6668393-1960_47_20.jpg
Digital In Arbeit

Künstlerwitwe und Enfant terrible

Werbung
Werbung
Werbung

Es gibt da in dem Erinnerungsbuch von Alma Mahler (auf Seite 202) eine aufschlußreiche Stelle. Sie berichtet von einem Besuch Hofmannsthals bei der bekannten, berühmten und auch ein wenig berüchtigten Frau. Alma Mahler charakterisiert Hofmannsthal als einen „strengen, etwas unnahbaren Menschen“ und gesteht, daß sie ihm erschrocken und mit großer Beklemmung gegenübersaß, weil sie ihm „nichts zu sagen hatte“. Hofmannsthal war also gekommen und sagte „etwas grausam“ zu der ihm bisher unbekannten Dame: „Ich hab' schon so viel von Ihnen gehört, daß ich jetzt selber dahinterkommen möcht', wer Sie eigentlich sind . . .“. denn was er von ihr gehört habe, sei ihm so sympathisch gewesen. Dann heißt es weiter: ..Er blieb ein paar Stunden bei mir, aber er ging bestimmt enttäuscht fort, denn ich konnte nicht reden.“ Über diese Unterhaltur.g hat Hofmannsthal, zumindest schriftlich, nichts verlauten lassen. Und das wird seine guten Gründe gehabt haben. Auch dem, der Alma Mahler nicht persönlich gekannt hat, ist es unmöglich, sich aus ihren Memoiren ein Bild dieser ungewöhnlichen Frau zu machen. Die in dem Buch reproduzierten Bilder, von dem bildschönen jungen Mädchen, der Tochter des Wiener Landschaftsmalers Schindler, bis zu der alten Dame, die in Beverly Hills sich mit der aufgeschlagenen Partitur von Gustav Mahlers zehnter Symphonie photographieren ließ, helfen uns gleichfalls nicht weiter. — Alma Mahler hatte mit 23 lahren den um 19 Jahre älteren Gustav Mahler kennengelernt und geheiratet. Vier Jahre nach dessen Tod war sie mit Oskar Kokoschka verbunden. Danach vermählte sie sich mit dem Architekten Walter Gropius, von dem sie sich scheiden ließ, um zuletzt Franz Werfel zu heiraten, dem sie bis zu seinem Tod eine treue Gefährtin war. Zwischendurch war sie (nach einer ersten unerfüllten und schwärmerischen Jugendliebe zu dem Maler Gustav Klimt) mit Max Burckhardt, Alban Berg, Franz Blei, Lion Feuchtwanger. Egon Friedell. Gerhart Hauptmann, Johannes Hollnsteiner, Erich Wolfgang Korngold. Willem Mengelberg. Hans Pfitz-ner, Arthur Schnitzler, Arnold Schönberg, Franz Schreker, Bruno Walter und Alexander von Zem-linsky, ihrem ersten Kompositionslehrer, eng befreundet bezw. in irgendeiner Art liiert. Mit Resignation berichtet sie von ihrem eigenen schöpferischen Talent, das sie dem größeren von Gustav Mahler geopfert habe. Aber dann verzichtet sie zugunsten ihrer großen Künstlerfreunde und resümiert am Schluß ihres Erinnerungsbuches: „Mein Leben war schön. Gott vergönnte mir, die genialen Werke in unserer Zeit zu kennen, ehe sie die Hände ihrer Schöpfer verließen. Und wenn ich für eine Weile die Steigbügel dieser Ritter des Lichts halten durfte, so ist mein Dasein gerechtfertigt und gesegnet.“ In der Tat: Eine schöne Aufgabe für eine Frau. Außerdem hatte Alma Mahler mehrere Kinder, von denen sie eine Tochter (von Gustav Mahler), einen S.ohn und eine Tochter (von Gropius) durch den Tod verloren hat.

Außer den genannten Männirn stand Alma Mahler mit einer großen Anzahl, ja mit fast allen berühmten Künstlern ihrer Zeit in irgendwelcher Verbindung und hat über wichtige kulturelle Ereignisse dieser ersten Jahrhunderthälfte Aufschlußreiches, wenn auch nicht immer Authentisches, zu berichten. In dieser Art schildert sie auch die Männer, die in ihrem Leben eine Rolle gespielt haben. Und hier beginnt die Fragwürdigkeit ihres Buches. Ihre Schilderungen und Charakterisierungen sind nämlich von einer Direktheit und Indiskretion, daß man die so Abkonterfeiten gerne vor ihrer gewalttätigen Liebe in Schutz nehmen möchte. Wenn sie zum Beispie! von einem bekannten Komponisten ihrer Zeit sagt, er sei „eine merkwürdige Mischung von Geist und konstitutioneller Unbildung“ gewesen, so mag das ganz treffend sein — aber man schreibt so etwas nicht. Es gibt viel schlimmere und viel verletzendere Apercus in diesem Buch, so daß sich der Leser, besonders auf jenen Seiten, wo die Intimsphäre ausgeleuchtet wird, recht unwohl zu fühlen beginnt und versucht ist. diese quasi „verbotene Lektüre“ abzubrechen. Dabei gesteht der Herausgeber dieses Buches. Willy Haas, daß er aus dem umfangreichen Manuskript bereits eine Auswahl getroffen habe, da sich darin allzu viele irrtümliche und gefährliche Urteile über noch Lebende finden . . .

Von ganz anderer Art ist das Erinnerungsbuch von George Antheil. das unter dem Titel „Bad Boy of Music“ bereits 1945 in Amerika erschienen ist und jetzt vom Langen-Müller- Verlag in einer schönen Ausgabe und in einer vorzüglichen Übertragung durch Jutta und Theodor Knust vorgelegt wird. George Antheil, in Amerika geboren und aus einer im ehemaligen Deutsch-Polen ansässigen Familie stammend, ist eine der merkwürdigsten Figuren der neuen Musik. Sein erstes Auftreten in Europa im Jahre 1922, zuerst in London, dann in Berlin, fällt mit der revolutionären Phase der neuen Musik zusammen. Sein ganzes Leben und sein kompositorisches Schaffen ist von Skandal umwittert. In

Amerika zunächst ignoriert, gilt er in Europa als Inbegriff der transatlantischen Musik-Moderne, welcher er in seiner „Airplane-Sonata“, den „Mecha-nism“, der „Sonata sauvage“, der Oper „Trans-atlantic“ und der Musik zu dem Leger-Film „Ballet mecanique“ huldigte. Antheil war eine bezaubernde Erscheinung und ein glänzender Pianist. Mit seinen donnernden Rhythmen und krachenden Akkorden, welche er auf dem Klavier hervorzubringen verstand, bildete er vielleicht die größte Modesensation jener an kühnen Experimenten keineswegs armen zwanziger Jahre. Eine typische Antheil-Story: 1924 engagiert man ihn für die Eröffnungsnummer des schwedischen Balletts im Theater des Champs-Elysees. Alles, was damals in Paris Rang und Namen hatte, war anwesend: Picasso, Strawinsky, Auric, Milhaud. Joyce, Satie, Diaghilew, Miro und viele andere. Grelle Scheinwerfer sind auf die Bühne gerichtet und tasten die Logen mit den Zelebritäten ab. Es gibt einen beispiellosen Skandal, den Antheil — sehr zufrieden — für sich bucht. Er hatte ihn auch ausgelöst — aber man brauchte diese Szene für einen Film, der gleichzeitig gedreht wurde, ohne daß man (angeblich!) den jungen Pianisten davon in Kenntnis gesetzt hätte. Solche Geschichten erzählt Antheil am laufenden Band. Sie sind immer amüsant, selten indiskret, schwer nachprüfbar, aber manchmal doch ein wenig unwahrscheinlich. Trotzdem nimmt man diesem charmanten Plauderer, der eines der heitersten und unterhaltsamsten Memoirenbücher dieser Zeit geschrieben hat, nichts übel. Vor allem deshalb nicht, weil er, in kindlicher Naivität, auch sich selbst nicht schont. — Auch in diesem Buch finden sich Begegnungen mit berühmten und berühmtesten Zeitgenossen, wie Bartök, Satie, Schönberg, Strawinsky, Milhaud. Krenek, Ernest Bloch, Balanchine, Cocteau, Stokowski und seiner Frau Gloria Vander-bilt, Ansennet, Steward Anderson, Cecile de Mille, Erskine, dem irischen Dichter Yeats und vielen anderen. Man erfährt auch über die Pioniertätigkeit auf dem Gebiet der neuen Musik von H. H. Stucken-schmidt in Berlin und dessen Freund, dem Dirigenten Schulz-Dornburg, der einer der berühmtesten deutschen Kampfflieger im ersten Weltkrieg war. — Seit 1924 bewohnte Anfheil mit seiner Frau Boski, einer Nichte Arthur Schnitzlers, eine kleine Zweizimmerwohnung in Paris, die ein Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde von damals war. Sein letzter Streich — in den USA. wo George Antheil auch gestorben ist — war (im Jahre 1940) die Erfindung eines funkgesteuerten Torpedos, eine Erfindung, die er gemeinsam mit der von ihm sehr verehrten Filmschauspielerin Hedy Lamarr gemacht hat. Eine typische Antheil-Storv deren es, wie gesagt, in diesem Buch unzählige gibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung