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Lebensfrage der Menschheit

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Fast ist es mm ftfrifzig Jahre, daß auf einem Festabend der Technikerschaft Wiens der Studentenführer jener Zeit mit jehem zuversichtlichem Optimismus, aus dem eine tatkräftige Jungmannschaft Kraft schöpft, dem Preis der Technik beredten Ausdruck gab. Hoffnungsfroh sah der studentische Sprecher Ernst Felix Petritsch die technischen Wissenschaften zu einem großen, vor der ganzen Menschheit unternommenen Heereszug aufbrechen, „der ein Reich des Gemeinen, Materiellen und des Elends niederwerfen und unterjochen soll — um ein Reich des Edlen, des Geistigen und der wahren Wohlfahrt hier auf Erden aufzurichten.“

Zwanzig Jahre waren Torübergegangen und mit ihnen der erste Weltkrieg mit seinen bisher unbekannten Schrecknissen, den Giftjgasbomben und den ersten Beschießungen aus der Luft. Die tiefe Enttäuschung, welche die fortschrittsstolze Menschheit angesichts der hereingebrochenen Verwüstungen erfaßt hatte, spiegelte sich auch in dem Vortrag, den 1919 in der Wiener Urania der einstige Studentenführer der Tedinik und nunmehrige, dem österreichischen Fernsprechwesen als Fachmann zugeteilte Staatsbeamte Ing. E. F. Petritsch über das Thema „Die Kulturkraft der Technik“ hielt.

„Der Traum, der den Bahnbrecher der Erfahrungswissenschaften, Baco von V e r u-1 a m beseelte“ — sagte der Vortragende — „als er im Jahre 1624 am Schlüsse seines an Erfolgen und Mißerfolgen reichen Lebens die Schrift „Nova Atlantis“ verfaßte, müßte nun in Erfüllung gegangen sein: Die ganze Menschheit müßte, wie das von ihm geschilderte Inselvölkchen, durch die planmäßige Ausnützung der Naturkräfte die Mittel zu einem glücklichen und zufriedenen Leben gebunden haben und frei von sittlichen Verfehlungen und zerstörenden Leidenschaften sich eines ungetrübten Friedens erfreuen. Aber haben diese Fortschritte auch dazu beigetragen, Friede “und Freude zu mehren, die Menschen glücklicher, Zufriedener, besser zu machen? Schon vor dem Krieg hat es danach ausgesehen, als waren Begehrlichkeit und Unzufriedenheit gewachsen, als mangle es unserm Leben an Behaglichkeit und innerem Gehalt, an Festigkeit und Stetigkeit, diese Krise in unserer Kultur ist uns durch den Weltkrieg immer eindringlicher zum Bewußtsein gebracht worden. Vergeblich war unsere Hoffnung, die Technik werde, weil sie mit den Interessen der ganzen Menschheit verwachsen sei, den Ausbruch eines Krieges, wie den erlebten, verhindern, oder doch seine Austragung abkürzen, oder wenigstens die Menschheit davor bewahren, daß sie sich mit Scheußlichkeiten beflecke. Sieht es nicht danach aus, als wenn gerade die Entwicklung der Technik durch die herbeigeführte Machtsteigerung, ihre Verquickung mit dem Wirtschaftsleben die Katastrophe des Weltkrieges über die Menschheit gebracht habe? Erscheint es nicht widersinnig, daß alle Hilfsmittel und Kräfte der Technik durch über vier Jahre hindurch von der Menschheit nur dazu verwendet worden sind, daß sie sich zerfleische? Und nun, da wir am Ausgang des Weltkrieges stehen und friedlichen Zuständen zustreben, sieht es da nicht danach ans, als ob die segenbringende Kraft der Technik versage?“

Petritsch war, als er 1919 diese sorgenvollen Sätze sprach, eben im Begriff dem Ruf der holländischen Staatstelegraphenverwaltung Folge zu leisten und als Chef des Versuchswesens für Pupinkabel und Verstärker nach dem Haag zu gehen. Als er von dieser ehrenvollen Mission nach neun Jahren in die Heimat zurückkehrte und zum Leiter der Lehrkanzel für elektrische Fernmeldetechnik an der Wiener Technischen Hochschule ernannt wurde, fiel ihm die Aufgabe zu, an dieser Lehranstalt ein Schwachstrominstitut zu errichten, das alle Zweige des Nachrichtenwesens umfassen, erforschen und fördern sollte. 1934 war die vielbewunderte, nnn leider durch die Ereignisse der letzten Tage des zweiten Weltkrieges schwer beschädigte apparaturtechnische Ausrüstung dieses Instituts vollendet, mit der bereits vielfältige und wertvolle Erfolge erzielt werden konnten. In seiner Antrittsvorlesung kam Petritsch am 26. November 1928 wieder auf das große

quälende Problem, das ihn dauernd beschäftigte, zu sprechen. Es erschien ihm als eine starke Hoffnung die weltweise Ausbreitung des Nachrichtenwesens der Jetztzeit, das sich der elektrischen Wellen bedient und damit eine Entwicklung krönt, die mit dem Festhalten von Denkergebnissen durdi die mensdiliche Hand in einem einzigen Sdirift-stück begann und über deren vielexem-plarisdie Verbreitung durch die media-nisdien Mittel des Letterndruckes nun dazu gelangt ist, in einer einzigen Aussendung die ganze Welt auf einmal beschicken zu können. Schon sah der Forscher die Zeit kommen, wo die Untersuchungen, die hier auf einem Teilgebiet zum Erfolg geführt hatten, „einstmals den Durchbrudi des Menschengeistes durch die ' äußere Hülle der Natur in Erkenntnis des Aufbaues der Materie bis zum Atomkern ermöglichen werd e“.

Es hat sich inzwischen gezeigt, daß die 1928 von Petritsdi gemadite Vorhersage riditig gewesen ist; es wurden doch bis heute auf auseinanderstrebenden Wegen in dieser Sparte der Technik diese drei Etappen erreicht: Die weltweite Nachrichtenübertragung, das

Fernsehen und die Beherrschung der Atomenergie.

Damals verwies Petritsch darauf, welche völkerverbindende Rolle die Nachrichtentechnik spielen könne, imstande, zur Verwirklichung der großen Idee des Friedens beizutragen. Denn immer deutlicher habe sich herausgestellt, daß der Nachrichtendienst einer der Wege sei, auf dem die Völker einander kennen und verstehen lernen. War es die Schuld der Technik, daß die Entwicklung einen anderen Weg nahm? Anläßlich der österreichischen Technikertagung 1936 hörte man von Petritsch Warnungen, die heute einen furchtbaren realen Ernst gewonnen haben:

„Durch die Ausdehnung des Reiches der Technik über die ganze Erdoberfläche ist, gerade im Gegensatz zu ihrer Aufgabe, eine derartige Verflechtung der wirtschaftlichen mit den politischen Verhältnissen eingetreten, daß die Lebensbedingungen unsicher geworden sind, die Wirtschaft keine Stabilität mehr zeigt, keine Sicherungen für die Zukunft bietet. Die grauenhafte Erscheinung der zunehmenden Arbeitslosigkeit wird daher ebenfalls als eine Folge der technischen Entwicklung angesehen.

Dartiber it kein Zweifel, daß unsere Kultur nur gesunden kann, wenn diese unheilvolle Kluft zwischen Kultur und Technik verschwindet, andernfalls ist sie rettungslos zum Untergang verurteilt. Die Einstellung zur Technik ist die Schicksalsfrage nicht nur für das Abendland, sondern für die ganze Welt; denn für alle Welt-madhtverteiluitg zwischen den Völkern spielt ihr Verhältnis 2ur Technik eine bestimmende Rolle. Aber nicht die E r-findungen und Maschinen sind dabei entscheidend, sondern es kommt darauf an, wie die menschliche Seele sich dazu stellt, ob ihr das Werden eines höheren Reiches aufleuchtet. Es gilt die Technik mit allen ihren Machtmitteln e i n z -gliedern in eine nene Kultnr, so daß nicht die Technik sie beherrscht oder über sie hinwegschreitet, sondern die Technik die dienende Freundin wird, wie dies in allen Hochkulturen der Vergangenheit der Fall war .. .“

Wie eine endgültige Stellungnahme vom Problem, ob die Technik der

Menschheit zum Fluch sein werde, klingen die Sätze, die der österreichische Forscher in einem 1937 gehaltenen Vortrag „Technik und Gemeinschaft“ aussprach:

„Gelingt es uns nicht durch Überbrückung aller dieser Gegensätze zu einer E i n heit und Ganzheit zu kommen, verjagen unsere geistig sittlichen Kräfte, verstehen wir es nicht Gottes Willen zu erkennen und uns ihm zu fügen, dann sind auch wir mit Spengler der Oberzeugung, daß unsere Kultur rettungslos zum Untergang verurteilt ist. Aber nicht durch eine blinde Schicksalsmacht, nicht naturnotwendig zwangsläufige sondern durch unsere Schuld. Auch nicht durch die Technik. Im Gegensatz zu Spengler sind wir der Uberzeugung, daß die Menschheit jederzeit die Fähigkeit hat lebendige Menschlichkeit, gottverbundene Geistigkeit, echte Kultur zu schaffen. Zu diesem Zweck sind ihr auch die Fülle von Hilfsmitteln zur Verfügung gestellt worden, die die moderne Technik geschaffen hat. Hiebe! verkennen wir nicht die Größe der gestellten Aufgabe, den

furch t-baren Ernst der Stunde. Die moderne Technik ist etwas ganz Neues, sie ist nicht mehr und nicht weniger als die Entdeckung neuer Wirkungsmöglichkeiten, neuer Schauplätze, neuer Lebensräume, verbunden mit neuen Gefahren, neuen Zwiespälten, neuen Zerwürfnissen. Die Einstellung zur modernen Technik ist die Schicksalsfrage nicht nur für das Abendland, sondern für die ganze Welt. Denn für alle Weltmachtverteilung wird, wie in der Gegenwart so auch in der Zukunft das Verhältnis der Völker zu dieser Technjk eine bestimmende Rolle spielen. Sie muß in eine neue Kultur so eingegliedert werden, daß die richtige Weltordnung wieder hergestellt wird. Die Technik muß zu einem Mittel werden, um das Leben in Familie, Gesellschaft und Staat sinnvoll zu gestalten.“ Wenige Monate, nachdem diese Sätze, der Vorhalt eines Wissenden an alle Den-

kenden, gesprochen worden waren, gab es

auch in Österreich keine freie Meinungsäußerung mehr. Die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus im März 1938 ver-sdiloß audi Petritsdi, der alsbald seines Lehramtes für verlustig erklärt worden war, den Mund. Die sdiweren Kriegsjahre rollten ab bis zum schicksalhaften Zusam-menbrudi im Vorfrühling 1945. Inzwischen war es den angelsächsisdien Völkern gelungen, bis zur Beherrschung der Atomenergie vorzudringen. Die aus dieser Herrschaft über bis dahin ungebändigte Naturkräfte hervorgegangene Atombombe war wahrhaftig zum „Lysipolemos“, zum „Kampf-beendiger“ geworden. Mit diesem Wortbild wurde in alexandrinischer Epodie und in deren Kulturkreis eine von Dorion, einem sonst unbekannten Techniker dieses Zeitalters, erfundene Waffe bezeichnet, von der man — wie es scheint —- eine Wirkung ähnlich der Atombombe von 1945 erwartete. Daß diese' den zweiten Weltkrieg — im Gegensatz zu ihrer antiken Vorgängerin — tatsächlich sdilagartig beenden konnte, hatte jedoch zur Voraussetzung, daß diese furchtbare Waffe, deren Abwurf über 500.000 Mensdien auf einen Schlag das Leben gekostet haben soll, nur der einen Gruppe der Kriegführenden, der andern aber nicht, zur Verfügung stand. Ist sie erst im Besitz aller, dann allerdings kann und wird ein in Zukunft etwa aus-gebrodiener Machtkampf nur mit dem von Coudenhovc-Kalergie vorausgesagten Selbstmord beider sidi Bekriegenden enden.

Es nimmt daher nicht wunder, daß Sowjetrußland sidi beunruhigt fühlte, solange es schien, daß die beiden angelsächsisdien Nationen das Geheimnis der Beherrschung der Atomenergie für sidi behalten wollten Nun aber hat s'di, seit der USA-Außenminister am 25. Jänner 1946 in der Vollversammlung der UNO erklärt hat, daß „diese Wissenschaft nidit das Monopol irgend eines Staates sein solle“ und seit die Kommission zur Verwaltung der Atomenergie sich konstituiert hat, in der neben USA, und England auch Moskau vertreten ist, die Lage etwas verändert. Wir wollen daher die Hoffnung nicht sinken lassen, daß der Menschheit mit der Beherrschung der Atomenergie tatsächlich „der Schlüssel für eine glüddichere Zukunft“ in die Hand gegeben wurde! Daß dem so werde, ist wohl die vornehmste Aufgabe des Rates der Vereinigten Nationen. Sie zu erfüllen muß gelingen; denn zu einem Rat gehören zwar viele Köpfe, zur befreienden Tat aber meist nidit mehr al der gute Wille!

„Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens. Alle Epochen, in welchen der Glaube herrscht, unter welcher Gestalt er auch wolle, sind glänzend, herzerhebend und • fruchtbar für Mitwelt und Nachwelt. Alle Epochen dagegen, in welchen der Unglaube, in welcher Form es sei, einen kümmerlichen Sieg behauptet, und wenn sie auch einen Augenblick mit einem Scheinglanze prahlen sollten, verschwinden vor der Nachwelt, weil sich niemand gern mit Erkenntnis des Unfruchtbaren abquälen mag.''

Goethe, „Westöstlicher Diwan“

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