Lebensentwurf als eine Andere

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Dr. Josefine Bartok, genannt Josi, arbeitet als Psychiaterin im Otto-Wagner-Krankenhaus auf der Baumgartner Höhe. Sie ist Spezialistin für Anorexiepatientinnen, ihr Mann Tomas betreibt ein Fitnessstudio, ihre beiden Kinder Karla und Bruno sind erwachsen und aus dem gemeinsamen Haus bereits ausgezogen. Ihren Erfolg in der Arbeit verdankt sie ihrer Distanz, sie ist spröde und bisweilen brutal direkt. Sie wird von ihren Patientinnen geliebt, "weil ich sie nicht geliebt habe". Nicht ganz so günstig erweist sich ihre Angst vor Nähe und ihr ironisch nüchterner Blick im Privatleben, das in unaufgeregten Bahnen verläuft, bis das Unglück gleich mehrfach zuschlägt.

Verkleidung und Verfremdung

Sie selbst hat eine Krebsopera tion an beiden Brüsten hinter sich, ihr Mann bekennt sich nach zwanzig Jahren Ehe zu seiner Homosexualität und überlässt es seinem Freund Edgar, sie davon in Kenntnis zu setzen. Josi bleibt nichts anderes übrig, als ihr Unglück selbst in die Hand zu nehmen, geht in Frühpension und zieht nach einem Zwischenstopp im Wiener Hotel Ananas in eine eigene Wohnung, spricht mit ihren Möbeln und beschließt, nur mehr Anzüge zu tragen. Sie probiert es mit der Verkleidung und Verfremdung als zarter Mann, unterstützt von ihrer Tochter, die diverse Anzüge aus ihrer Arbeitsstätte, der Kostümwerkstätte eines Theaters, mitbringt. Josi entwirft sich als androgyne Kultfigur à la Laurie Anderson, aber selbstironisch bekennt sie, dass sie einen "Panzer" trägt, der nur "zufällig wie ein Hosenanzug aussieht"

Lange musste man auf Monika Helfers neuen Roman warten, auf ihren schonungslosen und unsentimentalen Blick auf diverse Familienszenarien, der ihre Bücher auszeichnet, und auf ihre betont lakonische Erzählweise - Irritationen bei der Lektüre eingeschlossen. Wieder ist es ihr in "Bevor ich schlafen kann" gelungen, Lebensgeschichten zu entwickeln, die zwar tragisch, aber nie hoffnungslos sind.

Josi ist eine unangepasste Außenseiterin, aufgespannt "zwischen Depression und Dynamit", die sich "mit einem Mann guten Sex" wünscht und schließlich auch bekommt. Aber vorher schickt Monika Helfer sie noch auf eine griechische Insel zu einem Erzählseminar von Michael Köhlmeier, weil sie so gerne seine CD mit den Sagen des griechischen Altertums hört (und er im Leben außerhalb des Buchs Monika Helfers Ehemann ist). In Hydra landet sie zwar in einem Zimmer, das "in einem unterklassigen Zustand" ist, aber sie lernt auch die zwölfjährige Tochter Paula der Köhlmeiers kennen, mit der eine intensive Freundschaft beginnt und die nicht ganz zufällig so heißt wie die 2003 bei einem Unfall verstorbene Tochter Monika Helfers. Paula ist auch eine wunderbare Spiegelfigur, gleichermaßen kindlich und weise. Und Josi verliebt sich in den verheirateten Apotheker Max Lorber, der mit Paulas Hilfe in Wien schließlich ihr Geliebter wird.

Knapp und ohne Umschweife skizziert Monika Helfer ihre Figuren, beobachtet ihre Handlungen und ihre bisweilen verzweifelt komische Suche nach Identität, Liebe und Glück. Poesie und Trauer gestattet sie sich selten, etwa in den vier Zeilen eines Gedichts von Robert Frost, das den Freundschaftsbund mit Paula besiegelt und den Romantitel spendet: "Des Waldes Dunkel zieht mich an, doch muss zu meinem Wort ich stehn und Meilen gehen, bevor ich schlafen kann, und Meilen gehen, bevor ich schlafen kann."

Monika Helfer gelingt mit ihrem Roman "Bevor ich schlafen kann" ein ebenso berührender wie verstörender Roman über eine ungewöhnliche Frau in der Lebensmitte, die dem Glück eine Chance geben will.

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