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Kunst des Erzählens

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WIEDERKEHR. Vier Erzählungen von Friedrich Georg Jünger. Hanser-Verlag, München, 1965. 196 Seiten, Leinen, DM 15.80, als Hanser-Broschur DM 7.90. — DAS HEIMLICHE SPIEL. Erzählungen von Elsa Morante. Claassen-Verlag, Hamburg, 1966. 194 Seiten, Leinen, DM 16.80. — PULSSCHLÄGE. Erzählungen von Hellmut Walters. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1965. 146 Seiten, Leinen, DM 11.50.

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WIEDERKEHR. Vier Erzählungen von Friedrich Georg Jünger. Hanser-Verlag, München, 1965. 196 Seiten, Leinen, DM 15.80, als Hanser-Broschur DM 7.90. — DAS HEIMLICHE SPIEL. Erzählungen von Elsa Morante. Claassen-Verlag, Hamburg, 1966. 194 Seiten, Leinen, DM 16.80. — PULSSCHLÄGE. Erzählungen von Hellmut Walters. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 1965. 146 Seiten, Leinen, DM 11.50.

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Friedrich Georg Jüngers Erzählungen strahlen, trotz ihrer Verhaltenheit und meditativen Ver- sponnenheit, suggestive Kraft aus. Thematisch dominiert in den vier neuen Novellen die Spannung zwischen den Geschlechtern: Abwehr und Anziehung, schließlich Sieg der Leidenschaft — die Natur zeigt sich stärker als der Verstand und das Gefühl.

In der Titelerzählung wird von der liebenden Unterwerfung einer spröden Schönen berichtet, und von der unauslöschlichen Wirkung des Ereignisses auf den Mann, der, wider Willen zunächst, in die Geschehnisse hineingerissen, sie nie mehr vergessen und verwinden kann.

In der Geschichte „Die Brücke“ steht die Erfahrung der Vergänglichkeit und des Abschieds im Mittelpunkt. „Daß wir nichts halten können, daß alles ungewiß ist.. Schwarze Malven, die „etwas Finsteres“ haben, sind mehr als Staffage in der ersten Erzählung, die um einen Sexualmord kreist. In der letzten schließlich, „Die Pfirsiche“ genannt, wird eine flüchtige, rein triebhafte Umarmung, in der der Mann nur Augenblicksgenuß sucht, wieder zum Ausgangspunkt seiner ungewollten Bindung. Bei einer späteren zufälligen Begegnung der Partner heißt es:

„Er begriff jetzt etwas, das ihm früher nie in den Sinn gekommen war... er begriff, daß dieser Körper kein Spielzeug, sondern eine Macht war, gegen die er nichts einzusetzen hatte, daß sein Verstand und sein Wille ihn nicht gegen sie schützen konnte...“

Urmächte und -kräfte werden hier beschworen, denen der Mensch unausweichlich ausgeliefert scheint. Die Frage nach den inneren Zusammenhängen, nach Ursache und Sinn von Lebensschicksalen, mündet bei Jünger in der Einsicht einer Gebundenheit, der der Mensch nicht entrinnen kann, und die ihn damit eigener Verantwortlichkeit enthebt.

Den menschlichen Begegnungen haftet etwas Episodisches an, sie bleiben im schönen Augenblick stecken, sind ohne Zukunftsverheißung. Nach Beständigkeit und Bewährung wird nicht gefragt, von Ehe und Zusammenleben ist nicht die Rede. „Im Abschied lag, verborgen wohl, aber gewiß, die Zukunft“, heißt es einmal.

Eine, man möchte sagen „heidnische“ Grundstimmung herrscht in den Erzählungen vor. Der Sieg der „Natur“ wird nicht nur hingenommen; er wird, wie Curt Hohoff es formuliert, „als göttlich verstanden“. Aber er führt auch in eine Melancholie, die ebenso verführerisch wie gefährlich ist.

Wer Elsa Morantes Roman „Arturos Insel“ gelesen hat, wird erwartungsvoll jedes neue Buch von ihr aufschlagen. Die nun in deutscher Übersetzung vorliegenden Erzählungen der Autorin rechtfertigen alle Hoffnungen, die man in sie setzen durfte. Wieder begegnen wir in diesen Geschichten Kindern und Halbwüchsigen, in deren Welt Traum und Wirklichkeit seltsam verschmelzen. Die Grundstimmung ist dunkler als die des Romans. Hier gibt es keine „selige Insel“, auf der jec er Tag dem Knaben Arturo neue Beglückungen schenkte, die seine Phantasie beflügelten, sich noch strahlendere Femen auszumalen. Hier stellt ein . kleines jüdisches Mädchen „ängstliche Fragen unter dem Schatten des richtenden Gottes“. Eine Großmutter, die den Verlust ihres Sohnes an eine Frau nicht verwinden kann, treibt aus Rache ihre Enkelkinder in den Tod. Oder die drei Kinder eines verarmten Marchese spielen in der Titelerzählung ihr heimliches Spiel, das sie aus der trostlosen Wirklichkeit in aufregende Abenteuer entrückt.

Immer sind es Erwachsene, die verständnislos und entzaubernd in die poetische Welt der Kinder einbrechen und ihnen Wesentliches zerstören. In der letzten Geschichte „Der andalusische Schal“ geschieht das handgreiflicher und realistischer als in den erwähnten Episoden. Hier werden die Fehlentwicklungen und seelischen Leiden eines Knaben geschildert, dessen ichbezogene Mutter mehr an ihre künstlerische Laufbahn als an die Geborgenheit ihrer Kinder denkt. Als diese Frau, nach dem Fiasko ihrer Theaterkarriere, in das entgegengesetzte Extrem umschlägt, nur noch Mutter sein will, ist es zu spät für ihren Sohn. Die Schatten der Vergangenheit beeinträchtigen seinen weiteren Weg.

Außer Kindern sind kauzige alte Leute die Helden von Elsa Morantes Erzählungen. Menschen, denen schon wieder kindliche Züge auhaften oder die sie nie verloren haben, wie etwa die köstliche Donna Amalia. Ihre Geschichte ist von einer hintergründigen Heiterkeit durchstrahlt. Für alle Erzählungen gilt, daß in der kargen äußeren Handlung elementare Daseinserfahrungen sichtbar werden. Beschränkung auf die das Menschenherz bewegenden und formenden Urkräfte ist Elsa Morante eigen. Der Hauch reiner Poesie überhöht weder noch verfälscht das Leben, sondern führt in die Geheimnisse und Rätsel des Daseins,

die dieser Italienerin immer gegenwärtig sind.

Der junge deutsche Autor Hellmut Walters, 1930 in Böhmen geboren, vermeidet in seinen Erzählungen alles Laute und Sensationelle. Das Unscheinbare zieht ihn an, hinter dem er ursprünglich Wesentliches entdeckt. Wie Elsa Morante liebt er die Kinder und Käuze. Sein armer Nepomuk Wurzer kommt in aller Unschuld auf die Idee, ein Gartenfest, dessen Reinerlös den Bedürftigen der Gemeinde zugedacht ist mit einem Plakat zu stören, auf das er in ungelenken Buchstaben „Wir fordern Gerechtigkeit“ gemalt hat. Oder da gibt es den Daniel Cepko —. „für einen Weisen zu pfiffig, für einen Tagedieb zu traurig“ —, der sich die Zeit mit seligem Nichtstun, vertreibt. „Bis die Zeit ihn vertrieb von seinem wackligen Küchenstuhl neben dem Ladeneingang in der Klattauer Straße ...“

Düster wird die Atmosphäre in den Geschichten aus der Kriegszeit. Da stehen sie sehr lebendig vor uns: die Schinder und ihre Opfer. Aber auch hier fehlen die lauten Töne, und gerade dadurch erreicht Walters seine Eindringlichkeit. Die Erzählungen aus der Nachkriegszeit kreisen um Einsamkeit, Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit des heutigen Menschen. In der Titelerzählung, der letzten des Bandes, bewegt sich der Autor zwischen Ernst und Ironie, wenn er das einzelne Menschenleben an den Dimensionen der Schöpfung mißt, es unter „Perspektiven und Relationen“ betrachtet, die jede Überheblichkeit ad absurdum führen. Aber in dieser Geschichte steht auch der Satz: „Wir können nicht aus der Welt fallen — geboren sind wir in die große unverlierbare Heimat.“

Der Sinn für echte Maßstäbe gehört zu den besonderen Gaben des jungen Autors, und er verfügt über einen klaren, nüchternen Stil.

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