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Lehrerbildung in der Not der Tage

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Unverkennbar hat das Berufsethos der Lehrer, das den Hintergrund unseres Schulwesens bildet, viel zu der bisherigen geistigen Haltung Europas beigetragen. Wie steht es damit in der unmittelbaren Gegenwart?

Wer diese Frage verfolgt, der erkennt sehr bald die Existenznot der geistigen Berufe und die Verpolitisie-r u n g des öffentlichen Lebens als schwere Hindernisse für die Entfaltung einer echten Berufsgesinnung in der jungen Lehrergeneration. Die Wirkung solcher Eindrücke ist gar oft eine Art von seelischem Schrumpfungsprozeß, der bis an die Substanz des Lehrerbewußtseins zu greifen droht. Es ist nicht so, daß die Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft auch schon das besondere Berufsethos zu ersetzen vermag, das eben weit mehr ist als die scharfsinnigste Ausgewogenheit zwischen Rechten und Pflichten des Lehrers. Berufsethos, das heißt für ihn eine Gewissensverpflichtung, nicht nur in den Amtsobliegenheiten, sondern im ganzen persönlichen Tun und Lassen das Beste für Familie und Staat zu wirken.

Es ist die Ausübung des Heilswillens am werdenden Menschen“, um mit F. X. Eggersdorfer zu sprechen, was dem Berufe des Lehrers sein Ethos verleiht. Dieser Heilswille aber stellt die Erziehertätigkeit nach Ursprung und Ziel in eine Wesensbeziehung zu Gott. Der von der ganzen Größe seines Berufes erfaßte Lehrer erkennt ihn als eine echte Sendung.. Niemand Geringerer als Georg Kerschensteiner hat das in neuerer Zeit so eindrucksvoll dargelegt. In seinem Buch, das den klassisch gewordenen Titel „Die Seele des Erziehers“ trägt, zeigt der große Pädagoge den religiösen Ursprung des Erzieherberufs. Und es ist in Ansehung solcher Hintergründigkeit nicht zuviel behauptet, wenn selbst die Überwindung der gegenwärtigen Geisteskrise in einen Zusammenhang mit dem Ringen um die Seele des Erziehers gestellt wird. Das Wort T. S. Eliots „Unsere Kultur ist eine christliche und sie würde den Untergang des christlichen Glaubens in Europa nicht überleben“ läßt uns die Bindung der Existenz des Abendlandes an ein religiös-idealistisches Berufsethos des Lehrstandes zum Bewußtsein kommen.

Gedanken dieser Art sind in unseren Tagen sehr wohl am Platze, denn die Schulfrage verlangt gebieterisch nach Beachtung und nach neuen Lösungen. Bedeutende Dinge sind im Werden: die rasch fortschreitende Reform der Landschule zeichnet sich ab, große Tagungen über das Mittelschulwesen und über den Religionsunterricht bekunden unmittelbar den pädagogischen Fortschritt auf zwei besonders schwierigen Gebieten. Aber eben in diesen Tagen begeht die Lehrerschaft auch das Andenken eines ihrer Größten, des heiligen Johannes von La Salle, der vor 300 Jahren das Licht der Welt erblickte. Er war es ja, dessen Anliegen darin bestand, einen eigenen Lehrerstand mit besonderem seelischem Gepräge zu schaffen, und der dieses Ziel auch noch selbst verwirklicht hat. Der geniale Erzieher und gottbegnadete Seelenführer La Salle — vor 50 Jahren heiliggesprochen und im vergangenen Jubeljahr zum Patron aller christlichen Erzieher erhoben — zählt zu den providentiellen Menschen, die für kommende Jahrhunderte vorausdenken und -ahnen.

Wenn es uns in diesen Ausführungen um die Seele des Erziehers geht, dürfen wir sehr wohl mit einigen Gedanken bei dem Manne verweilen, der ihr so viel gegeben hat wie nicht bald ein zweiter.

Es war eine Stunde der großen Berufung, als der aus adeligem Hause stammende junge Kanonikus La Salle zu Reims erkannte, welche Bedeutung die allgemeine Elementarbildung künftig für Volk und Kirche haben werde. Sie zu schaffen, sah er nun als die Aufgabe an und widmete sich ihr mit jener Unbedingtheit, die den späteren Heiligen kennzeichnet. Eine Fülle organisatorischer und didaktischer Neuerungen im Bereiche des Volksschulwesens geht von ihm aus, doch am wichtigsten ist sein Ringen um die Seele des Lehrers. So wird er der Schöpfer der ersten Bi1dungsansta1t für Volksschullehrer in Europa und der Gründer des ersten — und heute größten — Lehrerordens der katholischen Kirche, der Schulbrüder, die sein lebendes Denkmal geworden sind. Vielleicht war es entscheidend, daß La Salle die Geburtsstunde des Laizismus erlebt hatte, forderte doch zu seinen Tagen J. Milton die Trennung von Kirche und Staat, während J. Locke die neue Erziehung ausschließlich auf seine „Untersuchungen über den menschlichen Verstand“ gegründet wissen wollte. Diese Gottentfremdung mußte bald auf das Schulwesen übergreifen und dagegen gab es nur eine Abwehr: die christliche Erziehung auf den Boden eines pädagogischen Realismus zu stellen, zu einer Gestaltung des Schulwesens zu streben, die alle zeitlos gültigen Werte des Glaubens nicht an die wandelbaren Bildungsinhalte knüpft, die daher überflüssigem Ballast ruhig ausscheidet, den neuen Naturerkenntnissen Rechnung trägt und der Pflege der Muttersprache Raum gibt. Das war, in wenigen Strichen gezeichnet, das Bildungsprogramm des Mannes, und so steht er heute als der Pädagoge des sozialen Denkens und der Bildung für die breiten Volksmassen in der Geschichte der Erziehung. Wie ganz anders hätten sich die Arbeiter- und die Schulfrage in dem heraufkommenden Zeitalter entwickelt, wäre La Salles Anliegen zu dem der gesamten Christenheit gewordenl Und doch steht über alledem und noch vielem, was man über sein Wirken sagen müßte, seine Leistung als Lehrerbildner. Sozialer Aufstieg und berufsethische Fundierung dieses Standes sind untrennbar mit seiner Person verbunden. Die Einschätzung der Lehrerpersönlichkeit führt von der Gedankenwelt La Salles direkt in die pädagogische Problematik unserer Tage herauf, denn keine organisatorische Umgestaltung ist imstande, unsere Unterrichtsanstalten zu wahren Lebens- und Erziehungsschulen zu machen, gelingt es nicht, die geistige Substanz jener Menschen, die die Schule tragen, zu bewahren und an den Aufgaben der Zelt sinnvoll zu entfalten. Das ist es, was der heilige Johannes von La Salle zum erstenmal in voller Klarheit erkannt und die Welt gelehrt hat, was nach ihm die Großen im Bereiche des Erziehungsdenkens, ein Pestalozzi und Frö-bel, ein Willmann und Spranger, als den Fundus der Menschenbildung gezeigt haben, die soziale Struktur des Erziehers und das besondere Berufsethos des Lehrstandes. Das Bemühen der österreichischen Unterrichtsverwaltung von heute um die Ausgestaltung der Lehrerbildung und -fortbildung ist in solcher letzter Erkenntnis des pädagogischen Problems begründet.

Wie steht es aber, so fragten wir, um die Seele des Erziehers? — Sie ist bedrängt, denn viele Gewalten stürmen auf sie ein und das beglückende und begeisternde Erlebnis der Sinnerfüllung durch den ungestörten Erziehungserfolg wird immer seltener. Da ist auf der einen Seite die existentielle Erschütt e r u n g im materiellen und im geistigen Sinne, auf der anderen bietet sich ein allzu billiger Pragmatismus an, dem das Experimentieren mit der Entwicklung des jungen Menschen zum Fetisch zu werden droht. Zwischen diesen beiden Polen der seelischen Gefahrdung aber breitet sich in vielen Fällen die Öde eines müden Skeptizismus, aus den Enttäuschungen der Zeit stammend. Wohl überdeckt eine gewisse Routine manches, doch ist das eigentliche Berufsethos durch diese Faktoren schwer gefährdet. Gerade eine solche Lage der Dinge aber macht jene weiten Kreise der christlichen Lehrerschaft, in denen auch heute noch eine idealistische Berufsauffassung besteht, zu Trägern eines kostbaren Erbes. Es sind vor allem die religiös fundierten Berufsvereinigungen, die ihre hohe Aufgabe darin sehen müssen, das in den harten Kämpfen der jüngsten Vergangenheit gewachsene Ethos zu bewahren und weiterzugeben. Eine Schicksalsfrage des Abendlandes jedoch scheint es zu werden, ob man die Schlüsselstellung richtig einschätzt, welche die Geisteshaltung der Lehrerschaft heute in dem Wettlauf zwischen östlichem und westlichem Materialismus bedeutet.

Alles Mühen um die Erneuerung der Schule und die Hebung der Jugenderziehung wird letzten Endes in dem Ringen um die Seele des Erziehers entschieden, wie es Kerschensteiner voraussah.

Diese Wahrheit muß gerade zum Zen-tenar des Patrons der christlichen Erzieher in Erinnerung gebracht werden, denn es ist offenkundig doch so, wie es Papst Pius XI. in seiner großen Erziehungsenzyklika ausgesprochen hat: „Gute Schulen sind nicht so sehr die Frucht guter Schulordnungen als vielmehr guter Lehrer, die in dem Fache, das sie lehren sollen, vorzüglich vorbereitet und unterrichtet, aber auch gut ausgerüstet sind mit den geistigen und sittlichen Eigenschaften, die ihr hoher Beruf von ihnen fordert.“

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