6543951-1947_04_07.jpg
Digital In Arbeit

Kunst und Scheinkunst

Werbung
Werbung
Werbung

Etwas leise au sagen, ist das Wesen der Kunst. Alle Scheinkunst aber redet laut. Das Kunstwerk muß einen Raum freilassen, in den das Gefühl, in den die Liebe einströmen kann. Läßt es nicht diesen Spielraum, sondern füllt ihn dicht an mit prunkenden Worten, Dingen und Farben, dann wird die feinere Seele abgestoßen und nur die rohe findet daran Gefallen. Ein Gemälde, das einen geigespielenden Knaben am blauem Meere darstellt, ist schon im Gegenstand kitschig, weil es zuviel enthält. Hätte der Maler die Geige oder das Meer weggelassen, wäre vielleicht eki Kunstwerk daraus geworden.

Dies ist auch der Grund, warum die hohe Kunst nicht viel von Gefühlen redet. Sie ist nicht gefühllos, nichts wäre falscher als dies zu glauben, die Gefühle sind da, aber sie sprechen sich nicht aus. Die große Wirkung Homers beruht nicht zuletzt darauf, daß er Handlung und nicht Empfindung gibt. Doch in der Art, wie er erzählt, ist gleichwohl Empfindung enthalten. Als Hektor in der Schlacht steht, stürzt Andromache „einer Rasenden gleich“ auf den Turm, um den Kampf zu verfolgen. Diese Geste sagt mehr von ihrer zarten und glühenden Seele, als es viele Worte vermöchten.

Jede Klassik, jeder Klassizismus erwächst aus einer neuen Besinnung auf dieses geheimnisvolle Gesetz, als eine Fraktion auf ihre Verletzung. Daher die „Plastik“ Goethes — „ich bin ein Plastiker“ —, die Strenge der Parnassiens und der Symbolisten, die „Steile“ Stefan Georges, die Herbheit Flauberts. Dieser berichtet mit unerbittlicher Sprödigkeit in der „Salambö“ nur geschaute Dinge und Vorgänge, von den Seelenregungen aber schweigt er ganz. In der scheinbaren Gefühlskargheit ist der Roman klassisch, der klassischeste vielleicht der modernen Zeit. Nur Menschen, die nichts von diesem Geheimnis ahnen, befremdet die „marmorne Kälte“. Sie wissen nicht, daß jedes Kunstwerk nur ein Fragment ist, gleichsam ein Text ohne Musik, aus der erst der Betrachter ein Ganzes macht. Was Goethe in der „Geschichte der Farbenlehre bei den Alten“ schrieb: „Jedes gute Buch versteht und genießt niemand, als wer supplieren kann“, läßt sich von jedem echten Kunstwerk sagen.

In einem Brief aus Neapel stellt er die Vorzüge der homerischen Bilder der modernen Darstellung gegenüber: „Sie stellten die Existenz d*r, wir den Effekt, sie schilderten das Fürchterliche, wir fürchterlich, sie das Angenehme, wir angenehm. Daher kommt alles Übertriebene, altes Manirierte, aBe falsche Grazie, aller Schwulst. Derm wenn man den Effekt will und auf den Effekt arbeitet, so glaubt man, ihn nicht fühlbar genug machen zu können.“ In diesen Worten ist die Hauptgefahr aller modernen Kunst bezeichnet, die die Plastik des „klassischen“ Stils in gefühlsdurdhströmte Musik und Malerei auflöst. Aber die echte Kunst entgeht dennoch dieser Gefahr und hält mit der Empfindung nun erst recht zurück. „Sie liebt es“, sagt Nietzsche, „gleich jedem srtt-l;-h bedeutenden Menschen das Gefühl auf seinem Wege anzuhalten und nicht ganz ans Ende laufen zu lassen.“ Daher gestattet

selbst die scheinbar ungebundenste der Künste, die Musik, gestattet selbst Beethoven dem Gefühl nur höchst selten, sich auszuleben, ja er geht oft, wie ein moderner Kunstbetrachter urteilt, dem Gesetz des Ganzen zuliebe bis an die Grenze der Sprödigkeit und enttäuscht den Hörer, der beim Auftreten einer wunderbaren Melodie erwartet, nun in einem Gefühl schwelgen zu können.

Das wichtigste Mittel, dessen sich die Kunst zur Bändigung des Empfindens bedient, ist das Zurückdrängen des Gefühls in die Form, in das „Symbol“. In den Chiffern der Bilder und Klänge enthüllt sich die Seele des Künstlers, ohne ihr Geheimnis preiszugeben.

Die großen Dichter unseres Jahrhunderts, Rilke, Hofmannsthal, Paul Valery, waren Meister in dieser symbolischen Sprache, in der Kunst der geheimnisreichen, leisen Schönheit. Ihre Worte reifen noch im Schweigen, wie Rilke “einmal sagt. Es ist eine Poesie der Zurückhaltung, so wie man im Paris der zwanziger Jahre ein „Theatre du Silence“ proklamierte. Sie alle wissen, daß durch geformte Klangfolgen und Bilder, die ein gewisses Maß innehalten, durch scheinbar äußere Dinge, die ohne Erklärung hingestellt werden, Empfindungen genauer und nachhaltiger evoziert werden als durch psychologische Beschreibungen. EHese Gebilde strahlen schweigend, durch ihr bloßes Dasein, Empfindung aus. In dem Gespräch über Gedichte, vielleicht dem Schönsten, was je über Poesie gesagt wurde, hat Hofmannsthal diesen Sachverhalt zu erklären versucht: „Sind nicht die Gefühle, die Halbgefühle, alle die geheimsten und tiefsten Zustände unseres Inneren in der seltsamsten Weise mit einer Landschaft verflochten, mit einer Jahreszeit, mit einer Beschaffenheit der Luft, mit einem Hauch? Eine gewisse Bewegung, mit der du von einem hohen Wagen abspringst; eine schwüle sternlose Sommernacht; der Geruch feuchter Steine in einem Hausflur; das Gefühl eisigen Wassers, das aus einem Laufbrunnen aber deine Hände sprüht: an ein paar tausend solcher Erdendinge ist dein ganzer innerer Besitz geknüpft, alle deine Aufschwünge, alle deine Sehnsucht, alle deine Trunkenheiten. Wollen wir uns finden, so dürfen wir nicht in unser Inneres hinabsteigen, draußen sind wir zu finden, draußen. Es ist wundervoll, wie diese Verfassung unseres Daseins der Poesie entgegenkomm: denn nun darf sie statt in der engen Kammer unseres Herzens in der ganzen ungeheueren unerschöpflichen Natur wohnen. Wie Ariel darf sie auf den Hügeln der heroischen purpurstrahlenden Wolken lagern und in den zitternden Wipfeln der Bäume nisten; sie darf sich vom wollüstigen Nachtwind hinschleifen lassen und sich auflösen in einem Nebelstreif, i den feuchten Atem einer Grotte, in das flimmernde Licht eines einzelnen Sternes. Und aus allen ihren Verwandlungen, allen ihren Abenteuern, ans allen Abgründen und allen Gärten wird sie nichts anderes zurückbringen als den zitternden Hauch der menschlichen Gefühle.''

Nur die Kunst, die sich schamhaft im Symbol verhüllt, vermag, diesen gitternden

Hauch“, den zarten Schmetterlirtgsstaub des gefühlten Lebens zu retten, nur • sie vermag das Mysterium zu wahren, ohne das Schönheit nicht bestehen kann. Jedes vollkommene Kunstwerk ist Träger eines Mysteriums, ist ein „Traum von großer Magie“, wie Hofmannsthal eines seiner Gedichte überschreibt. Es eröffnet den Blick auf einen ungeheuren Hintergrund. Es ist Ahnung und Gegenwart, Sehnsucht und Erfüllung zugleich. Scheinkunst aber ist von tödlicher Eindeutigkeit. Sie ist geheimnislos und ohne Transparenz. Sie liebt den öden Naturalismus und die geistlose Direktheit, die leere Virtuosität und das tönende Pathos, das Überladene und das Barocke, das deutliche Sentiment und den verlogenen Idealismus. Sie schließt die stille Zwiesprache aus, die zur echten Kunst gehört. Diese ist auch, wo sie titanisdi ist, wie bei Michelangelo und Beethoven, ja selbst wo sie zu toben scheint, wie im Finale der Siebenten Symphonie, noch gemessen, und wo sie verlockend ist und süß, noch vornehm und gedämpft. Sie weiß, wie Fenelon am „Odysseus“ des Homer preist, Süße und Stolz zu vereinen. Sie bleibt auch, wo sie an die Grenzen des Ausdrucks geht, noch besonnen. Die Modernen, die sich nicht getrauen, die schmale Mitte der Vollkommenheit zu treffen, die zugleich mächtig ist und schön, gelöst und streng, beglückend und bildend, suchen, von den Verirrungen vergangener und gegenwärtiger Unkultur abgestoßen, eher das Kleine als das Große, eher das Herbe ajs das Süße zu gestalten, und sie tun gut daran, denn keusche Zurückhaltung ist dem stillen Wesen der Kunst näher als lärmende Anmaßung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung