellt.

„Wie findest du es hier?“ „Bester Kerl“, sagte ich, „du bleibst nicht hinter deiner Zeit zurück. Aber das genügt nicht. Du mußt deiner Zeit voraus sein.“

„Eben“, sagte Grobbelvink, „darum geht es. Hast du eine Idee?“

„Ich habe eine Idee“, antwortete ich, „und zwar folgende: Du gehst auf die Suche nach Museumdirektoren vom alten Schrot und Korn und du versuchst diese Kollektion mit einigen Besuchern zu bereichern, die es nett finden, wenn alles an seinem Platz hängen bleibt. Du baust eine kleine Vitrine davor .und stellst sie in einer Reihe hinein. Dann hast du etwas, was kein Museum mehr besitzt.“

Grobbelvink staunte mich aufmerksam an. „Ich traue dir nicht“, sagte er sinnend, „die Idee ist aber glänzend. Nur dieses Bedenken: sind diese Kerle noch zu finden?“

„Schwer“, antwortete ich, „du mußt natürlich in die Provinz gehen. Du kannst auch mit dem Auslande verhandeln. Austausch. Es sind alte Kulturgüter und sie verdienen aufgestellt zu werden. Ueber ein Jahr kann es zu spät sein.“

„Richtig!“ sagte Grobbelvink. „Barend, wirf die Negerplastik heraus, bestelle ein Taxi, und mache die linke Wand von Saal 5 frei.“

Aus dem Niederländischen übersetzt

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