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Kurzromane und Erzählungen

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MEIN FREUND PIERROT. Roman. Von Raymond Quinen. 192 Seiten. Preis 8 DM. — DER FELDZUGSPLAN. Roman. Von Daniel Wallon. 170 Seiten. Preis 5-80 DM. — MIT DEM RUCKEN ZUR WAND. Erzählungen von Josef W. Janker. 160 Selten. Preis 10 DM. — BEISETZUNG IN THERESIENBURG. Erzählung von Miroslav K r 1 e z a. 116 Selten. Preis 4.80 DM. Alle: Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. Main. — STARK WIE DER TOD. Roman. Von Guy de Maupassant. 267 Selten. Preis 17.50 sFr. — NOTTURNO FÜR TROMPETE. Roman. Von Glose Rimanelll. Artemis-Verlag, Zürich. 160 Seiten. Preis 1.50 DM. — SOHN EINES KLEINEREN HELDEN. Roman. Von Mordecal Richter. 288 Selten. Preis 8.50 DM. Beide im Klndler-Verlag, München. — ENGE VERHALTNISSE. Ein Roman und eine Erzählung Ton Roger Martin du Gard. Zzolnay-Verlag, Wien-Hamborg. 197 Seiten. Preis 7 S. — NACHTWACHE. Roman. Von Tarjet V e s a a s. 186 Selten. 14.80 Fr. — TEXTE. Prosa Junger Schweizer Autoren. Herausgegeben von Hugo Leber. 828 Selten. Preis 14.80 sFr. Beide im Benzlger-Verlag, Elnsiedeln-Zürich-Köln.

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MEIN FREUND PIERROT. Roman. Von Raymond Quinen. 192 Seiten. Preis 8 DM. — DER FELDZUGSPLAN. Roman. Von Daniel Wallon. 170 Seiten. Preis 5-80 DM. — MIT DEM RUCKEN ZUR WAND. Erzählungen von Josef W. Janker. 160 Selten. Preis 10 DM. — BEISETZUNG IN THERESIENBURG. Erzählung von Miroslav K r 1 e z a. 116 Selten. Preis 4.80 DM. Alle: Suhrkamp-Verlag, Frankfurt a. Main. — STARK WIE DER TOD. Roman. Von Guy de Maupassant. 267 Selten. Preis 17.50 sFr. — NOTTURNO FÜR TROMPETE. Roman. Von Glose Rimanelll. Artemis-Verlag, Zürich. 160 Seiten. Preis 1.50 DM. — SOHN EINES KLEINEREN HELDEN. Roman. Von Mordecal Richter. 288 Selten. Preis 8.50 DM. Beide im Klndler-Verlag, München. — ENGE VERHALTNISSE. Ein Roman und eine Erzählung Ton Roger Martin du Gard. Zzolnay-Verlag, Wien-Hamborg. 197 Seiten. Preis 7 S. — NACHTWACHE. Roman. Von Tarjet V e s a a s. 186 Selten. 14.80 Fr. — TEXTE. Prosa Junger Schweizer Autoren. Herausgegeben von Hugo Leber. 828 Selten. Preis 14.80 sFr. Beide im Benzlger-Verlag, Elnsiedeln-Zürich-Köln.

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Wen an die Spitze setzen in dieser Serie von bis auf zwei Ausnahmen hervorragenden Büchern? Was sie etat, sind nicht die äußeren Merkmale der Kürze der Romane, des epischen Flusses dieser oder jener Geschichte, deren Grenzen zum Romain bin offen sind, sondern (auch bei den Ausnahmen) die Suche nach Wahrheit, nach den Wahrheiten, die das Leben vor uns ausbreitet. Schon drängt Giose Rimanelll heran, vielleicht weil wir ungeduldig sind, ihn, den in unserem Sprachraum relativ Unbekannten (Jahrgang 1926), den Pavese entdeckte, vorzustellen. Sein „Notturno für Trompete“ schildert die Erinnerungen eines italienischen Buben in der Nacht, in der seine Mutter ihr viertes Kind gebiert — Erinnerungen, die nicht tote Vergangenheit sind, sondern in ihrer Fülle Seinsgegenwart, stark, traurig, zart, witzig, wild, und als Seinsgegenwart sind sie Handlung, Realität und Geheimnis zugleich. In diesem Dichter sind ein warmes Herz, animalische Kraft und ein scharf beobachtender Geist in einer Mischung vereint, die uns da an Saroyans, dort an John Steinbecks Meisterwerke denken läßt, ohne daß sich die. Umrisse der Persönlichkeit Rimanelliis auch nur eine Sekunde lang verwischten — jeder Satz, jede Gebärde sind echt, weder werden wir die von Leid gezeichneten Frauen oder Gestalten wie den Jazz von 1910 blasenden Großvater noch das zum Hineinbeißen saftig gezeichnete Kleinstadtmilieu, und schon gar nicht den kleinen Massimo jemals vergessen, dem die Blicke in das Dasein der Erwachsenen eine Comedie humaine offenbaren, in der vom Schelm bis zum Dämon alles Platz hat, was das innere Sein des Menschen formt und von ihm geformt Wird.

„Die Dinge seiner Welt wandeln ich je nach dem Kraftfeld, in das sie geraten“, sagt Gerda Zeltner-, Neukomm über Queneau in ihrer fundamentalen Untersuchung „Das Wagnis des französischen Gegenwartsromans“ (rororo Enzyklopädie Nr. 109), die jeder Literaturfreund stets in Reichweite hatoen sollte, und betont weiter, der Autor habe mit seinem „Pierrot“, diesem Tagedieb, der gelebt wird von den Abenteuern, die ihn ergreifen, den zwar lustigen, doch vollkommenen Niemand erschaffen, dessen Tragik darin besteht, daß die dichtgeballte Weltfülle, die in ihm steckt, nicht eine Person ausmacht, sondern das, was aus tausend Zuflüssen einen Hohlraum in menschlicher Gestalt mit Zufalls.'nhailten füllt. Die intime Leselust, mit der das grandios geschliffene und pointierte Werk uns erfüllt, die Intensität des Lebens, das es spiegelt, täuscht uns nicht darüber hinweg, daß wir alle, dieser mehr, jener weniger, Pierrots sind. Und Suhrkamp ist es hoch anzurechnen, daß er diesen innerhalb der jüngeren Kunstentwicklung bereits klassischen Roman (der 1943 in erster Auflage erschien) nun so wohlfeil vorlegt.

Roger Martin du Gard, der Nobelpreisträger, dessen Hauptwerke wie der Zyklus „Die Thibaults“ oder „Jean Barais“ längst allgemeiner Liiteraturbesitz sind, bringt in „Enge Verhältnisse“ mit der Geschichte „Das Geständnis“ eine tragische Geschwiisterliebe in unser Blickfeld und im Kurzroman „Die kleine Welt des Herrn Joigneau“ das Leben einer Kleinstadt in der Sicht eines Briefträgers, der sich, aktiv wie passiv, als Welt- und Menschenkenner und mitunter als respektabler Initnigant erweist. Beide Themen, souverän gepackt, zeigen uns den Menschen in all seiner Blöße, aber auch in seiner Zähigkeit zu leben, und was unter anderer Feder kraß oder gräßlich erschiene — hier erlöst es sich in der Liebe eines Dichters, der nicht anders kann, als unser Tun wie durchs Mikroskop zu betrachten und darnach — barmherzig zu sein.

Modem — wie eng ist doch der Begriff für jene, die sich ihm sektiererisch verschreiben! Im Rahmen einer Gesamtausgabe in sechs Bänden legt der Artemis-Verlag soeben Maupassants „Stark wie der Tod“ vor, die berühmte Geschichte des Pariser Malers, der an der Liebe zur Tochter seiner Geliebten zvfirtinde gehen muß. Was trotz allen Maupas-santschen Flairs wie eine antike Tragödie vor uns abrollt: wie unbestechlich soharf ist da doch — modern jeder Atemzug, jede geheimste Regung beobachtet, wie ungesichert trotz Reichtums und äußerer Sicherheit ist doch die Seele, wie fragwürdig sind alle Konventionen, sofern sie nicht Funktionen des aktuellen Lebensstroms sind! Entscheidend trägt die ebenso straffe wie elegante Übertragung Josef Halperins zu diesem Eindruck bei — so dürfte die Neuausgabe bald veraltete Übersetzungen aus den Bücherschränken fortdrängen.

Hoffnung im Grauen — das ist es, was Vesaas, der große Norweger, dessen Anfänge unter den Zeichen Duuns und Hamsuns standen, in seiner „Nachtwache“ als Botschaft mitgibt. Auch hier ist es, wie im „Notturno“, die Zeit einer Nacht, die den Rahmen hergibt — doch hier ist es nicht die akzentuierte Latinität und post-franziskanische Einfalt, die den Ton bestimmt, sondern tiefes, erregendes Suchen in den Abgründen der Seele — hier wird das packende äußere Geschehen, Mord und Rache, die über eine friedliche Insel hereinbrechen, zu Symbolen in mehrfachen Tiefenschichten — ein Werk, das darnach ruft, neben „Notturno“ (beide zusammen ergeben in uns eine größere Einheit) unsere Bibliothek zu bereichern.

Teils bis ins Experiment entführen uns die „Texte“ der jüngeren Schweizer Autoren, von denen eine Reihe wie David Wechsler, Otto F. Walter, Kuno Raeber, Herbert Meier, Paul Nizon, Urs Jaeggi und andere längst einen Namen haben. Wie Leber im Vorwort richtig bemerkt (und was für ähnliche Anthologien aus anderen Ländern ebenso gilt), ist kaum da und dort spezifische nationale Eigenart am Werk: die Geschichten, zumeist von sehr bedeutendem Niveau, sind nicht regional, sondern als Zeitphänomene zu verstehen. Die Sammlung, recht gerundet, ist höchst wichtig für jeden, der die im Nachbarland wirksamen neuen Kräfte kennenlernen will — und als Anregung, sich mit den Romanen, Dramen und Lyrikbänden der Autoren bald näher zu befreunden.

In die Welt des in den USA ansässigen noch orthodoxen Judentums führt uns Mördecai Richler — am Beispiel eines Sohnes, der dem geistig-religiösen Ghetto entflieht, zurückkehrt und zuletzt endgültig aus seinem Volkstum zur Assimilierung in den A^erikanisimius antritt. Den ganzen Reichtum des Familien-nests, aber auch seine Bedrohtheit, die Weltbewältigungswünsche und den Kampf um die tauglichen Mittel hierzu, und die erschütternden, unausbleiblichen Spannungen zwischen den Genenationen — erhöht um jene gegenüber einer selbst in rasanter Wandlung befindlichen Umwelt: all dies gibt uns der Autor (Jahrgang 1931), der, heute in London lebend, bereits mit zwei früheren Romanen: „Die Akrobaten“ und „Der Boden trägt nicht mehr“ zu exemplarischer Daratellungskraft und internationaler Anerkennung durchdrang.

Daniel Watton (Jahrgang 1927), ersichtlich geprägt durch die jüngeren Literaturströmungen, schildert eine Handvoll Menschen im Trubel eines blutigen Aufstandstags in Casablanca. Ein visueller Typ, ein prägnanter Formulierer, der sich in Frankreich bereits Respekt verschaffte, wird damit zum erstenmal im Deutschen vorgestellt. Was auf Anhieb besticht, sind seine Bilder, während er bei der Erfassung der Gestalten und Ereignisse auf den Tiefgang — wie es scheint, mit Absicht, etwa als Experiment literarischer Askese — verzichtet. Man wird weitere Bücher sehen müssen, um ihn näher definieren zu können.

Weniger Freude bereiten Josef W. Jankers Erzählungen. Er (Jahrgang 1922) sucht das Welterlebnis des zweiten Weltkriegs in einer Verquickung von innerem Geschehen und äußerlichem Spektakel zu bannen, die wohl seine bedeutende Begabung anzeigen, doch voll von literarischen Zwängen sind, von Reakticnsmechanismen, die einen Großteil der deutschien Kriegslitera-tur unverdaulich machen (und vor welcher sich etwa Heinz Küppers „Simplicius 45“, Roman, Middel-hauve-Verlag, als grandioses Gegenbeispiel strahlend abhebt).

Miroslav Krleza, Kroate, prominenter Weggenosse Titos, neuentdeckt im deutschen Sprachraum und in seltsamem Mißverstehen seiner künstlerischen Potenz Andric an die Seite gestellt, schrieb mit der „Beisetzung in Theresienburg“ eine bösartige Satire auf k. u. k. Verhältnisse. Nicht die Bösartigkeit stört uns (unser großartiger George Saiko war zum Thema bedeutend böser), sondern die Gröblichkeit der Urteile, aus der sich, fast ebenso arg wie in seinem als Hauptwerk ausgegebenen „Bankett in Biitwien“, seine Darstellungen nähren — gräßlich simplifizierend, monoton in berauschter Wut, stereotyp im einschläfernd flachen und oft absolut unnötig vulgärem Vokabular, fragwürdig in den geistigen Konsequenzen seiner unbeherrschten Theoreme und Ausbrüche.

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