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Laokoon in Hollywood

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Ein Narr, wer da noch an Zufäll glauben' wollte/ wenn dem Film fast alle Musiker- und Dichterbiographien, nicht aber die Maler-Lebens- und -Schaffensaufrisse (Rembrandt!, Toulouse-Lautrec!) mißlingen. Der Unterstrom eines geheimnisvoll Gemeinsamen, Verwandten ist unverkennbar. Was ist denn etwa der filmische Begriff der „Montage“ anderes als der malerische des „Ausdruckes“ und der „Abstraktion“? Da nunmehr die Farbe des Films eine weitere wichtige Brücke zur Malerei geschlagen hat (in „Moulin Rouge“ kühn gewagt), ist der Weg frei für noch kühnere Experimente und tiefere Erkenntnisse. Ein Siebenmeilenschritt vorwärts auf diesem Weg ist der van-Gogh-Film „E i n Leben in Leidenschaft“. Merkwürdig: kein französischer, kein deutscher, sondern ein amerikanischer Film. Aber Europa kann etwas lernen von ihm, was wir bisher gepachtet zu haben schienen: die Inbrunst, das Verzehrende eines Künstlerlebens und die „Farbe“ im Film darzustellen. Es schadet dabei gar nichts, daß bei der Wiedergabe der lockeren, leuchtenden „Pariser“ Motive, Stilleben und Bildnisse und der sprühenden, brennenden Alleen, Obstbäume, Brücken, Boote, Sonnenblumen, Stühle, Schuhe (!), Zypressen, Oliven und Porträts der „Arles“- und „St. Remy"-Epoche van Goghs im Film eine neue“ farbliche Dimension, eine grellere, intensivere „Wirklichkeit“ aufreißt: sie ist von van Gogh nicht weiter entfernt als seine Farben von dem, was man gemeiniglich die Wirklichkeit nennt. Ja, die mehrmalige, in diesem Film wohl zum. ersten Male so grandios versuchte Konfrontation der Realität mit dem künstlerischen Ausdruck läßt die „Bilder" in besonderem Sinne' bisweilen sich vollkommen „decken“: Das wäre vielleicht bei einem Impressionisten schwieriger als bei van Gogh, diesem Propheten des Expressionismus! Die Spielführung (Vincenti Minelli) ist makellos, Kirk Douglas als van Gogh und Anthony Quinn als Gauguin sind hinreißend. — Nach diesem Film müßte ein Lessing des Films aufstehen und einen neuen „Laokoon“ schreiben In gewissem Sinne ist dieser Film schon ein Kapitel davon.

Die großzügige Auffassung, die wir Heutigen von der Freiheit und Verantwortung des Films haben, gibt dem Film grundsätzlich das Recht, auch so heikle Vorwürfe, wie den des deutschen Films „D a s dritte Geschlecht" aufzugreifen: die An - Färbung eines im kritischen Alter stehenden Jugendlichen durch das gut getarnte Milieu ausgekochter Homo.sexuellen-Professionals, den verzweifelten Rettungsversuch der Mutter durch „Verkupplung“ des Gefährdeten mit einer natürlichen Partnerin und ihre strenge Verurteilung vor Gericht. Man kann sich zur Not einen Film darüber auch taktvoll vor-stellen, und es sei gerne eingeräumt, daß Ansätze., dazu in diesem Film zu spüren sind; sie kommen vor allem von der dezenten, intensiven Darstellung der Mutterrolle durch Paula Wessely her, zum Teil auch der des Vaters (Paul Dahlke). Veit Harlan aber, der Regisseur, besitzt auf keinen Fall das hiezu nötige Fingerspitzengefühl. Das hätten auch die Darsteller wissen müssen, die dieser spinösen Fabel Votspanndienste leisteten. Er macht unnotwendige Fleißaufgaben in der peinlich-breiten Exposition des Homosexuellen-Milieus und der therapeutischen Verführungsszenen, er legt einen Heiligenschein um den offensichtlichen Mißgriff der Mutter, die statt der doch auch psychisch-pädagogisch denkbaren Heilung des Sohnes in die Roßkur der sozusagen biologischen vernarrt ist (die sehr vernünftige Urteilsbegründung mit der verletzten menschlichen Würde kann diese „Sympathie" für die Verurteilte nicht mehr mindern); und er dirigiert schließlich, wohl in seliger Erinnerung an gute alte Zeiten, moderne Malerei und Elektronenmusik als „entartete Kunst“ in die Nähe menschlicher Perversionen u. a. m. Ihm assistiert die Kamera mit einer Art geilen Magie, deren expressionistisches Können einer besseren Sache würdig gewesen wäre. Wenn also dieser Film auch nicht mit schmutzigen Spekulationen ähnlicher Art völlig gleichzusetzen ist, ist er doch auch wieder nicht ohne pein liehe Nebenwirkungen und läßt die eingangs gestellte Frage offen,- ob man im Film wirklich solche Dinge aufzeigen oder nicht doch die Hände davon lassen sollte.

Der Film beginnt übrigens mit einer Gerichtsverhandlung, von der die Oeffentlichkeit ausgeschlossen wird. Sie sollte auch von solchen Filmstorys ausgeschlossen werden.

Der Wöchenrest — kein Schützenfest! Bolvarys „Hoch droben auf dem Berg“ legt erbarmungslos die Achillesferse des Heimatfilmes bloß; das Stilmischmasch und das Sprachenbabel. „Spiel mit dem Feuer“ sollte Rita Hayworth wieder in den Sattel setzen; vielleicht liegt es am Sattel; sie kann sich nicht halten. „Blutiges Geld“ und „Skrupellos“ — die Mittel wie die Titel.

Roman Herle

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 35, vom 31. August 1957: HI (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Albert, der Gangsterboß“, „Das gibt es nur in Kansas“, „Das haut hin“, „Hoch droben auf dem Berg“ — IV (Für Erwachsene): „Cory, der Falschspieler“, „Gangster, Spieler und ein Sheriff“, „Der Mann, den keiner kannte“, „Skrupellos“, „Wie schön, daß es dich gibt“.

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