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Landgasthof am Mincio

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Vergangenes Jahr in Verona. Das Essen nach der Arena-Aufführung -mäßig! Die Preise - unverschämt! Der Massentourismus macht Veronas Küche offenbar kaputt!” Seit ich die Aufführungen der Stagione lirica der Arena von Verona besuche - und das ist jetzt auch schon bald dreißig Jahre - höre ich solche Lamenti. Und nicht nur von Österreichern, von denen jährlich immerhin an die achtzigtausend in die Gegend von Verona fuhren. Und fahren.

Und doch: Verona ist eine Stadt des Kulinarischen. Der kulinarischen Oper, kulinarischer Kunst, der Kunst der Feinschmeckerei. Wer der Kunst und der Landschaft wegen hierher kommt, ist noch nie enttäuscht worden. In Verona, dieser uralten Metropole, dem Berührungspunkt zwischen venezianischer und lombardischer Kultur, ist besonders für uns Österreicher viel zu entdecken. Und nicht nur gehässige Marmortafeln des Bisorgi-mento, die uns als „gewalttätige Unterdrücker” verteufeln, die auf Kosten Norditaliens Europa-Politik gemacht haben. Aber daß der Schlemmer manche der einst renommierten Gourmettempel heute mit säuerlicher Miene verläßt, wissen die Veroneser selbst. Umso mehr sollte man dort ein -kehren, wo Einheimische gern essen.

Bis Ende August ziehen auch heuer die Scharen Opern- und Kunstbegeisterter in die Stadt an der Etsch, die Stadt des feinsten rosa- und pfirsich-farbenen Marmors, die Stadt Bomeos und Julias, die „Veste der mächtigen Scaligere” und der prachtvollen römischen Theater. Denn es ist immer wieder ein unvergleichliches Erlebnis, im riesigen, bis zu 22.000 Personen fassenden Steinoval der Arena Aida sterben, den Bajazzo morden und

Bigoletto über den Tod seiner Tochter klagen zu hören.

Freilich, die legendären Zeiten, da man in den Pausen zwischen den Opernakten speisen konnte, sind vorbei. Die festlichen Gala-Diners im Palast-Restaurant „Tre Corone” an der Piazza Bra sind rar geworden. Man bittet zu Einheitsfestspiel-Menüs, an denen mitunter in erster Linie der Preis festspielwürdig ist.

Allerdings hat sich nun Veronas erste Bestaurantadresse den Festspielgästen geöffnet: „Dodici Apostoli” des Antonio Gioco, das nobel, mit Wappenfresken der Aristokratie geschmückte Gewölbelokal im Gäßchen des heiligen Markus neben der historischen Piazza Erbe, sperrte früher zur Arena-Eröffnung überhaupt zu. Nun bietet es vor den Arena-Aufführungen seine Spezialitäten.

Und da wachen noch immer alle zwölf Apostel gemeinsam über der Küche. Wenn auch die Karte noch so verlockende Gardaseefische oder Kalbslebergerichte ankündigt, so bietet der Küchenchef doch vor allem zwei „Ereignisse”; erstens seine Trüffeltorte, zubereitet aus Blätterteig, zarter Selleriecreme mit Käse, belegt mit Trüffeln und Grana-Streifen; und zweitens: frischen Lachs im Brotteig, mit Basilikumsauce.

Wer vor allem Veronas Teigwaren, etwa die feinen Pilznudeln, gefüllten Crespelle, Tortellini oder Fettuccine verkosten möchte, darf sich „II Tor-colo” (hinter der Piazza Bra) und natürlich die stimmungsvolle „Eno-teca” (gleich bei der Piazza Erbe) nicht entgehen lassen: Bei Veroneser Weinen wie dem trockenen Amarone, dem herben Soave, dem lieblichen roten Becioto, aber auch bei Custoza, Bardolino und Valpolicella hat man vor dem Opernvergnügen hier die Qual der Wahl.

An Tagen ohne Opernaufführung sollte man „aufs Land” fahren: Ins romantische Peschiera am Gardasee, nach Sirmione zu den „Grotten des Catull”, wo sich die Österreicher - und nicht erst Feldmarschall Graf Badetz-ky - stets besonders wohlgefühlt haben. Sehenswert das kleine Mincio-Städtchen Valeggio, dessen prächtiger Park der Familie Sigurta mit kunstvollen Wasserspielen einst Kaiser Napoleon III. erfreute. Solferino mit seinem Gonzaga-Turm und der Gedenkstätte für die schreckliche Schlacht von 1859, in der Italiener und Franzosen gegen Kaiser Franz Joseph antraten, ist nur ein paar Kilometer weit. Und ein Spaziergang durchs Dörfchen Borghetto, zur mittelalterlichen Brückenfestung der Visconti, gewährt den schönsten Blick auf den grünleuchtenden Mincio, den Abfluß des Gardasees zum Stausee von Mantua.

Am Ufer, umstanden von Kastanien und Hortensienbüschen, ein Landgasthof: Gabriele Bertaiolas „Antica Locanda Mincio”. Wie hier, in den hübschen altertümlichen Bäumen mit dem großen Kamin Landschaft, Menschen, Sprache, Architektur und Eßkultur ein Ganzes werden, spürt man heute anderswo allzu selten. Üppig ist die Küche: Affetato misto, also Schinken, Würste, Geräuchertes zum Einstieg, unter den Nudeln die Hausspezialität Tortellini di Zucca (mit Kürbisfüllung), dann Pilze, rosa Gardaseeforelle mit Pepperonata, Aal mit Kräutern vom Grill und Polenta und so weiter. Lebensphilosophie wird hier spürbar: das Glücklichsein mit einfachen Dingen und natürlicher Schönheit.

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