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Zivilisation bringt verschiedene Laster mit sich, eines der bekanntesten ist das Photogra-phieren. Als Daguerre, ein Franzose (nach neueren Forschungen aber wahrscheinlich trotzdem ein Russe!), hier die ersten Versuche unternahm, dachte er sich nichts weiter dabei; er hätte es sonst lieber bleiben lassen! Eine Lawine kam ins Rollen. Neue Industrien entstanden, neue Berufe, Möglichkeiten, Sitten, Schwierigkeiten - ein Rattenschwanz von Folgerungen. Wie immer, wenn der Mensch etwas tut; man müßte sich's beinahe überlegen, etwas zu tun.

Familienereignisse waren früher nur ein Grund zum Trinken, aber wenn man heute nicht auch noch photographiert wird, ist es gar nichts. Das fängt drei Tage nach der Geburt an; du selbst bist schon nicht mehr ganz neu, das süße Bildchen von dir aber, gleich vorne im neuen Album — einfach entzückend! (Erst später, wenn du dich halbwegs entwickelt hast, wird man gestehen: „ ... und dabei war er ein ausgesprochen häßliches Baby, nicht wahr!“)

Ein Photoalbum gehört heute in jeden ordentlichen Haushalt; da hat man die liebe Verwandtschaft fein in Schweinsleder beisammen. Man kann Fliegen damit erschlagen und auch Gäste; denen gibt Onkel Albert auf Seite siebenundvierzig (mit Schnurrbart, Lackschuhen und Lächeln) den Rest.

Eine neue Angst wurde geboren. Die meisten Menschen werden schon nervös, wenn sich eine Kamera auf sie richtet. Es gibt allerdings wahre Künstler im Photographiertwerden; normal dreinzusehen aber wagen nur die wenigen, die glauben, sich das auf Grund ihrer äußeren und inneren Eigenschaften leisten zu können. Und sogar dabei irren sich noch manche gewaltig“. Anderseits aber erwachen alle deine verdrängten Komplexe: Wenigstens auf diesem Photo möchtest du aussehen wie das, was du gerne wärst und nie sein wirst.

Der Photograph weiß natürlich Bescheid und behandelt dich dementsprechend.

„Ein Brustbild also, hm! Wollen sehen, was sich machen läßt!“ (Viel wird sich natürlich nicht machen lassen, nicht wahr!) Aber schon aus Geschäftsrücksichten wird er tun, was er tun kann.

„Bitte, nehmen Sie Platz!“ .

Schön! Aber da merkst du alter Esel nun, daß du in allen diesen Jahren nicht einmal sitzen gelernt hast. Das macht der schwarzverhängte Kasten, der drohend vor dir steht; du wirst das ungute Gefühl nicht los, noch immer auf einem Bein zu stehen und es nicht mehr lange auszuhalten. Denn du hast dich noch nie richtig bewußt auf einen Stuhl gesetzt. Wäre doch gelacht! fluchst du im stillen, mit Ausnahme von Schlangen und Fischen kann doch sogar jedes Tier sitzen! Bist du denn weniger als ein Elefant?

Dann fängst du an, eine Menge Dinge an dir zu entdecken - Körperteile, von denen du keine Ahnung hattest, daß ihrer so viele sind. Und der Photograph hilft dir dabei, aber der Mensch ist ein kompliziertes Gebilde, sobald er photographiert werden soll!

„Die Arme ganz lose herunterhängen lassen, bitte, und die Beine ein wenig einziehen!“ — Und du überlegst krampfhaft, wo du die Beine untertags eigentlich hattest — überhaupt hast du unmögliche Beine, komisch! Früher ist dir das gar nicht aufgefallen.

„Die Brust vielleicht ein bißchen heraus — aber doch nicht gleich so stark! Lassen Sie

Ihre Schultern in Ruhe---Hallo, warum

wackeln Sie jetzt mit den Ohren? Unterlassen Sie diese Scherze! Sagen Sie mir dafür lieber, wo Sie jetzt wieder das Kinn hingegeben haben, ja?“ Du siehst ein, daß du wahrscheinlich überhaupt kein Mensch bist; unbegreiflich, wie deine Frau dich heiraten konnte!

Die ganze Tragik aber offenbart sich in dem Augenblick, da man dich auffordert, zu lächeln. Einfach zu lächeln! — Was das häßlichste Gesicht hübsch und das hübsche schön macht, du bringst es nicht fertig. Dein ganzes Bemühen zielt darauf ab, möglichst viel Zeit und Grund zum Lächeln zu finden, aber wenn der Photograph dich dazu auffordert, kannst du es nicht. Die ganze Welt hat sich verkehrt entwickelt! Jahrtausende wurden vergeudet! Und du fragst dich verzweifelt, womit man eigentlich lächelt und versuchst es mit dem linken Auge, mit der Nase und klappst schließlich den Mund sperrangelweit auf, worauf der Meister verzweifelt knipst, um noch Schlimmeres zu verhüten! — Keine Sekunde zu früh, denn da fällst du bereits krachend vom Stuhl.

Womit deine Arbeit beendet ist. Haß würgt in deiner Kehle, der Photograph aber denkt mit gesträubten Haaren daran, was ihm noch bevorsteht.

Du wanderst heim und dein Porträt in die Dunkelkammer. Dort, im magischen roten Licht, wird es entwickelt, wie auch deine Entwicklung im Dunkel des Unbewußten liegt. Langsam beginnt dein Bild sich abzuzeichnen — ein schmutzigschwarzes Gesicht, ein schmutziger Hemdkragen., deine Weste allein scheint sauber zu sein, aber das spielt schon keine Rolle mehr. Ein Mörder bist du trotzdem! Und dies laß dir die Lehre der Photographie sein: So wie hier das Negativ noch nicht das wirkliche Bild ist, so ist das Negative am Menschen, das der oberflächliche Eindruck dir vermittelt, nicht der Mensch selber.

Im Augenblick willst du das allerdings nicht glauben; dein Herz ist voll Zweifel an dir selbst, an der ganzen Welt — und voll Angst vor deinem Photo. Aber nach drei, vier Tagen stellt es sich heraus, daß es ausgezeichnet geworden ist. — Oder was willst du eigentlich noch mehr? Der Photograph hat deine abstehenden Ohren eingerichtet, die gekrümmte Nase unterschlagen. Er hat deinen Augen einen träumerischen Glanz verliehen, außerdem den schadhaften Schneidezahn repariert — und wird doch nur fürs Photographieren bezahlt!

Du siehst geistreich aus und kühn, gewissermaßen auch wieder gelassen — überlegen, was du selbstverständlich auch bist, niemand streitet es dir weg. Trotzdem, und das ist das Großartige an der Sache, siehst du dir doch auch wieder ziemlich ähnlich. Mit einem Wort, der Photograph hat etwas gemacht aus dir — du kannst dich sehen lassen — und das Photo auch.

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