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Helen Liesl Krag interviewte ihre ehemaligen Mitschüler: ihr Buch zeigt, wie das Schicksal der Eltern die Kinder der Nachkriegszeit prägte.

Helen Liesl Krag, die Tochter der Wiener Historikerin Edith Rosenstrauch-Königsberg, lebt seit 1969 in Kopenhagen, wo sie an der dortigen Universität für den Fachbereich Minderheitenforschung verantwortlich ist. Ab 1952 besuchte sie das Gymnasium Stubenbastei, an dem sie 1960 maturierte. In ihrer Klasse gab es evangelische, katholische, jüdische und konfessionslose Schüler. Deren Eltern waren in der Republik, sofern sie politisch zuzuordnen waren, Anhänger der övp, der spö, der kpö oder des dritten, später freiheitlichen Lagers. In der ns-Zeit waren sie Opfer, Exilanten oder Anhänger der Täter.

Unterdrückte Fragen

2001 beschloss die Autorin, ihre ehemaligen Mitschüler zu interviewen. Sie wollte mehr über deren Leben wissen und ihnen die vielen, während der langen Jahre der gemeinsamen Schulzeit unterdrückten Fragen stellen. Das Resultat ist sehr interessant. Ihr Buch zeigt auf, wie sehr die Geschichte und das Schicksal der Eltern deren Kinder geprägt haben, aber auch, wie sehr diese während ihrer Schulzeit versuchten, sich von der Last der Geschichte zu befreien und sie zu verdrängen.

Die Schlüsselfrage des Buches, die in allen Interviews implizit beantwortet wird, ist die (von Konni Mayer) formulierte Frage: "Kann man Kinder aus früher verfeindeten Gruppen zusammen in die Schule gehen lassen?" Unter den jüdischen Schülern herrschte die Tendenz vor, die eigene jüdische Herkunft zu unterdrücken.

Peter Steindl sagte dazu: "Viele haben über ihre Herkunft gar nichts gewusst und haben dem überhaupt keine Bedeutung beigemessen." Auch für Wowa Fried, dessen Mutter Prive Friedjung aus einer traditionellen jüdischen Familie aus der Bukowina stammt, war das Jüdische "kein Thema". Sogar Lili Kolisch, deren Vater, der Rechtsanwalt Kurt Heitler, von der kommunistischen Partei "in die Kultusgemeinde delegiert" wurde und 1950/51 acht Monate lang ihr Präsident war, erlebte dies: "Von den Eltern habe ich mitgekriegt, es [die jüdische Herkunft] hat keine Bedeutung. Es hat bedeutet: ein Wirrwar und ein Chaos. In meinem Gefühlsleben und in meinem Bewusstsein."

Die Schüler aus dem kommunistischen Milieu erlebten dessen gesellschaftliche Isoliertheit und soziale Ächtung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Fernsehjournalistin Toni Spira. Ihr Vater Leopold Spira war ein Mitglied des Zentralkomitees der kpö und bis 1969 Mitarbeiter der Abteilung für Agitation und Propaganda der Partei. Diekpö erlebte Tonia Spira als eine "Sekte" und eine enge und langweilige Welt. Die kommunistischen Welterklärungsversuche waren "äußerst langatmig" und öd; ihr Vater der "arischste" aller Juden: "Knickerbocker, Wienerwald und Bergsteigen." - "Religion und Tradition waren verpönt."

Unter den nichtjüdischen Schülern lässt sich keine einheitliche Tendenz feststellen. Sie kamen gut mit den jüdischen Mitschülern aus, aber waren, wie die Aussagen von Ossi Majer vermuten lassen, nicht bereit, sich ernsthaft mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zu setzen. Hingegen war Bruno Burchhart, der Obmann des Kärntner Turnerbunds, sogar in Israel, versteht die "Bevölkerung, die stolz ist auf ihre Geschichte", sagte aber in einem der nächsten Sätze: "Ich sehe auch nicht ein, wieso man immer jahrhundertelang Schuldgefühle vor sich hertragen muss."

Zeitgeschichtsdokument

Es ist wichtig, dass Krag auch den weiteren Lebensweg ihrer Mitschüler dokumentierte und bis auf zwei Ausnahmen deren volle Namen nannte. Die Interviewten setzten auch nach dem Erscheinen des Buches ihre Gespräche fort. Das Buch über ihre Klasse ist sowohl ein gelungenes soziales Experiment als ein wichtiges zeitgeschichtliches Dokument.

Unsere Schulklasse

Erwachsen werden nach dem Krieg

Von Helen Liesl Krag

Böhlau Verlag, Wien 2005

426 Seiten, geb., e 25,60

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