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Kulturpolitik

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Mit dem Beginn des Sommers hat die kulturpolitische Auseinandersetzung in Österreich an Lebhaftigkeit zugenommen. Es geht um Sinn und Recht sommerlicher Ausstellungen, um die Festspiele in Salzburg und an anderen Orlen, um politische und weltanschauliche Bezüge. In diesem Zusammenhang hatte die Rede des Bundesministers für Unterricht Dr. Ernst Kolb anläßlich der Eröffnung des Grazer Künstlerhauses besonderes Profil; mit Beifall auch von der extrem linken und extrem rechten Presse bedacht, Anlaß einer Wechselrede im Nationalrat. wurde sie von vielen als eine Verurteilung der modernen Kunst und als ein programmatisches Bekenntnis zu einer streng konservativen Kulturpatronanz aufgefaßt. Um hier Klarheit zu schaffen, lud die Sendergruppe Rot-Weiß-Rot Minister Dr. Kolb zu einer Aussprache mit Dozent Dr. Friedrich Heer ein, die wir hier wiedergeben, da sie geeignet erscheint, den Dingen ihr rechtes Maß zu geben. Die Kulturpolitik Österreichs steht „im Scheinwerferlicht“ nicht nur des Rundfunks, sondern der ganzen freien Welt, die Stellungnahme ihres verantwortlichen Leiters verdient also besondere Beachtung.

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Mit dem Beginn des Sommers hat die kulturpolitische Auseinandersetzung in Österreich an Lebhaftigkeit zugenommen. Es geht um Sinn und Recht sommerlicher Ausstellungen, um die Festspiele in Salzburg und an anderen Orlen, um politische und weltanschauliche Bezüge. In diesem Zusammenhang hatte die Rede des Bundesministers für Unterricht Dr. Ernst Kolb anläßlich der Eröffnung des Grazer Künstlerhauses besonderes Profil; mit Beifall auch von der extrem linken und extrem rechten Presse bedacht, Anlaß einer Wechselrede im Nationalrat. wurde sie von vielen als eine Verurteilung der modernen Kunst und als ein programmatisches Bekenntnis zu einer streng konservativen Kulturpatronanz aufgefaßt. Um hier Klarheit zu schaffen, lud die Sendergruppe Rot-Weiß-Rot Minister Dr. Kolb zu einer Aussprache mit Dozent Dr. Friedrich Heer ein, die wir hier wiedergeben, da sie geeignet erscheint, den Dingen ihr rechtes Maß zu geben. Die Kulturpolitik Österreichs steht „im Scheinwerferlicht“ nicht nur des Rundfunks, sondern der ganzen freien Welt, die Stellungnahme ihres verantwortlichen Leiters verdient also besondere Beachtung.

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„Die österreichische Furche“

HEER: Sie wissen, Herr Minister, daß Ihre Rede über die moderne Kunst in Graz beträchtliches Aufsehen erregt hat. Nicht wenige geistige Arbeiter .hat Ihre Grazer Rede — ich darf es offen gestehen — mit Sorge erfüllt. Die Zeiten autoritärer Eingriffe in das Kunst- und Kulturleben sind uns noch zu nah, und da ist sie für manche ein Signal gewesen zu einer eigentümlichen Hetze gegen den freischaffenden Künstler und alle, die der modernen Kunst nahestehen.

DER MINISTER: Ich verstehe nicht, wieso Sie sich so sehr für die moderne Kunst ereifern: wenn Sie den Wortlaut meiner Rede durchsehen, finden Sie den Ausdruck „moderne Kunst“ überhaupt nicht. Es ging mir gar nicht um die eine oder andere Kunstrichtung, sondern um die Klarstellung, daß es’ neben den von mir näher geschilderten Werken, die vielleicht zur modernen Kunst gehören, auch andere Werke der Kunst gibt. Ich vertrete gewiß nicht die Anschauung, daß Kunst ist, was in München hing. Ebenso muß ich aber darauf achten, daß nicht bloß das Kunst ist, was die Biennale zeigt.

HEER: Der Gesamttenor Ihrer Grazer Rede, verehrter Herr Minister — und das bezeugen auch die Presseberichte —, erschien vielen dennoch als ein so massiver Angriff auf die moderne Kunst, Wenn Sie etwa von der „Überheblichkeit“ der jungen Künstler sprachen und von dem „Hochmut“ der modernen Kunst. Dürfen wir hier nicht daran erinnern, in wjelcher grenzenlosen Einsamkeit und Mot die geistig Schaffenden und gerade unsere jungen Künstler heute leben?

DER MINISTER: Die Frage wegen des Hochmutes kann Ihnen am besten Picasso Seantworten, wenn Sie sich die Mühe nehmen, hier in der schweizerischen unabhängigen Tageszeitung „Die Tat“ vorn 20. Juni dieses Jahres sein Interview mit Giovanni Papini zu lesen. Er sagt: „Ich habe seit dem Kubismus diese Tonangebenden und Kritiker Zufriedengestellt mit all dem bizarren Zeug, das mir durch den Kopf ging, und je weniger sie begriffen, um so höher bewunderten sie. Indem ich mit diesen Spielereien, diesen kopfzerbrecherischen Rätseln und Artistenzeug belustigte, wurde ich berühmt, und zwar rasch — und Berühmtheit bedeutet für einen Ma- lör: Verkaufen, Gewinn, Vermögen, Reichtum. Heute bin ich, wie Sie wissen, berühmt und reich.“ — Zu kraß ist der Gegensatz, Herr Dozent, zu den Studenten und jungen Künstlern, die Sie im Auge haben. Ich möchte aber sagen: Die 99 Prozent, um die es Ihnen geht,, beweisen die Richtigkeit meiner Behauptungen in Graz. Weil eine Minderheit so tut, als ob sie die Kunst gepachtet hätte, müssen 99 Prozent unserer Künstler in unwürdigen Verhältnissen leben. Das Empörende dabei ist, daß sich die Minderheit, wie Sie es hier gedruckt schwarz auf weiß sehen können, noch über diese 99 Prozent als die ungeheure Mehrzahl der hoffnungslosen älteren Zeitgenossen lustig macht.

HEER: Verehrter Herr Minister, mit Picasso verhält es sich da wohl ganz eigentümlich. Diese Meldung aus der Schweizer Presse wurde gerade von der Presse des sogenannten nationalen Lagers in Österreich aufgegriffen. Dazu wäre vielleicht an diese Adresse zweierlei zu sagen: Erstens, diese angebliche Rede Picassos ist eine Erfindung, eine Konstruktion Papinis in seinem problematischen Spätwerk „Libro Nero“, in dem er eben verschiedene Gespräche erfindet. Und gerade unseren nationalen Freunden hätte bei dieser Gelegenheit eher das Gespräch des deutschen Hauptmanns Ernst Jünger mit Picasso 1942 in Paris einfallen sollen, ein Gespräch, das eines der eindrucksstärksten Dokumente der modernen Kunst überhaupt ist. Jünger trifft Picasso in einer Dachkammer, ist entsetzt, fürchtet um die seelische Gesundheit des Künstlers und ist erstaunt, als dieser ihm heiter erklärt: „Ja, Sie wundern sich! Meine Bilder sind versteckt, sind verborgen? Sie brauchen ja gar nicht ausgestellt sein, sie wirken auch so.“ Ich sehe darin, ohne hier zu Picasso persönlich Stellung nehmen zu wollen, eines der stärksten Dokumente für die Überzeugung, für den Glauben des modernen Künstlers an seine Mission.

DER MINISTER: Ich höre von Ihnen, Papini habe das Gespräch erfunden. Dabei fällt mir das italienische Sprichwort ein: „Wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden“, und Sie gestatten mir deshalb, daß ich noch einen Satz daraus zitiere. Papini läßt also Picasso sagen: „Ich bin nur eilt öffentlicher Lustigmacher, der seine Zeit durchschaut und so gut er konnte, die Blödheit, Eitelkeit, Gier seiner Zeitgenossen ausgenützt hat.“

Wie der eine die Blödheit und Eitelkeit, so nützt der Verkäufer angebrüteter Eier die Naivität mancher Zeitgenossen aus, denen das Angefaulte lieber ist als das Frische. Ob es ihnen hilft, bleibt dahingestellt, er hat jedenfalls daran verdient.

HEER: Stehen aber nun, verehrter Herr Minister, diese Worte nicht in einem krassen Gegensatz zur österreichischen Wirklichkeit, in der doch alle ringenden, modernen Künstler in einer unendlichen Einsamkeit sicher sind, mit ihrer Kunst kein Geschäft zu machen, weil, abgesehen von einem oder zwei Industriellen, niemand ihre Werke kauft?

DER MINISTER: Es hat keiner Zeit an Grauenvollem gefehlt, ich denke da etwa an die Jahrzehnte des Dreißigjährigen Krieges, aber keine hat früher für sich in Anspruch genommen, das Grauen, als Ausdruck ihrer wesentlichen seelischen Situationen an die Wand zu malen oder in Stein zu meißeln, um es bleibend zu machen.’ Nicht einmal die sterbende römische Antike. Nur uns soll das Vorbehalten sein? Gewiß müssen wir heraus aus der Sentimentalität und dergeistigen Harmlosigkeit, aber der Weg darf nicht in die Tiefe führen, sondern zur Höhe und zur Kraft.

HEER: Hier muß ich wieder, verehrter Herr Minister, ganz anderer Meinung sein. leb glaube, daß gerade die große christliche Kunst von der Spätantike herauf über die großartigen Darstellungen, etwa der Cluniazenserkunst im 11. und 12. Jahrhundert bis zu Michelangelos „Gericht“, also über alle Campo santos bis zu dem sogenannten „Grünewaldmeister , immer wieder gerade diesen Weg gegangen ist, den Weg der Umsinnung also: durch die Tiefe zur Höhe. Und es scheint mir eines der wesentlichen Anliegen der sehr sauberen, sehr einsamen und sehr ringenden modernen Kunst zu sein, hier auf den Aufzug, auf den „elektrischen Aufzug nach oben“ — um midi eines Wortes der kleinen heiligen Theresia zu bedienen — zu verzichten und den Weg durch das Tal der Tiefen zu den Höhen zu erringen. —• Sie haben nun, verehrter Herr Minister, gerade in Graz es für richtig und wichtig gehalten, Bezug zu nehmen auf die großen Leistungen der klassischen Kunst, Wäre es nicht möglich gewesen, in Graz, wo etwa aus den Schulen von Fronius und Szyskowitz so bedeutende junge Künstler hervorgegangen sind, eine Aufmunterung — ein Wort der Aufmunterung an ihr Schaffen zu richten?

DER MINISTER: Ich bin überrascht, daß Sie diese Frage an mich stellen, denn der Hauptinhalt meiner Grazer Rede war die Aufmunterung. Wahrscheinlich kommt Ihre Frage davon her, daß in der Presse leider der zweite Teil — wie mir scheint, der wesentliche, aufbauende Teil der Rede — nicht richtig wiedergegeben war. Ich suchte da Beziehungen herzustellen zwischen der Universitätsstadt Graz und dem alten Griechenland, zwischen der Regierungs- und Gerichts-Stadt Graz und dem alten Rom, zwischen der Bischofsstadt Graz und der alten christlichen und mittelalterlichen Kunst, zwischen der Stadt mit einer Fakultät für Architektur und der Kunst des 17., 18. und 19. Jahrhunderts. Dabei wies ich nach, daß in den Leistungen der Großen immer Götter- und Heldenverehrung, Ehrfurcht vor dem Gesetz, Pietät und teure Verluste, Sieg des Geistes über den Stoff dargestellt wurden und erhabene Größe durch erhabene Formen geehrt worden ist.

HEER: Herr Minister, ich glaube, gerade dies ist das Grundanliegen moderner Kunst: der echte Sieg des Geistes über den Stoff. Wir jungen Menschen im Heute ringen ja gerade um eine Befreiung aus der geschlossenen Welt des Klassizismus, aus jener geschlossenen Welt idealischer und romantischer Formen, wo kein Raum ist für Transparenz, geschweige denn für Transzendenz, und wir glauben, daß die moderne Kunst, die hohe intellektuelle Anstrengungen erfordert, die in einem Gedicht Eliots ebenso erkennbar ist wie in den Zeichnungen etwa Wotrubas mit ihrer sehr strengen konstruktiven Gesinnung, darum ringt, dem Geist über’den Stoff, über den Fetischismus des Thematischen zum Siege zu verhelfen. Sie haben dann wohl im Schlußteil Ihrer Grazer Rede ausgeführt: „Die Kunst soll aufrichten und erheben, sie soll nicht darstellen, wovor dem Menschen graut und graust.“ Gilt dieser Satž wirklich allgemein? Schließt er nicht einen großen und wahrscheinlich sogar den bedeutendsten Teil der autochthon-christlichen Kunst aus? Geht es hier nicht immer um eine Form der Büßpredigt, der Umsinnung, der Erschütterung, um eine „Theologie du choc“, des Schockes also, keineswegs um eine Blasphemie? Und wie dürfen wir, Herr Minister, nun den Schluß Ihrer Rede verstehen, in dem Sie erklären, daß nur „volksverbundene“, der Stärkung des Volks beflissene Künstler ein Anrecht auf eine Förderung durch die Allgemeinheit haben? Gilt dies als ein persönliches Bekenntnis oder als eine programmatische Erklärung der Prinzipien Ihrer Kulturpolitik?

DER MINISTER: So wie der Ausdruck „moderne Kunst“, ist auch das Wort „volksverbunden“ oder „volksnahe“ in der ganzen Rede nicht vorgekommen. Ich habe nur betont, daß das Volk in der Kunst Trost und Erhebung sucht, und der Künstler daher verpflichtet ist, ihm etwas zu bieten, woran es sich aufrichten und halten kann. Vor mir hat ja Bürgermeister Dr. Speck die Kunst als die Speise des Geistes bezeichnet, und Landeshauptmann Krainer auf die soziale Funktion des Künstlers hingewie- sen. Daher war es mir leicht, darzustellen, daß ein Künstler, der sich bemüht, dem Volk Erhebendes und Erbauendes zu bieten, auch seine soziale Funktion erfüllt. Ich war der Meinung, mit meinen Hinweisen auf Vertreter großer Kunst Ziele gezeigt zu haben, die des heutigen Kunststrebens würdig sind. Aber mit Worten allein ist es nicht getan, und deshalb sagte ich wörtlich, daß ich meinerseits mit der Förderung, die sich der Künstler durch Erfüllung der sozialen Funktion verdiene, vorangehen wolle, und deshalb eröffnete ich das Haus, indem ich seinen Erbauern einen weiteren Beitrag übergab.

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