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Kurier unterwegs

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BUNTES TREIBEN herrscht auf dem Westbahnhof. Gepäcksträger schleppen schwere Koffer, Reisende eilen aufgeregt durch die Halle. Pensionisten und Arbeitslose sitzen auf den Bänken und sehen mit stumpfen Blik- ken dem bewegten Bahnhofleben zu. Sie sehen auch den mit unauffälliger Eleganz gekleideten Herrn in den besten Jahren, der offensichtlich einem Zug zustrebt. Würden sich die unfreiwilligen Beobachter noch Gedanken machen, ginge es etwa so in ihren ihren Augen Whisky literweise konsumierende Salonlöwen, bei denen wilde Schießereien in einem Tunnel oder in einem nächtlichen Schlafwagenabteil mit Agenten fremder Mächte und aufregende Liebesabenteuer mit Superblondinen an der Tagesordnung stehen.

Von all diesen „netten Zeitvertreiben" trifft nichts zu. Ein Kuper, der Briefträger des Außenamtes, soll und darf nicht auffallen. Er fährt, wie eben jener elegant gekleidete Herr,

hinaus. Von Island und Nordkap bis nach Feuerland, vom Pazifik bis zum Kap der Guten Hoffnung, von Neuseeland bis zum heiligen Berg Fuji in Japan erstreckt sich das Netz der österreichischen diplomatischen und konsularischen Vertretungen: 31 Botschaften, elf Gesandtschaften, zwölf effektive Konsulate, 124 Honorarkonsulate und sieben österreichische Delegationen.

DIE MODERNE KURIERCHRONIK enthält aber zwei Fälle — es sind weitaus mehr, doch nur ganz selten dringt etwas ans Licht der Öffentlichkeit —, die zeigen, wie aufregend und gefährlich manchmal das Leben eines Kuriers sein kann.

Als die Achsenmächte im Herbst 1940 Griechenland unter Druck setzten, versuchten die Vereinigten Staaten, dem durch diplomatische Gegenmaßnahmen beizukommen. Der Kurier des US-Außenamtes, Horton Tedford, übernahm seine Postsäcke in Bern, in denen sich streng geheime Anweisungen Außenminister Hulls an die amerikanischen Botschafter in Athen und Ankara befanden Die deutsche und italienische Regierung hätten für diese Papiere ein Vermögen bezahlt. Tedfords Flugzeug hatte kaum in Rom aufgesetzt, als Radio Rom die Kriegs

Köpfen zu: Sicher ein Vertreter — oder nein, die teure, wohlgefüllte Tasche läßt eher auf einen erfolgreichen Geschäftsmann deuten. Er kann aber auch ein Direktor sein, der zu einer Besprechung fährt…

Richtet man, gleich einem Scheinwerfer, seine Aufmerksamkeit gerade auf diesen wohlgekleideten Herrn, der, von kaum jemanden beachtet, da durch die Bahnhofshalle geht, so kann man nichts Auffälliges bemerken. Außer, es stechen einem zwei Herren, die ihn, regelmäßig Abstand haltend, begleiten, in die Augen.

Die kleine Gruppe geht zu einem Zug. Pullmanwagen verraten, daß es sich um einen Expreß handelt, und die Tafeln an den Waggons geben das Ziel an: Paris Est ' Die drei Herren klettern in einen Schlafwagen und verschwinden, vom Schaffner geführt, in einem Abteil. Es trennen nur noch wenige Minuten bis zur Abfahrt. Nachzügler laufen zu ihren Waggons, Türen knallen zwei unauffällige Herren verlasse noch unauffälliger den Schlafwagen als sie ihn betreten haben; aus dem Lautsprecher wünscht eine Stimme den Reisenden „Bon voyage", „Good travel"und „Gute Reise“, der Zug wird freigegeben und rollt an. Wie auf jedem Bahnhof gibt es Abschiedstränen, ein letztes Winken und traurige Gesichter.

DER ELEGANTE HERR aus der Bahnhofshalle sitzt in seinem Schlafwagenabteil und liest in einem Buch, wie es hundert andere Reisende auch tun. Neben ihm steht eine Aktentasche, oben im Gepäcknetz liegt sein Koffer. Die Tür ist verschlossen und mit einem Zusatzschloß gesichert. Es ist nicht schwer zu erraten, daß dieser Herr ein diplomatischer Kurier ist, der in seiner Aktentasche hochwichtige Dokumente zu befördern hat.

Wie romantisch stellen sich doch die meisten Menschen — geistig von entsprechenden Filmen und Büchern gefüttert — das Leben eines diplomatischen Kuriers vor. Die Kuriere sind in allein in einem Schlafwagenabteil oder fliegt in einer Verkehrsmaschine nach seinem Bestimmungsort. Seine Aufgabe ist es, wichtige Papiere, Anweisungen an Botschafter und dergleichen, vom Außenamt in die diplomatischen Vertretungen im Ausland zu bringen und auf der Rückreise geheime Berichte und Meldungen ins Außenamt mitzunehmen. Mit einem dieser „diplomatischen Briefträger“ ins Gespräch zu kommen, ist schwieriger, als einen Prominenten über seinen letzten Skandal auszufragen.

Österreichs Kurierwesen ist sehr bescheiden. Nicht zuletzt deshalb, weil dem Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten ein sehr schmales Budget zur Verfügung steht. Als neutraler Staat hat Österreich keine so weltbewegenden Geheimnisse zu behüten wie beispielsweise die Vereinigten Staaten oder die Sowjetunion. Die Oststaaten aber werden, da dort noch Postzensur herrscht und vielleicht gerade eine bestimmte Sendung in Verlust geraten könnte, von den diplomatischen Briefträgern beliefert. Die Kuriere — meist sind es ältere, erfahrene Beamte oder junge Diplomaten — kommen mit der Bahn nach Prag, Warschau, Budapest, Bukarest und Moskau. Da Ankara „so am Weg“ liegt, wird die dortige österreichische Botschaft gleich mitbeliefert.

Gelänge es, aus einem Kurier etwas über seine Aufgaben herauszuquetschen, würde die Antwort etwa so aussehen: „Ich muß diplomatische Post befördern, die Dienstvorschriften sind äußerst streng, und das Leben ist eintönig.“ Das stimmt. Kuriere sind mehr im Eisenbahnwagen oder an Bord einer Verkehrsmaschine zu Hause als bei ihrer Familie. Hunderte und tausende Kilometer verschlingen sie, bis sie eines Tages genug haben. So ein Mann kann dann keine Flugzeuge mehr sehen, und um Bahnhöfe macht er einen großen Bogen.

Vom Wiener Ballhausplatz, dem Sitz des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, geht die diplomatische Post fast täglich in alle Welt erklärung Mussolinis an Griechenland bekanntgab. Keines der nach Hellas bestimmten Flugzeuge durfte starten. Der Kurier wußte, wie wichtig diese Papiere, die sich in seinem Postsack befanden, nun waren. Mit einem Zug fuhr er nach Venedig und gelangte mit Hilfe von Bestechungsgeldern über die Adria an die jugoslawische Küste und weiter zur griechischen Grenze.

Die Grenzer respektierten seinen diplomatischen Paß und ließen ihn passieren. Über einen zwanzig Kilometer langen, halsbrecherischen Weg kam Tedford nach Quevali, von wo ein Zug nach Athen weiterging. Kaum war er am Bahnhof, als italienische Jagdflugzeuge über die kleine Stadt brausten und den Bahnhof beschossen. Mit seinen wertvollen Säcken verbrachte der Kurier eine sehr unangenehme halbe Stunde in einem zur Hälfte mit Regenwasser gefüllten Graben. Durchnäßt, frierend und mit knurrendem Magen kam er schließlich in einem zum Bersten vollen Zug in die griechische Hauptstadt und lieferte dort sein Gepäck ab. Die Hoffnung, in der amerikanischen Botschaft wenigstens kurz ausruhen zu können, wurde zunichte gemacht. Man beauftragte ihn, sofort nach Istanbul weiterzureisen.

Ein Wagen der Botschaft brachte den bereits reichlich erschöpften Kurier zu einer 650 Kilometer entfernten Bahnstation jenseits der griechischen Grenze. Dreißig Kilometer vor dem Ziel blieb der Wagen aber im Schlamm stecken, und Tedford legte die restliche Strecke in einem Ochsenkarren zurück. Völlig gerädert und mit kalkweißem Gesicht kam er in Istanbul an. „Ich hatte unterwegs einige Schwierigkeiten“, erklärte er, als er die Post ablieferte.

DER ZWEITE FÄLL zeugt von heroischem Pflichtbewußtsein und hatte seinen Schauplatz in Wien. Es war vor ein paar Jahren, als US-Kurier Frank Irwin von Belgrad mit einem Kursflugzeug unterwegs nach Wien war. Auf dem Sitz neben ihm lagen wohlverpackt die Papiere, die, wenn sie in unrechte Hände gerieten, internationale Verwicklungen zur Folge hätten haben können. Als sich die Maschine durch eine „Waschküche“ Wien näherte, gab es auf einmal einen Stoß, und das Flugzeug kippte seitwärts ab. Geistesgegenwärtig griff Irwin nach seinem Postsack und stopfte ihn unter den Mantel, gerade in dem Moment,

als das Flugzeug mit ohrenbetäubendem Knall zerbarst.

Ein US-Korvettenkapitän befand sich unter den ersten, die die Unglücksstelle erreichten. Neben einem brennenden Flügel der Maschine sah er einen Mann, der etwas krampfhaft an sich preßte. Sein zerschundenes und versengtes Gesicht hatte purpurne Farbe angenommen. Der Korvettenkapitän eilte zu dem Verletzten, der stammelte: „Rufen Sie, bitte, sofort die amerikanische Botschaft an, sie sollen jemanden schicken. Sagen Sie, es handle sich um Kurier Irwin.“ Der Kapitän zog wortlos seinen Marinepaß aus der Tasche. „Gut“, keuchte Irwin, „bringen Sie mich in die Botschaft.“ Der Kapitän aber brachte ihn zu einem Krankenwagen und tat dann das, worum er gebeten worden war. Mittlerweile wurde die Sicherheitsabteilung der IIS-Botschaft in der Boltzmanngasse in helle Aufregung versetzt. Zwei Mann sprangen in einen Chevrolet und jagten, die Verkehrsregeln gründlich mißachtend, mit Affengeschwindigkeit nach Klosterneuburg, wo der Kurier im Spital höllische Schmerzen ausstand, aber trotzdem alle Betäubungsmittel zurückwies. Sein einziger Gedanke war, obwohl er neben Verbrennungen zweiten und dritten Grades auch noch einen Beckenbruch und zahlreiche Quetschungen davongetragen hatte, den Postsack in richtigen Händen zu sehen. — Irwin lächelte verzerrt, als sich die beiden Botschaftsangehörigen auswiesen, dann fiel er in Ohnmacht.

NACH EINEM ALTHERGEBRACHTEN STILLSCHWEIGENDEN ÜBEREINKOMMEN zwischen allen Regierungen legt man einem Kurier im fremden Land keine Schwierigkeiten in den Weg. Postsäcke werden von Zollbeamten niemals geöffnet und sind auch für Agenten fremder Nachrichtendienste tabu, solange sie unter Obhut eines Kuriers stehen. Es geht sogar so weit, daß ein „diplomatischer Briefträger" im selben Augenblick, da er fremden Boden betritt, von Sicherheitspolizei umgeben wird, damit ihm nur ja nichts zustößt. Alle Staaten nehmen die Geheimnisse anderer — natürlich nur auf dieser Basis — ernst, denn es ist für sie ja schließlich auch wichtig, daß ihre Postsäcke sicher sind. Mag auch manches bei den diplomatischen Kurieren nach Abenteuer aussehen, ein Kriminalroman ist ihr Beruf bei Gott nicht. Auch wenn ein paar von ihnen ein Schießeisen in der Tasche tragen, so hat noch selten einer davon Gebrauch machen müssen. Kuriere als Spione, Revolverhelden und Zielscheiben amouröser Agentinnen darzustellen — das bleibt den Drehbuchautoren überlassen.

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