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Digital In Arbeit

Anfrage an die Logik des Fortschritts

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Längst haben viele Feministinnen erkannt (siehe oben und Seite 16), daß der Weg der Gleichstellung eigentlich zur Anpassung der Frauen an eine Welt führt, in der Effizienz, Planung, Spezialistentum, anonyme Strukturen, Analyse und Detailwissen, Durchsetzungsvermögen und Aggressivität den Ton angeben, alles Merkmale, die eher dem männlichen als dem weiblichen Zugang entsprechen.

Es ist auch eine Welt, in der man sich viel den Kopf über den Fortschritt der Gesellschaft zerbricht, aber wenig Klarheit darüber besitzt, welchen Sinn das Leben des einzelnen hat. Die Zukunft wird in sozialen Kategorien gedacht: Ein System, das Freiheit, Wohlstand, Beteiligung aller am gesellschaftlichen Prozeß, Demokratisierung bringt, werde auch optimale Lebensqualität für den Menschen schaffen, so meint man.

Diese Art des Denkens sieht den einzelnen als unmittelbares Gegenüber der nach den Gesetzen des Fortschritts sich entwickelnden Gesellschaft. Ehe, Familie, Nachbarschaft seien Relikte einer personalistisch konzipierten Vergangenheit. Ein nützliches Glied der Fortschrittsmaschinerie zu sein, wird heute vom Menschen erwartet und man hofft, daß der reichliche Konsum der Segnungen des Systems ihm zu einem erfüllten Leben verhilft.

Aus dieser Sicht spielen Geschlechtsunterschiede tatsächlich kaum eine Rolle. Was soll das Besonderssein von Mann und Frau am Fließband, in der Pizzeria und der Universitätsbibliothek, am Bildschirm, am Lenkrad, am Strand von Mallorca, im Kinderhort und im Altersheim? Wenn in diesen geschlechtsneutralen Milieus ungerechtfertigte Unterschiede zwischen Mann und Frau gemacht werden (wie etwa bei der Entlohnung der Arbeit), so ist das tatsächlich ein Skandal. Diese Ungerechtigkeit läßt sich aber nicht dadurch vermeiden, daß man eine anonyme Welt für Funktionäre und Konsumenten, die Singlegesellschaft, baut. Sie kann dem Menschen nicht gerecht werden, weil sie seinen Grundgegebenheiten - unter anderem, daß er als Mann und Frau existiert - nicht Rechnung trägt.

Klarerweise kann man am „Natürlichen" herumdoktern und es bis zu einem gewissen Grad umbauen und abtrainieren. Aber es ist der falsche Zugang. In jeder Zelle trägt der Mensch das Merkmal seiner Geschlechtszugehörigkeit. Sie färbt unsere Erfahrungen, unser Denken und Fühlen. Jeder erfährt daher im Alltag, daß im Mann- oder Frausein ein enorm bereicherndes Potential für die menschliche Begegnung liegt. Diese Besonderheit pflegt letztlich auch jeder in irgendeiner Form. Auch sehnen sich die Menschen trotz aller In-doktrinierung nach Geborgenheit in der Familie. Sie halten - trotz aller Werbung für die Singlegesellschaft -am Leitbild der Ehe, der lebenslangen Treue, der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern fest. Man lese in neueren Umfragen nach. Die größte Barriere gegen die Durchsetzung der geschlechtslosen Gesellschaft ist die Mutterschaft. Diese zentrale personale Beziehung ist tief in der Person der Frau verankert. Sie läßt sich nicht durch ideologische Diskurse wegdiskutieren. In Frage zu stellen ist nicht, ob die Rolle der Mutter für die Frau noch zeitgemäß ist, sondern ob die gesellschaftliche Entwicklung, die Frauen den Kindern entfremdet und Kindern ihre Eltern nimmt, menschengerecht ist.

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