6596875-1953_12_07.jpg
Digital In Arbeit

Leben und Werk der Brüder Grimm

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn der Satz aus den „Fragmenten“ Friedrich von Schlegels: „Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie“, wenn die Worte des Novalis: „Wir sind auf einer Mission: zur Bildung der Erde sind wir berufen“, wenn schließlich Wilhelm Grimms Gedanke von der Poesie aufsteigt, welche nur eine höhere und freiere Sprache des Menschen ist, und Jakob Grimms Idee des „Volksgeistes“, des Schöpfers der alten Dichtungen: so bildet das Werk der beiden Grimm eine Stufe zur Universalpoesie, zur Bildung der Erde, zur Vereinigung alles Getrennten. „Gradlinig bis zur einseitigen Strenge, treu und zuverlässig bis ins Kleinste im wissenschaftlichen wie im politischen und persönlichen Leben und doch Romantiker auch in der polaren Vereinigung der wissenschaftlichen Strenge mit kühner und umfassender Kombinationsgabe“ — diese Kennzeichnung Kluckhohns in seiner „Romantik“ gilt noch immer. Es muß betont werden, daß die vorliegende Biographie in überzeugender Weise den Grimmschen „Volksgeist“ einmünden läßt in die romantische Universalität. Diese hat Uhland, Novalis, Arnim und Eichendorff erhoben, hat Savignys Rechtsauffassung beherrscht, hat die „Monumenta Germaniae“

inauguriert. Vor allem aber ist klar ersichtlich, daß die nationale Denkweise eine ideologische Vorstufe zur universalistischen Bildung sein kann, daß (bei Savigny fühlbar!) das Volksrecht, der Volksgeist keine Volkswillkür kurzsichtiger Diktaturen ist, sondern die allversöhnende Idee der Humanitas, die Künderin des „anderen Deutschlands“, besser: des wirklichen Deutschlands, zu dem wir in Wien nicht zuletzt eine gewisse Beziehung dadurch haben, daß zwei Schriften Jakob Grimm 1815 in Wien schrieb und erscheinen ließ und in den „Wiener Jahrbüchern der Literatur“ (1824, 1825, 1829, 1835 und 1836) Rezensionen von ihm eingerückt sind. Der gewonnene Blickpunkt ist nicht zuletzt Verdienst des Herausgebers des vorliegenden Werkes, Hermann Gerstner. Es handelt sich zwar nicht, wie Prospekt und Klappentext vermerken, um die erste Doppelbiographie, was richtigerweise im Anmerkungsteil berücksichtigt, berichtigt erscheint. Nur gehört zwischen Julian Schmidts Aufsatz und der Rede von Karl Bartsch (also zwischen 1881 und 1885) das Buch von A. Dunker (Kassel, 1884) über die Brüder Grimm eingerückt.

Das vorliegende Werk ist zeitgemäß. Es ist Hinweis auf bescheidenen Dienst am Bleibenden, fern den Tagesläufen. Es ist ein Stück Sprachgeschichte, Eigenerkenntnis und Verkündigung, getreu den Worten des Novalis: „Die Sprache ist Delphi.“

Polnische Lyrik. Schönbrunn-Verlag, Wien. 111 Seiten.

Polnische Lyrik? Die von Ernst Fischer hier als „Dichtung kämpfender Humanität“ vorgestellten Verse werden heute überall geschmiedet, wo das blutrote Banner mit Hammer und Sichel herrscht. Warum soll es in der Heimat des weißen Adlers anders sein: Haßgesänge gegen den „faulen Westen“, Lobsprüche auf das Gewehr, auf das „Herz der Granate“, die neuen Hochöfen von Magnitogorsk und anderes mehr derselben Gattung. Auch ein blasphemisches Gedicht auf den Papst („Der purpurne (!) zwölfte Pius hebt seine blutgeröteten Hände“) fehlt' nicht. Etwas ungemütlich fühlen sich die großen Toten— Jan Kochanowski, Adam Mickiewicz und • Juliusz Slowacki — im Kreis dieser irregeleiteten Jugend. Armes Polen, arme Dichter...

Zygmunt K. Kamienski

Lyrikreihe, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt L i n z.

Unter allen Gattungen der Wortkunst ist die Lyrik die, mit der man das schlechteste Geschäft macht. Nur ganz selten sind Gedichtbücher Bestseller geworden: Von Otto Julius Bierbaums „Irrgarten der Liebe“ sollen (1906) binnen 14 Tagen 10.000 Exemplare verkauft worden sein, und die Auflagenziffer von Eugen Roths „Ein-Mensch“-Buch erkletterte in den dreißiger Jahren die Höhe von etlichen Hunderttausendern. In beiden Fällen lag aber neben der ungewöhnlichen Formgewandtheit der Autoren ein zeitgemäßer Reiz vor, für den das Publikum besonders inklinierte. Im allgemeinen ist der Druck eines Gedichtbandes ein Risiko, um nicht zu sagen eine Mäzenatentat des Verlegers. Dazu kommt noch, daß von 100 erschienenen Bänden dieser Art 90 besser ungedruckt geblieben wären.

Und trotzdem: Noch immer ergibt sich aus der Veröffentlichung der einzige verläßliche Wertmesser für eine geistige Leistung. Es kommt nicht auf die Zahl der fremden Leser an; noch weniger aber auf die Zahl entzückter Freunde. Freunde sind von vornherein gleichgestimmt, also leicht in Stimmung zu bringen. Ein Gedicht, das die Schranken der Fremdheit nicht zu überwinden vermag, war eben nicht überwältigend.

Es ist mithin ein beachtliches Unternehmen des Kulturamtes der Stadt Linz, jährlich den Druck von zwei, drei Lyrikbändchen zu' finanzieren. Beachtlich ob der moralischen Hilfe für die Autoren und ob der Bescheidenheit: Denn der fiskalische Aufwand verspricht keinen großen Propagandaerfolg, er ist eine stille Tat, in ihrer

Art beinahe dem Versemachen vergleichbar. Es sei daher hier nicht viel kritisiert, sondern nur bestätigt, daß sich die oberösterreichischen Lyriker ehrlich bemühen, das Gedicht zu pflegen, daß neben spielerischen Versuchen manche seriöse Zeile zu finden ist und daß dieses Pauschalurteil, dem Alter und dem persönlichen Können der Autoren nach mehr oder weniger, für alle Bändchen dieser Reihe gilt: Rudolf Bayr („Kalendarium“), Hermann Friedl („Fünf Gedichte“), Linus Kefer („Die Sommergöttin“), Franz Pühringer 4„Das Paradies“), T. Maria Seidelmann („O du herbes Licht“), Otto Strigl („Der Sternenpilger“) und Johannes Würtz („Tageweise“).

Edwin Harll

Briefe an Milena. Von Franz Kafka. S. Fischer Verlag (Lizenzausgabe von Schocken Books, New York). 286 Seiten.

Zusammen mit den Tagebüchern und den von Gustav Janouch aufgezeichneten Gesprächen enthalten diese Briefe die wichtigsten Zeugnisse über den Menschen Franz Kafka. Sie bestätigen fast auf jedem Blatt, daß dieser mit dem Schriftsteller identisch ist, sogar in bezug auf ihre sprachliche Vollkommenheit, ihre SymboJe, Formulierungen und unheimlichen Pointen. — Die Beziehung Kafkas zu Milena, einer gebildeten, schönen Tschechin aus alter, angesehener Prager Familie, war mehr als eine Briefliebe; sie hatte auch nichts Literarisches, obwohl Milena Kafkas Erzählungen übersetzte und ihn anläßlich dieser Arbeit kennenlernte. Milena war eine kluge und hellsichtige Frau, die Kafkas Größe als Mensch und Dichter vor vielen anderen erkannte. Sie hielt zu ihm, obwohl jeder Umgang, auch der briefliche, unvorstellbaren Komplizierungen unterworfen war. Ihr leidenschaftliches Temperament triumphierte über ihren kühl-wachen Intellekt, ihre Vitalität über die Konvention. Der Herausgeber Willy Haas weist auch auf die Leidensgeneigtheit der Slawin hin, deren Lieblingsautor Dostojewskij war. Jedenfalls tritt ihre Person aus Kafkas Briefen (die ihren waren tschechisch geschrieben und sind verlo'en-gegangen) so lebendig hervor, daß sie unser fnter-esse, das natürlich vor allem dem Dichter gilt, zu fesseln vermag. — Wie alles wurde auch diese Liebe für Kafka zu einer Quelle des Leidens, vielleicht zur allerbittersten. Diese Liebe steht von. allem Anfang an unter bösen Sternen und im Zeichen der Unerfüllbarkeit „Warum, Milena, schreibst Du von der gemeinsamen Zukunft, die doch niemals sein wird, oder schreibst Du deshalb davon?... Es gibt wenig Sicheres, aber das gehört dazu, daß wir niemals zusammen leben werden, in gemeinsamer Wohnung. Körper an Körper, bei gemeinsamem Tisch, niemals, nicht einmal in der gleichen Stadt.“ Kafka war in Prag oder im Sanatorium, Milena lebte in Wien, und die entbehrungsreiche Nachkriegszeit (1920 bis 1923) warf ihre dunklen Schatten auf jede der seltenen Zusammenkünfte. „Man ist eben“, schreibt Kafka in einem der letzten Briefe, „als biblische Taube aus-“ geschickt worden, hat nichts Grünes gefunden und schlüpft nun wieder in die dunkle Arche.“ Dies“ ist sein Gleichnis für Leben und Tod.

Prof. Dr. H. A. F i e c h t n e r

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung