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An der Schwelle zur Ewigkeit

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Der amerikanische Journalist David Snel gehört zu den heute nicht mehr außergewöhnlichen Menschen, die nach klinischen Begriffen vom Tode auferstanden sind. Er berichtete in der „Life”-Ausgabe vom 29. Mai 1967: „Zuerst spürt man, wie die Zehen an die Reihe kommen und dann die Füße — Zelle für Zelle. Der Tod wühlt sie davon, so wie die Wellen den Sand ausspülen. Nun folgen die Beine, erlöschende Zellen. Hände, Arme, Unterleib, Oberkörper. Die einzelne Zelle leuchtet wie eine Supernova auf und ist dann verschwunden. Im Tode ist Ordnung und System, wie im Leben. Wie merkwürdig, wenn man fühlt, wie einem die Zähne sterben, Stück für Stück, Zellen zünden Zellen — ganze Milchstraßen von Zellen, die in Lichterfunkeln vergehen.”

David Snel schrieb den Augenzeugenbericht von seinem eigenen Sterben etwa zwei Stunden, nachdem ihn die Ärzte mit „einem Donnerschlag von Adrenalin im Herzen” ins Leben zurückgerissen hatten. Die Ursache seines unterbrochenen Todes war ein anaphylaktischer Schock, ausgelöst durch eine starke Dosis Penicilin, mit der der Zeitungsmann eine Entzündung seiner Nase auskurieren wollte. Über die abschließenden Erlebnisphasen schrieb er: „Da war noch etwas anderes, das ich ganz zuletzt erlebte. Was kann das nur gewesen sein? Dabei wußte ich es so genau, als es da war und sich mir öffnete, etwas Schöneres, Zarteres, Liebenswerteres, als Verstand oder Phantasie der lebenden Kreatur je fassen

Die andere Wirklichkeit an 50 anderen Fällen

Die Lücke in Snels Informationen glaubt nun der holländische Psychiater Dr. J. V. Teunissen schließen zu können. Er hat zirka 50 ähnliche Fälle gesammelt. Sie gehen über den Punkt hinaus, an dem Snels Gedächtnis ausgesetzt hat. Snel hatte seinen Sterbereport bereits am Tage nach seinem „Tode” abgefaßt — nach Ansicht von Dr. Teunissen zu früh, um bereits vollständig sein zu können.

Bestätigung der Mythen

Die an der Grenze zwischen Leben und Tod aufgenommenen Bilder vom Jenseits des menschlichen Bewußtseins scheinen die Darstellungen der Mythen und Offenbarungen über die Existenz himmlischer Gärten zu bestätigen, meint Dr. Teunissen. „Die Menschen sehen sich in einer Krisenlage — oft während einer Krankheit — in eine andere Wirklichkeit versetzt, in der sie eine Landschaft wahrnehmen, meist hügeligen Charakters, mit Baumgruppen und Blumen. In vielen Fällen kommen sie aus einem Tal — einer dunklen, schattenhaften Passage — und stehen dann vor einem grandiosen Licht. Oft erblicken sie ein Gewässer in Form eines Teiches, eines Baihes oder auch der See, die dann wie ein Grenzsymboi wirken. Sie können diese Grenze nicht überschreiten, obwohl sie sich danach zu sehnen scheinen, vielmehr kehrten sie von dort widerwillig zurück und wachen dann wieder auf. In manchen der mir bekannten Fälle konnten die betreffenden Leute trotz ihrer objektiven Bewußtlosigkeit sehen, was um ihren Körper verging, und verstanden nicht die Aufregung und Angst um ihren angeblichen Tod, weil sie selbst ganz sicher wußten, ich kann doch nicht sterben. Es war ihnen durch eine helle Stimme oder durch Zeichen mitgeteilt worden. In dieser anderen Wirklichkeit tritt gelegentlich auch eine strahlende Erscheinung oder Gestalt auf, die spricht oder winkt. Einige Katholiken glaubten darin Maria zu erkennen, andere einen Verstorbenen, mit dem sie innig verbunden waren. Es ist mir nicht klargeworden, ob die leuchtende Gestalt männlichen oder weiblichen Geschlechts ist.”

Keine Halluzinationen

Der holländische Seelenforscher schließt aus der Tatsache, daß alle seine Gewährsleute „monothematische Rapporte” vorlegen und ausnahmslos von ein und derselben paradiesischen Landschaft sprechen, es könne sich also nicht um individuelle Träume oder Halluzinationen handeln: „Die Menschen, die in die andere Realität hineingeschaut haben, sprechen selbst von Visionen oder Träumen. Meist handelt es sich bei diesen Träumen aus den unbewußten Tiefen des Geistes tun Bilder von großer Schärfe und Farbigkeit. Sie hinterlassen einen entsprechend starken Eindruck, ändern häufig die betreffende Persönlichkeit in dem Sinne, daß der Mensch religiöser wird, und erwecken den Eindruck, daß man das Jenseits geschaut hat oder doch jedenfalls mit einer tieferen Wirklichkeit konfrontiert gewesen ist. Das alles zeigt, daß wir hier nicht von Halluzinationen sprechen können, die in der Regel als Nebenerscheinungen eines geistigen Krankheitsprozesses auftreten und den Lebenslauf nicht wesentlich beeinflussen.”

Nach dem Urteil des holländischen Psychiaters dürfen seine Informanten als „ganz normale, meist reife Menschen” gelten, die ihre Jenseitserlebnisse in rein körperlich bedingten Grenzsituationen ihrer Existenz gehabt haben: „Die betreffenden Leute waren geistig nicht kränk, wohl aber im psychologischen Sinn. Der übersinnliche Bewußtseinszustand ist beispielsweise bei Herzattacken aufgetreten, beim Ertrinken oder sonstwie an der Grenze einer tödlichen Gefahr.”

Dr. Teunissen sieht in den Berichten über metaphysische Wahrnehmungen Anzeichen dafür, daß es eine den Bereich des Gehirns überschreitende „Irgendwie heilige Welt” gibb/d • von. der -auch die Tiefenpsychologien ‘ nicht sagen kann, ob sie sich „innen” oder „außen” befindet. Er legt u. a. die schriftliche Erklärung eines betagten Journalisten vor, der über seinen Besuch in der Randzone der Ewigkeit schreibt:

„Noch lange darnach hatte ich das Gefühl, als sei ich aus diesem Paradies vertrieben worden. Diese Erfahrung — und sie liegt nun 25 Jahre zurück — kann ich nie mehr vergessen. Ich bilde mir durchaus nicht ein, daß ich nun weiß, wie das Jenseits ist, dennoch besitze ich die trostreiche und befreiende Einsicht, daß es diese andere Welt gibt. Erklären kann ich es mir auch nicht.”

Für den Psychiater Dr. Teunissen, der nie hat glauben können, daß die menschliche Seele eine bloße Gehirnfunktion ist und daher mit dem Tod ihre Identität verliert, sind die Erlebnisberichte aus der außersinnlichen Bewußtseinssphäre „allmählich monoton”. Sie erinnern an Beschreibungen in den Psalmen, im Koran, in den Mythologien der Germanen und Griechen, an Darstellungen des Sokratikers Phädon und Dantes „Paradies” und deuten daher auf eine informatorische Urquelle. Er glaubt, daß „viel mehr Menschen, als wir wissen, in diese Wirklichkeit hineingeschaut haben; sie fürchten sich wahrscheinlich davor, daß man ihnen doch nicht glaubt, und schweigen lieber.”

Auf die Frage, ob der Mensch vielleicht eines Tages durch neue Belege der parapsychologischen Forschung ebenso an die höheren Welten Gottes glaubt, wie er heute den Offenbarungen der Naturwissenschaft über den Kosmos vertraut, ohne sie stets persönlich überprüfen zu können, meinte der holländische Psychiater: „Ich glaube nicht, daß verbissene Skeptiker oder Agnostiker davon zu überzeugen sind. Der Mensch kann vor den härtesten Tatsachen seine Augen schließen — das ist schon immer so gewesen und wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Wohl aber möchte ich für die meisten Menschen, die ja nur Zweifler sind, jetzt schon sagen, daß ihnen das Glauben durch wissenschaftlichere Informationen, Experimente und Forschungen leichter gemacht werden kann.”

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