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Leben mit der Vergangenheit

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SIE ZWINGEN DIE BLICKE DER PASSANTEN IN IHREN BANN: jene Läden, hinter deren Glasfenstern ein buntes, vielgestaltiges, geradezu geheimnisvolles Leben herrscht oder hinter denen in zuchtvoller Beschränkung graziös oder wuchtig einige wenige Stücke Atmosphäre entfalten. Geschäfte, deren Portale modern gestaltet sind, aber noch öfter raffiniert intakt gehaltenes Alter verraten: mit einem Wort — „Antiquitätengeschäfte", So verhalten selbst eilige Passanten ihre Schritte, um einen Blick aus jenen Fenstern zu erhaschen. Diese „Saison“ vor den Auslagen der Antiquitätengeschäfte — von der man gerade jetzt sicher sprechen kann, wo zu den Einheimischen jene tausenden bummelnden Fremden hinzukommen, die vor den Antiquitätenläden stehenbleiben - gibt Anlaß zur Frage, ob sich eben jene Saison auch im Innern des Ladens fortsetzt und ob es vielleicht sogar ausschließlich eine Saison der Fremden ist?

Und nach einem Rundgang durch eine Reihe von Antiquitätenläden, durch echte vielbestückte Läden und durch Salons, in denen der Kunde leise auftritt, um nicht aus dem Rahmen zu fallen, ergibt sich gleich eine Reihe von erfreulichen Feststellungen:

An der Spitze im Kundenkreis der österreichischen Antiquitätenhändler steht der Oesterreicher! Und was noch erfreulicher ist: Der Kundenkreis setzt sich nicht nur aus älteren Menschen zusammen, nein, auch junge Menschen kommen! Denn: es gehört nicht unbedingt viel Geld dazu, um Antiquitäten zu erwerben. Wer Freude am Suchen, am Stöbern hat, der kann gute, preiswerte Einkäufe tätigen. Darüber hinaus gibt es viele Händler, die mit den Zahlungsbedingungen entgegenkommen, die einen Stock Dauerkunden haben, die gerne alte Dinge erwerben und mit ihnen leben wollen, deren Brieftasche aber keine größeren Sprünge erlaubt.

WAS WIRD GEKAUFT? Zwei große Käufergruppen sind zu unterscheiden: Jene der echten Sammler und jene der Menschen, die für ihre Wohnung das eine oder andere alte Stück suchen, um mit diesen Gegenständen zu leben. Mit den Antiquitäten zu leben, und sie nicht als musealen Zierat betrachten, das ist die.große Entdeckung der letzten Jahre, die wohl auf ein erstarkendes Volksbewußtsein zurückgeht, auf ein Besinnen auf österreichische Tradition, auf das Vätererbe. Die moderne Wohnkultur brachte praktische, schlichte Möbel ohne Schwulst und Falschheit. Sie brachte Möbel, die schön in ihrer Schlichtheit sind, denen aber das handwerklich-künstlerische Attribut fehlt. Ein altes Möbelstück, ein Bauernkruzifix, ein Bild, ja selbst ein altes Truhenschloß an der Wand oder gar eine prächtige Tiroler Truhe in dem modernen Wohnzimmer schaffen Atmosphäre, prägen die ganze Lebensart.

Damit ist das Feld aber auch sehr weit gesteckt: Es wird gekauft, angefangen vom Einzelmöbel, vom Tabernakelschrank bis zur Truhe, bis zum Stilzimmer und von der Waffen- und Musikinstrumentensammlung bis zur Fayence, zur kleinen Schatulle, zur Miniature und bis zur großen Holzplastik. Besonders gesucht sind Handwerkzeuge, wie überhaupt alle volkskundlichen Gegenstände.

Daneben gibt es Dinge, die der Mode unterworfen sind: Vor einigen Jahren wurde Kobaltglas und Meißner Porzellan bevorzugt, dann Altwiener-Glasperlen-Hąndtaschen. Das sind Dinge, die plötzlich einen Käufersturm auslösen, der sich dann legt, und der Absatz wird wieder normal.

Das Wohnen mit Antiquitäten hat aber auch die Behandlungsart der Antiquitäten vollständig geändert: Früher wurde die „Alterspatina“ nicht angerührt. Heute wird jedes Stück restauriert, geputzt, die möglichst älteste Fassung freigelegt.

WIE SIEHT ES AUF DEM EINKAUFSMARKT AUS? Diese Frage löst Sorgenfalten bei jedem Antiquitätenhändler aus. Praktisch lautet die Antwort: „Es gibt nichts mehr einzukaufen!" Diese Frage rührt an das Hauptproblem des ge-

samten Antiquitätenhandels. Der Einkauf ist schwer, Glasbilder z. B. sind im Aussterben, die vorhandenen Reste sind in festen Händen. Plastiken ebenfalls; die Provinz ist abgegrast, bei Bauern ist nicht mehr viel zu holen. Die privaten Auktionshäuser sind verschwunden, nur das Dorotheum ist noch eine — Quelle. Wie überhaupt die Großstadt noch eine Quelle ist, wenn Verlassenschaften auf den Markt kommen, wenn Witwen alter Offiziere oder Beamten ein Stück um das andere verkaufen. Verkauft wird heute hauptsächlich aus den Lagerbeständen der alten Antiquitätenhäuser, die Lager aber sind nicht mehr nachzufüllen …

Der Markt für Antiquitäten wird immer lebendig, wenn eine wirtschaftliche oder politische Umwälzung eintritt, wenn eine Gesellschaftsschicht zerbricht. So war es 1919, so war es 1938, so war es 1945. Wobei zu sagen übrigbleibt, daß also die Knappheit auf diesem Berufssektor anderseits für Oesterreich ein Po- sitivum ist. ..

Ein Einkaufsfeld für den Händler ist noch das Ausland, ist die jährliche Antiquitätenmesse in München und Florenz, sind Auktionen und „Gelegenheiten“. Dabei aber kann der österreichische Händler das internationale Preisniveau nicht halten, da in Oesterreich im Vergleich zum Ausland die Preise niedrig sind. Aber Kenntnisse und Erfahrung sind ein wichtiges Einkaufskapital, da damit noch manch günstiger Kauf getätigt werden kann. Und die Nationalbank stellt genügend Devisen zur Verfügung, um aus dem Ausland einkaufen zu können. So hat sich also eine Wandlung vollzogen: Unmittelbar nach dem Kriege waren es hauptsächlich amerikanische Aufkäufer, die in Oesterreich Ware billig kauften — wobei Gegenstände des vorigen Jahrhunderts und NS-Ueberbleibsel (möglichst mit Hakenkreuz!) bevorzugt waren —, und seit etwa vier Jähren wird aus dem Ausland wieder Ware in das Inland gebracht.

NATÜRLICH KAUFEN AUCH AUSLÄNDER bei uns ein. Das Kaufen ist ihnen gestattet. Mit dem Mitnehmen ins Ausland ist es schon schwieriger. Wohl gehen stets besonders kleinere Gegenstände ins Ausland, aber grundsätzlich ist jede Ausfuhr eines Kunstgegenstandes genehmigungspflichtig. Auf diese Weise versucht der Denkmalschutz wertvollen Kulturbesitz Oesterreich zu erhalten.

Unverständlich ist nur, daß es aber hin und wieder gelingt, Gegenstände in das Ausland zu bringen, die im Inland abzusetzen und die für Oesterreich wichtiges Kulturgut gewesen wären. Da gab es das Privatmuseum Sandor Wolfs in Eisenstadt, eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen, die plötzlich im vorigen Jahr bei einem Schweizer Antiquitätenhändler zur Auktion gelangte. Kunstfreunde aus der ganzen Welt eilten nach Luzern, um an diesem Ausverkauf mitzubieten. Stolz führte der Auktionskatalog an, daß dieser oder jener Gegenstand sogar in der „Oesterreichischen Kunsttopographie" verzeichnet sei! Ebenso wurde die einmalige Bibliothek Sandor Wolfs versteigert, mit Manuskripten, Miniaturen, Holzschnitten des 15. und 16. Jahrhunderts usw.

aptiidmsgisitut», latus uotH ,mni «a qno SÖ6 M£fts HbchschÄpr&f ifiÄ Säftf -'Bhf der Auktion zu einem österreichischen Freund: „Wie ist das' wohl möglich, solche Stücke aus der eigenen Vergangenheit und wertvollste Kulturgegenstände ausführen zu lassen?“

Diese Auktion war — ganz sachlich betrachtet — ein kultureller Schaden für Oesterreich. Wie auch die Madonnenaffäre des Dorotheums ein Schaden für Oesterreichs Kunsthandel und Museen war. Denn daß Experten ihren Irrtum nicht rechtzeitig zugaben, sondern über zwei Monate an einer falschen Meinung festhielten, hat zu internationalem Aufsehen geführt. Das erklärten übereinstimmend alle befragten Antiquitätenhändler.

DAMIT SIND WIR NUN BEIM ANTIQUITÄTENHÄNDLER SELBST ANGELANGT, bei jenem Beruf, den der Gremialvorsteher der Antiquitätenhändler und auch Vorsitzender dieser Berufsgruppe in der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Kommerzialrat Blasius F o r- n a c h, als den „schönsten Beruf der Welt bezeichnet“. Eine Meinung, die von den 80 Antiquitätenhändlern Oesterreichs geteilt wird. (Insgesamt gibt es über 400 Gewerbeberechtigungen, zum Großteil als zusätzlfche Berechtigung, neben einem anderen Handel den Antiquitätenhandel izu betreibeni')

Drei Sorten von Händlern sind zu unterscheiden:

1. Antiquitätenhändler, die selber Sammler sind;

2. Händler, die „Verdienen" wirklich groß schreiben wollen und

3. jene Händler, die mit allem handeln, auch mit Kitsch, der als „Ami-Ware" bekannt ist und eigentlich bestenfalls zum Altwarenhändler gehört.

Kommerzialrat Fornach sagt: „Ich verkaufe nicht gerne in das Ausland. Jedes Stück, das ich in Oesterreich einem echten Sammler verkaufen kann, der mit den alten Dingen leben will, freut mich. Und mich freut jeder Einkauf selbst, jedes Stück, das ich aus dem Ausland zurückholen kann. Diese Funktion des echten Antiquitätenhändlers wird viel zuwenig beachtet, daß er ja auch Retter von Kunstgegenständen ist. Wie viele Stücke haben wir buchstäblich vom Hackstock heruntergeholt oder aus dem Ausland zurückgekauft und einer österreichischen Sammlung einverleibt. Unser Beruf erfordert mehr als Kenntnisse, er erfordert Liebe — und das Schönste ist, wenn man soweit unabhängig ist, daß man nicht unbedingt verkaufen muß.“

Diese Auffassung findet man immer wieder, ich fand sie bei einem Tiroler Händler, der die schönsten Stücke versteckt, um sie nicht verkaufen zu müssen. So ist es auch z. B. bei Baronin Helene Heintschel-Heinegg, die eine wunderschöne Volkskundesammlung besitzt, Plastiken usw.. und sich doch von keinem Stück trennen kann.

Dieser Einstellung entspricht auch die Berufslaufbahn vieler Antiquitätenhändler, die andere Berufe aufgaben, um so zugleich ihrer Sammlerleidenschaft frönen zu können oder aber Sammler waren und nach dem Ende des ersten Weltkrieges ihr Vermögen verloren und nun ihre Sammlungen als Grundstock für einen Handel nahmen. Nachwuchs? Ja, da sind einige Kinder von Händlern oder Angestellte, die das Geschäft einmal übernehmen. Viel Nachwuchs gibt es nicht. Aber schließlich werden ja die Lager auch immer leerer. Vielleicht, daß einmal sich ein Sammler mit seiner Sammlung als neuer Händler etabliert…

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