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Laie und Theologie

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Seit einigen Jahren verdichten sich auch in Österreich die Versuche und Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, Laien zu einem intensiveren religiösen Wissen zu verhelfen. Im ehrwürdigen Gebäude der Chur auf dem Wiener Stephansplatze wird im Oktober wieder ein solches Laienjahr beginnen, dessen Dozenten zumeist angesehene Fachgelehrte sind. Das Theologiestudium der Laien ist eine Frage, die der grundsätzlichen Erörterung wert ist. Woher kommt die Kritik? Zunächst ist der großen Masse die Theologie ein fast fremder Begriff geworden. Viele zeigen eine gewisse Scheu vor ihr, die vielleicht der Sorge gilt, daß Verstandesgrübelei den schlichten Glauben gefährden könne. In der Tat hat der geistige Hochmut, diese Erbsünde der Menschheit, wenn er in der Form theologischer Spekulation auftrat, nicht selten ein verhängnisvolles Vermögen gezeigt, bis zur Majestät Gottes hinaufzugreifen. Und der Gesetzesdünkel der Pharisäer hat in Christus einen strengen Richter gefunden. Die Gefahren der Gotteswissenschaft sind also sehr groß, wenn die Beflissenen die Demut und den ehrfürchtigen Schauer verlieren und in eitle Überheblichkeit sich verirren. Das aber darf die Erkenntnis nicht hindern, daß, wie jede Gabe, so auch die des Verstandes, der göttliche Gedanken, wenn auch nur im Spiegel, nachzudenken vermag, die volle Erfüllung erst im Dienste Gottes erreicht. Darum demütige Betrachtung, gläubiges Wissen, Theologie.

Die heutige Generation mag teilweise noch unter unbewußten Fernwirkungen des Vorurteils des Liberalismus gegen die Theologie stehen, der die Dogmen als Stacheldrähte der Kirche verabscheute. Seine Denkweise verwischte den Sinn dieser an kritischen Punkten tatsächlich eingetretener Irrungen aufgerichteten Grenzsteine zwischen Wahrheit und Irrtum. Der moderne Mensch wird die Dogmen eher mit dem stählernen Gerippe neuzeitlicher Bauten vergleichen. Es mit Leben zu erfüllen, ist die Pflicht, die zu religiöser Vertiefung ruft.

Der Aufruf zum „Theologischen Laienjahr“ wendet sich an gebildete, junge Menschen, die sich nicht begnügen, im Gehorsam die Kirchengebote zu erfüllen, sondern die alles Sein und Geschehen von religiöser Wirklichkeit her verstehen, vollziehen und in eigenem, vielleicht lebenslangem Bemühen ein vom Christentum geformtes Weltbild sich schaffen wollen. Das Mittelschul|tudium ist nicht der Weg dafür, weil seine offzersplitterung die allgemeine Erscheinung wissenschaftlicher Verspeziali-sierung und Zentrumslosigkeit in verkleinertem Rahmen projiziert, wobei die Religion ein Fach neben vielen ist, ohne innere Beziehung zu den anderen. Noch weniger führt ein akademisches Fachstudium heutiger Art zum Ziele. Werden nicht im Selbststudium die kindhaften christlichen Begriffe gereift, dann sind sie nicht fähig, die zusammenhaltende zentrale Kraft eines profan gebildeten Geistes zu sein. Die religiöse Bildung muß mit der profanen Schritt halten, sonst werden bald die schal gewordenen Reste kindlicher Religion weggeworfen. Heute gilt es, in ständiger Konfrontierung mit einer christusfernen Welt als Christ selbständig zu sein im Denken und Urteilen. Wo ist heute die Sicherung durch ein allgemeingültiges Weltbild, wie es das mittelalterliche Europa besaß, wie es dann in engerem Rahmen der gegenreformatorisdie Staat seinen Untertanen zu wahren versuchte? Dieses allgemeine Weltbild, das Tausenden die freie Glaubensentscheidung abnahm, ist durch die Aufklärung zerbrochen worden. Seither ging auch die christliche Lebensform einzelner Stände verloren. Heute steht der selbst entscheidende Christ allein. Eine kleine Herde sind wir in der Welt geworden, gesiebter Weizen, und doch zugleich Sauerteig für die ganze Welt.

In dieser Lage genügt nicht mehr Tradition und Pietismus in einem geheimen Winkel der Seele. Glaube ist Gnade, aber auch Wille und Wagnis — Wille zur Erkenntnis und Wagnis des ganzen Menschen. Bereit, die Übernatur als erste und lfctzte Wirklichkeit seines Lebens zu setzen, das Ärgernis des Kreuzes zu bekennen, sich der kirchlichen Autorität zu beugen, soll er die geoffenbarten und die natürlich erkennbaren Grundlagen des Glaubens wissen.

In den vergangenen Jahrzehnten geistiger Auseinandersetzung hat sich die Kirche auf ihr Wesen besonnen, hat wissenschaftliche Kritik ihre Glaubensquellen geprüft und in neuer Fülle ausgeschöpft. Vor den ernst und real verstandenen Bibelworten, vor Christus, der sprach wie einer, der Macht hat, der den elenden Schmerz erfuhr und doch Gott war, muß die Sentimentalität, das unechte, nur äußerliche Gefühl zerfließen. Die Liturgie wird bewußt neu erfaßt und dabei Schätze der Symbolik entdeckt. In neuem Lichte steht nun die Kirche als mystischer Leib Christi da. Die Ideen alter christlicher Denker werden heute neu und weitergedacht, christliche Sittlichkeit für neue Situationen genormt. So muß dann auch christliche Kunst aus Ergriffenheit durch das Wissen entstehen. An all das will das „Theologische Laienjahr“ heranführen. Da wird in kurzem Überblick Philosophie, Fundamentaltheologie und Dogmatik, Altes und Neues Testament, Moral- und Pastoraltheologie, Kirchengeschichte, Frömmigkeitslehre und Kirchenrecht gelehrt — zur eigenen Belehrung, Anregung und Vertiefung, vielleicht auch zu besonderer Mitarbeit im Reiche Gottes.

Der frei entschlossene Christ ist mündig geworden für seine Funktion als Glied am mystischen Leibe. Schon in seinem irdischen Wirkungskreis ist er in eine solche Aufgabe gestellt: Natur- und Berufstände werden wieder in christlicher Symbolik gesehen. Vielmehr noch: indem er Sakramente empfängt, unter Umständen auch spenden kann, indem er mitopfert, übt der Laie sein allgemeines Priestertum aus, zu dem ihm die Kirche nun formell die Sendung, den Lehrauftrag, erteilt. Ist die Mitsorge um das Seelenheil des Nächsten zu jeder Zeit Pflicht, so ist doch noch nie der Ruf zur Seelsorge-.arbeit des Laien so intensiv gewesen wie heute.

Von Mensch zu Mensch muß wieder missioniert werden, nicht mehr wie ehedem, Stammes- und länderweise, nicht durch Kampf und Politik. Überdies gibt es bei weitem zu wenig Priester, haben doch Verfolgung und Krieg große Verluste gebracht und der Nationalsozialismus die Ausbildung dureh Jahre unterbunden. Auch sind in Europa nicht wenige zum Mißtrauen gegen den schwarzen Rock des berufsmäßigen Vertreters der Kirche erzogen worden. Also muß der Laie vorangehen unter die modernen „Heiden“ als Christ unter ihnen leben und arbeiten, die fundamentalen Glaubenslehren verkünden, von, denen breite Massen fast unberührt oder, schlimmer noch, über sie falsch unterrichtet sind. Laien sind heute nicht nur als Fürsorgerinnen und Pfarrhelferinnen, sondern auch in der Kinder-seelsorge und im Konvertitenunterricht tätig. Auch dazu gibt das „Theologische Laienjahr“ die Vorbereitung.

Weiter ergeht der Ruf zur religiösen Bildung besonders an junge Wissenschaftler. Ist nicht heute die Zeit, da die Wissenschaft wieder heimfinden könnte zur Kirche, der sie Zug um Zug entglitt? Sind wir nicht heute am Ende des Weges, der begann, als der Humanismus den natürlich vollkommenen Menschen proklamierte, dessen Ratio alsbald die mittelalterliche Kirchlichkeit sprengte und Liberalismus auf die Fahnen des Fortschritts schrieb, der aber mit einem bis zum Materialismus entarteten Zerrbild des Menschen endete, mit Nihilismus und Verlust des Ansehens der Geistigkeit. Ist nicht die Abkehr vom Materialismus in der Naturwissenschaft und vom Idealismus zugunsten existenzieller Philosophie ein Anzeichen zu christlichen Möglichkeiten? Stand, der Christ angesichts des gewaltigen Angriffs der angeblich sieghaften Vernunft scheu und ungewappnet, zerrissen zwischen treuem Glauben und rationaler Erkenntnis, die scheinbar nicht mehr in einer Wahrheit sich fanden, war er aus fast allen - Gebieten profanen Wirkens gewichen, so hat er mittlerweile Stück für Stück seiner geistigen Existenz zurückerrungen, in kritischer Prüfung gesichert, geläutert in schwerer Zeit.

Im Vollbewußtsein seines Reichtums an geoffenbarter Wahrheit und an vielfältigem, durch Jahrtausende bewährtem und geschliffenem Gedankengut muß der Christ heute die profane Wissenschaft als erkenntnis-und erfahrungsschwer beladenen Bruder aufnehmen. Er, der in der Enge des Vaterhauses vielleicht gar zu ängstlich geworden war, kann es heute wagen, mit innerer Sicherheit ins fremde Land auszuschauen, das demselben Vater gehört. Heute erlebt man, wie die Fachwissenschaften zueinander und nach einem Zentrum suchen. Kann nicht der weltweit denkende Christ solche Beziehungen in höchstem Sinne schaffen? Zum Staunen der Welt steht die profane Forschung heute sozusagen im Dienste der Kirche, um als Archäologie, Sprachwissenschaft oder Philosophie die natürlichen Grundlagen christlichen Glaubens zu vertiefen. Die Kirche wahrt das Vertrauen auf die letztlich gemeinsame Wahrheit und in der Theologie wird durch Vernunftschlüsse aus der Offenbarung immer weitere Erkenntnis gewonnen, im Laufe der Kirchengeschichte die christliche Lehre immer klarer herausgelöst. Beide

Wege, “die profane Forschung und die Theologie, sind notwendig zum Bau einer christlichen Geistigkeit und an beiden hat de/ gebildete Laie seinen Anteil und seine Pflicht!

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