Elfriede Gerstl - © Foto: Herbert Wimmer

"Lebenszeichen" von Elfriede Gerstl: Wie aus dem Ärmel geschüttelt

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Der letzte Gedichtband der im April verstorbenen Lyrikerin Elfriede Gerstl.

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Der letzte Gedichtband der im April verstorbenen Lyrikerin Elfriede Gerstl.

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Wenn von einer kürzlich verstorbenen Dichterin ein Band mit dem Titel „Lebenszeichen“ erscheint, dann ist das ein Beispiel für traurige Ironie. Das Buch selbst freilich kommt, wie es Elfriede Gerstl entspricht, überhaupt nicht schwermütig-gravitätisch daher, sondern leichtfüßig und ironisch, häufig auch witzig, wie in dem Gedicht „urlaubsplanung“: „im wald is fad / die berg zu steil / am meer wirst / von der hitze blöd / vielleicht eine stadt / mit strassencafés / also bleib ich da sitzen / auch hier kann ich schwitzen“.

Das sind Verse in bester Wiener Reisemuffeltradition à la Peter Altenberg, und sie sind überhaupt sehr wienerisch: Gerstl hat die elliptische Präzision der Umgangssprache ihrer Stadt bewusst kultiviert, auch als Gegenmittel gegen das durch jede Hintertür hereindrängende Pathos des Lyrischen.

Mit Altenberg verbindet dieses Werk – schon dieses Wort vermittelt einen unangemessenen Eindruck von Schwere – auch die Gabe, etwas kunstvoll Gemachtes ganz leicht und wie aus dem Ärmel geschüttelt wirken zu lassen. Das Paradoxon einer förmlich bewusstlosen Schreibarbeit beschäftigt Elfriede Jelinek in ihrem nicht weniger genauen als zärtlichen Nachwort – wie kann sie, die andere Elfriede, bei dieser Müdigkeit und Schwäche, von der das Ich hier auch redet, die Zügel so souverän festhalten? „Es geschehe mein Wille, sagt sie, aber da ist kein Wille mehr, und es geschieht trotzdem, was geschieht da, damit es oder etwas andres geschieht?“

Wundersame Heiterkeit

Wenn auch das Geheimnis nicht zu lüften ist, so verleiht doch Gerstls gelassener Umgang mit kleineren und großen Plagen diesen Gedichten allerletzter Hand (die die Dichterin tatsächlich noch angelegt hat) eine wundersame Heiterkeit. Ob das Handy öffentliches Ärgernis erregt, die „zwangsbeschallung“ oder der Pfirsichduft am Klo, oder ob es um Alter, Krankheit und Tod geht: Gerstl nimmt es mit einem Achselzucken. Der schön gestaltete Band enthält neben Poesie aus dem letzten Jahrzehnt auch kleine Prosastücke wie den „traum vom luft in der luft sein“, der mit der Frage endet: „habe ich den engelstatus erreicht?“ Im Lyrik-Himmel ganz bestimmt.

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