held hermann - © Illustration: Leonora Leitl / Tyrolia

Alltag im letzten Kriegsjahr

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Zwölf Jahre alt ist Hermann in diesem Frühling 1944, seine Mutter versucht ihn und seine Geschwister gut durch die schwere Zeit zu kriegen, sein Vater muss an der Ostfront kämpfen. Hermann selbst juckt es in den Fingern, und er schießt in einer grandiosen Anfangsszene, die zwischen Ernst und Komik meisterhaft changiert, mit seiner Steinschleuder das Bild des Führers von der Wand und in Scherben. Leonora Leitl, die bislang vor allem als Illustratorin reüssiert hat und dafür auch vielfach ausgezeichnet worden ist, beweist mit ihrem Kinderroman-­Debüt, dass sie auch über enormes erzählerisches Können verfügt. Basierend auf den Kindheitserlebnissen ihres Großvaters im Mühlviertel, ist ihr Buch ein historisch genauer und politisch bewusster Bericht über das letzte Kriegsjahr in der damaligen Kreisstadt Freistadt, wo wie auch andernorts noch im Frühjahr 1945 Leute des sozialistischen Widerstandes ohne Urteil oder Verhandlung erschossen worden sind. Ein Kinderbuch also, das von totalitären Zeiten, von Mut und Widerstand erzählt. Zugleich steckt der Roman aber auch voller wilder, teils unbeschwerter Lausbubenabenteuer eines Helden, der sich nicht unterkriegen lässt. Wir begleiten Hermann beim Schwarzfischen und sehen ihn mit Freunden hoch oben im Kirchturm her umklettern. Tauben versuchen sie hier zu fangen, um endlich wieder einmal Fleisch essen zu können.

Weil der Hunger aber nicht aufhören will, lesen wir mit Hermann in „Die Wiener Küche von Hofkoch Friedrich J. Hampel“ und immer wieder in seiner Lieblingslektüre „Helden im Sattel“, einer gewitzten Paraphrase der Autorin auf die Heldenabenteuer von Winnetou und Old Shatterhand. Nach und nach entsteht so der Alltagskosmos eines Jungen an der Schwelle zur Jugend, dem Mutter und Bruder – um ihn zu schützen – so einiges verheimlichen, dem nach und nach klar wird, wie rasch ein harmloses Abenteuer zu einer Geschichte auf Leben und Tod werden kann, und der nicht aufhört, Fragen auf den Grund zu gehen: Kann man wirklich hingerichtet werden wegen „Schwarzschlachtens“? Wer versteckt sich im Nachbarhaus? Und wieso gibt Mutter vor, die Nachbarin kaum zu kennen, obwohl sie von ihr Zettel zugesteckt bekommt? Den Leser lässt diese von Leonora Leitl spannend konstruierte und von vielen ganzseitigen, atmosphärisch dichten Bildern begleitete Geschichte bis zum Ende nicht los. Nicht zuletzt, weil die Sprache der Autorin überzeugt und stets stimmig bleibt – vom „Jessas, Marantana“ der Rosatante aus der „Böhmei“ bis zu den „Klapperln“, die Hermann in der Hand trägt, wenn er geräuschlos aus der Wohnung schleichen will. Ein großer Roman, der eine kleine Region erzählerisch präzise erkundet und weit über sie hinausweist.

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