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L’amour — schwarz und rosa

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Das heutige Theater kommt bei der Definition dessen, was man sehr ungenau und verschwommen „Liebe” nennt, ohne die französischen Autoren einfach nicht aus. Aber sie sprechen in immer neuen Varianten eben doch nur von dem, was sie „l’amour” nennen und was trotz aller Versuche nicht ins Deutsche übertragbar ist. Die Wiener Sprechbühnen haben unsere Kenntnisse auf diesem nie auszuschöpfenden Gebiet um zwei interessante Spielarten erweitert.

Das Theater in der Josefstadt spielte in seinem Kleinen Haus (Konzerthaus) Jean Anouilhs „Heme1in”. Ein Jugendwerk, wie es gleich von vornherein entschuldigend hieß. Da- b.ei merkt man das Unfertige und Unreife des Jugendwerks erst ganz zum Ende, Wehn die Handlung ins Äußerlich-Knallige abbiegt. Die Exposition und die Entwicklung der Charaktere ist durchaus guter Anouilh. Vor allem ist hier der Grundkonflikt angelegt, der sich durch alle seine bisherigen Werke zieht. Wir möchten seine Wurzel in einem besonderen religiösen Ideenpunkt sehen, der sich trotz aller rechtgläubigen und machtpolitischen Ketzerverfolgung heute noch aus dem manichäischen Grunderlebnis der südfranzösischen Albigenser herleiten läßt. In dieser von Grund aus bösen Welt muß das sogenannte „Natürliche” zwangsläufig zum Schmutzigen und Korrupten werden, gibt es aber für den, der „rein” bleiben will, nur den harten, verzweifelten Weg des radikalen Nein, gibt es nur den geplanten Mord oder den ebenso klar vorausgesehenen Selbstmord. In diesem Stück entscheidet sich der Held um seiner radikalen Freiheitsforderung willen zu einem Mord an einer alten, geizigen Spinne von herzoglicher Tante. Der Mordtat des Raskolnikow ist das nicht unähnlich. Aber das religiöse Schuld- und Gewissensproblem des Russen existiert für den Manichäer in Anouilh nicht. Es war ja alles von vornherein so grundgelegt. In der gründlichen, fast zu gründlichen Regieanalyse Friedrich Kallinas wird das auälend deutlich gemacht. Auch Inge Fiedlers Bühnenbild sorgt für die „eingesargte” Beklemmung. Ganz ausgezeichnet Günther Tabor in der Rolle des ver- quälten Täters, die grausam hilflos gesehene „Hermelin”-Unschuld wird durch Barbara Khol mit sehr innerlichen Mitteln zum starken Erlebnis.

Ganz anders der Lustspielabend im Großen Haus der Josefstadt. Für Andrė Roussin ist „l’amour” auch in der „Schule der Ehe” ein Gesellschaftsspiel, dessen Farbnuancen zwischen Rosa, Giftgrün und einem recht ordinären Gelb hin und her schillern. Ganz ehrlich gesagt: die zynische Selbstentwürdigung im blasierten Gespräch zwischen Gatten und Hahnrei-Hausfreund im ersten Stück, mehr aber noch die undelikaten Anspielungen auf das aus Ehrgeizgründen eingegangene Verhältnis einer verheirateten Frau mit einem homosexuellen römischen Aristokraten: das alles sind Dinge, die man selbst bei Zudrückung beider Augen als peinlich und degoutant empfinden muß. (Die Stücke Roussins sind ja bekanntlich auch bei der Aufführung an mehreren Wiener Kleinbühnen ziemlich einhellig abgelehnt worden.) Aber dann kommt eben ein Regisseur wie Heinrich Schnitzler und bringt das Kunststück zuwege, ein entzücktes Publikum dennoch einen Abend lang zu amüsieren. Sein Regiegeheimnis liegt in der Distanzierung des Zuschauers zu einem stilisierten, fast kunstgewerblich-marionettenhaft durchge spielten Handlungsvorgang. Zum Gelingen dieses Unternehmens tragen zwei Elemente bei: die ganz ausgezeichnete Übersetzung Hans Weigels, besonders im zweiten Stück, das mit dem klassischen Versmaß des Alexandriners ungemein sprach- und rhythmussicher jongliert, daneben aber ein Schauspieler, der für diese Art von stilisiert-präzisem Theater geradezu geschaffen ist; Theo Lingen. Neben ihm ein prächtiger Dialogpartner: Hans Holt, etwas zu hausbacken und zuwenig schlangenhaft diesmal Susi Nicoletti. Gottfried Neu- mann-Spallarts Bühnenbild im ersten Stück so überdreht, wie es der Text verlangt, im zweiten weniger bemerkenswert.

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