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LEGION GOTTES

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Die Saddashiv Peth, eine Straße außerhalb, von, Poona, wir ! hauptsächlich von Brahmanen bewohnt Und hier, zwischen einstöckigen Häusern, an einer Gartenpforte das Schild: „Snehasadan“ — was „Haus der Freundschaft“ bedeutet. Doch ist damit kein indisches Ashram gemeint, sondern die Wohnung von zwei Jesuitenpatres. „Wir haben uns in dieser Stadt niedergelassen, weil es uns wichtig erschien, vor allem die gebildete Schicht, also die Brahmanen, anzusprechen“, meint Pater Lederle, Deutscher und seit 17 Jahren in Indien. Sein französischer Kollege, Pater Deleury, ist im Augenblick nicht anzutreffen, da er sich mit drei organisierten Jugendgruppen im Konya-Gebiet befindet, um dort bei den Aufbauarbeiten der im Frühjahr durch ein Erdbeben zerstörten Dörfer mitzuhelfen.

Die Brahmanen bilden bei den Bekehrungsversuchen westlicher Missionare nach wie vor den hartnäckigsten Widerstand. Trotz vieljährigem Bemühen ist es den Jesuiten in Poona bis heute nicht gelungen, einen Brahmanen zum Christentum zu bekehren. Die etwa 11 Millionen Christen in Indien sind vor allem Angehörige niederer Kasten oder Kastenlose. Obwohl letztere seit den Verordnungen aus dem Jahre 1947 (die indische Regierung hatte damals ein Gesetz erlassen, das den Kastenlosen großzügige Unterstützungen gewährte) ebenfalls schwer zu erreichen sind, da sie als Christen ihrer jüngsten Privilegien verlustig gehen. Womit gleichzeitig das Schlagwort von den „rice Christians“ — so genannt, weil sie mit dem Christentum zugleich bessere Lebensbedingungen eintauschen und ihre tatsächliche Gesinnung daher nicht ganz eindeutig war — hinfällig geworden ist.

Die Jesuiten von Poona, das als Mittelpunkt der Brahmanen von ganz Maharashtra gilt, betrachten es daher als ihre wichtigste Aufgabe, mit der „Herrenkaste“ ins Gespräch zu kommen. „Wir wollen mit dem Vorurteil aufräumen, daß das Christentum die religiösen und kulturellen Werte des Hinduismus zerstöre“, meint Pater Lederle. „Werdas .Snehasadan1 besucht, soll sich dort wie zu Hause fühlen. Er soll sehen, daß wir die indische Kultur und Religion achten und daß wir nicht nehmen wollen, sondern geben.“ Pater Lederle beschäftigt sich intensiv mit indischer Philosophie, Religion und Geschichte, ist Mi- arbeiter an der „Marathi Philosophie Enzyklopädie“, besitzt einen kleinen Kunstverlag für Postkarten und Heiligenbilder, außerdem einen Verlag für christliche Bücher. Seine Dissertation behandelte das Thema: „Weltanschauliche Bewegungen im modernen Maharashtra“, und seine Arbeit für das „Maharashtra State Information Centre“ wartet auf ihre Veröffentlichung. Wer in seine Studierstube will, muß vorerst einmal die Schuhe ausziehen. Denn es ist ein uralter indischer Brauch, in das Zimmer eines Guru (heiligen Mannes) barfuß zu treten. Auch nach Bett und Stuhl wird sich der Besucher vergebens Umsehen. Geschlafen, geschrieben und gegessen wird auf dem Boden, wie es bei orthodoxen Hindus üblich ist. Der Jesuitenpater hat sich außerdem völlig auf die indische Kost eingestellt, ist Vegetarier, kennt weder Gabel noch Messer, sondern langt mit den Fingern zu, spricht Sanskrit und Mahrathi, grüßt indisch und ist demnach nur durch seine weiße Hautfarbe von den Eingeborenen zu unterscheiden.

Und genau das soll bezweckt werden. Die Kunst der Anpassung haben die Jesuiten von jeher glänzend verstanden. Und ein großer Teil ihres Erfolges ist wohl auf diese Flexibilität zurückzuführen.

Im „Snehasadan“ treffen einander die Vertreter der verschiedensten Religionen und Weltanschauungen: Hindus, Muslim, Buddhisten, Sozialisten und Marxisten. Und am Morgen kommt Avinash, der Sohn des Hindu- nachbam, um zu ministrieren.

Der Hindu ist in seiner Einstellung anderen Religionen gegenüber durchaus tolerant. Es ist daher verhältnismäßig leicht, mit ihm in ein religiöses Gespräch zu kommen. Es widerspricht keineswegs seinen religiösen Vorstellungen, in die Reihe vieler tausend Hindugötter auch noch Christus aufzunehmen. Doch sind Tradition und Kastengeist in Indien immer noch sehr stark verwurzelt, weshalb der Inder seine Religion mehr von der sozialen als von der erkenntnistheoretischen Seite her betrachtet. „Hinduismus ist im wesentlichen eine Gesellschaftsform“, sagt Pater Lederle.

In Poona gibt ©5 unter 824.000 Einwohnern immerhin mehr als 22.000 Christen, in acht katholischen Kirchen und zwölf weiteren Orten wird sonntags die Messe gelesen. Wobei sich der europäische Christ wohl auch hier nicht zurechtfimden würde: denn der Ritus hat neben dem Abendländischen noch das Morgen- ländische in sein Programm aufgenommen. Und als im Frühjahr dieses Jahres in Poona die Grundsteinlegung eines neuen „christlichen Ashram“ gefeiert wurde, das als Ort geistiger Auseinandersetzung das „Snehasadan“ ablösen soll, hatte die Zeremonie vor allem indischen Charakter. Worauf die indische Wochenzeitschrift „Sadhana“ meinte: „Das Ganze war so klassisch schön, daß sogar unsere Zunge nicht zögerte, als der Name Jesus Christus in dem Sanskrit-Hymnus fiel.“

In Indien gibt es ungefähr 2500 Jesuiten, das sind etwa ein Drittel sämtlicher christlicher Geistlichen. Der erste Jesuit, der indischen Boden betrat, war St. Francis Xavier. Er kam zugleich mit den portugiesischen Eroberern, die im 16. Jahrhundert an der Westküste Indiens landeten, um dort die portugiesische Provinz Goa zu gründen. Seine Gebeine ruhen in einem prachtvollen silbernen Sarg in der Basilica of Bom Jesus bei Old Goa, die für den christlichen Teil der Bevölkerung (die Goanesen bestehen immer noch zu etwa 36 Prozent aus Christen) beinahe zu einem Wallfahrtsort geworden ist.

Neben dem etwas südlicher gelegenen Kerala ist Goa heute noch eine Bastion des Christentums in Indien. Es hat einen Erzbischof (der zugleich Ehrenpatriarch von Ostindien ist) und stellt Christen auch aus der gebildeten Schicht. Im Jahre 1963 wurde die Goa-Poona-Provinz der

Gesellschaft Jesu gegründet, der heute an die 500 Jesuiten angehören.

Die Diözese Poona ist die älteste deutsche Mission in Indien. Sie existiert seit dem Jahre 1854 und wurde von Schweizer und deutschen Jesuiten gegründet. Nach vier Jahren wurde ihr das Vikariat Bombay angeschlossen. Und in den achtziger Jahren erhielt Bombay einen Erzbischof und Poona einen Bischof. Später allerdings verlagerten die Jesuiten ihre Tätigkeit mehr und mehr in die „Brahmanenstadt“. Eine Entwicklung, der die beiden Weltkriege ein unrühmliches Ende setzten. Augenblicklich gibt es wieder mehr als sechzig katholische Krankenhäuser und mehr als 6000 katholische Schulen in Indien. Und die Zahl indischer Schüler an den Jesuiten- seminaren steigt ständig.

Das Christentum in Indien 1st jedoch nicht ausschließlich auf die Tätigkeit von Missionaren zurückzuführen. Als die Portugiesen im Jahre 1500 an der Malabar-Küste — dem heutigen Kerala — landeten, muß ihre Verblüffung groß gewesen sein, als sie unter der einheimischen Bevölkerung etwa 150.000 Christen vorfanden. Daß der Apostel Thomas im Jahre 52 n. Chr. nach Südindien gekommen sei, um dort die christliche Lehre zu verkünden, bis er in der Nähe von Madras den Märtyrertod starb, mag eine Legende sein. Obwohl diese Version auch die Wissenschaft beschäftigt. Tatsache jedoch ist, daß um die Mitte des 4. Jahrhunderts zahlreiche christliche Flüchtlinge aus Syrien und Mesopotamien an der Westküste Indiens landeten, um sich dort mit Erlaubnis der Stammesfürsten niederzulassen. Heute gehören nach einer Erhebung aus dem Jahre 1964 etwa 1,5 Millionen Christen in Kerala der Syro- Malabar-Sekte an, 125.000 der Syro-

Malankara-Sekte und 822.000 der Lateinischen Sekte. Das Bemühen der katholischen Kirche, alle drei Sekten zu vereinigen, ist bis jetzt erfolglos geblieben. Weshalb man nun versucht, sie unter einem indischen Ritus zu vereinigen.

Bemerkenswertes haben die Jesuiten auf dem Gebiet des Erziehungs- wesens geleistet. Denn während das indische Erziehungswesen trotz ständiger Reformen noch ziemlich im argen liegt, können die Jesuitenschulen mit schönen Erfolgen aufwarten.

In den Elementarschulen besteht etwa ein Drittel der Kinder aus Katholiken, in den Sekundärschulen ist es ungefähr die Hälfte.

„Wir machen keine Unterschiede zwischen den verschiedenen Kasten und Religionen“, meint der Schweizer Jesuitenpater Schoch, Senator der Universität Poona, Mitglied des Akademischen Rates von Maharashtra und Direktor der „Loyola High School“ in Poona.

Die Räume der „Loyola High School“ sind nüchtern und streng. Jetzt hallt der Schritt durch die leeren Gänge. Aber während des Tages füllen sie sich mit braunen Jungen und Mädchen: Brahmanen neben Unberührbaren, Hindus neben Christen. Außer der „Loyola High School“ ließ Pater Schoch auch noch die „Dnyanamata High School“ in Sangamner bauen und ist für den Neubau von „St. Vincent High School“ in Poona verantwortlich. Und während an den übrigen indischen Sekundärschulen meist 50 bis 60 Prozent der Prüflinge durchfallen, weiß der Jesuitenpater an seinen Schulen von nahezu 100-Prozent- Ergebnissen zu berichten.

Der gute Ruf, den die Jesuitenschulen in Indien genießen, scheint seine Angaben zu bestätigen.

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