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Die Schwester, das unbekannte Wesen

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Es gibt viele Forschungsarbeiten über Familien. Noch kaum erforscht sind dabei die Beziehungen zwischen Schwestern untereinander.

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Es gibt viele Forschungsarbeiten über Familien. Noch kaum erforscht sind dabei die Beziehungen zwischen Schwestern untereinander.

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Viele von uns wünschen sich einen märchenhaften Zustand der „Gleichheit", ganz besonders mit Schwestern, die uns im Alter am nächsten stehen. Wir wollen, daß die Schwester so ist wie wir. Wenigstens in ihrem Wesen. Wir glauben, weil wir Schwestern sind, sollten wir eigentlich dasselbe denken, fühlen und tun. Wenn wir dem alten Mythos anhängen, daß unsere Schwester Spiegelbild und Erweiterung unserer selbst ist, dann kann eine tatsächliche Verschiedenheit als sehr enttäuschend, oft sogar bedrohlich empfunden werden.

Schwestern müssen sicherlich im Laufe ihres Lebens lernen, einander zu akzeptieren. Sie müssen verstehen lernen, warum die eine anders ist als die andere. Sie lernen vor allem zu begreifen und zu verstehen, wie und warum sie sich voneinander unterscheiden.

Für die Beziehung zwischen Schwestern ist die Mutter der weitaus stärkste Faktor. Sogar in Familien, wo eindeutig der Vater das Sagen hat, ist die Mutter diejenige, die das Verhältnis der Schwestern zueinander bestimmt. Ob älteste oder jüngste Tochter, ihr Denken, Handeln und Fühlen wird von der Mutter beeinflußt. Ob die Mutter früh stirbt oder ihre Töchter überlebt, sie ist allgegenwärtig. Ob liebevoll oder abweisend, sie hinterläßt einen bleibenden Eindruck bei ihren Töchtern, und zwar einen individuell verschiedenen und auch einen gemeinsamen. Denn die Mutter ist das Vorbild für die weibliche Identität der Schwestern. Sie wird nur sehr selten von ihren Töchtern auf die gleiche Art gesehen oder erlebt.

Terri Apter sagt in ihrem Buch „Altered loves", das von heranwachsenden Töchtern und Müttern handelt: „Wie stark auch immer eine Schwester die andere Schwester beeinflußt, dieser Einfluß ist nicht allein ein Einfluß von Schwester zu Schwester, sondern auch von Mutter/Schwester zu Mutter/Schwester/Schwester.

Ein Mädchen wird nicht nur davon beeinflußt, was die Schwester ist oder tut, sie wird auch davon geprägt, wie die Mutter auf das Verhalten der Schwester reagiert und wie sich diese Beaktion von den Beaktionen der Mutter ihr selbst gegenüber unterscheidet.

Viele Schwestern erfahren zeit ihres Lebens nicht, wer eigentlich wessen „Liebling" war. Eines ist jedenfalls sicher: Elterliche Bevorzugung eines Kindes ist der sichere Nährboden für einen endlosen Konkurrenzkampf zwischen Schwestern. Dieser Konkurrenzkampf setzt sich oft noch mit eigenen Töchtern, Schwiegertöchtern, Freundinnen oder Kolleginnen fort.

Es gibt viele Gründe für eine Bevorzugung eines Kindes: das Wissen oder das Gefühl, daß die Eltern, speziell der Vater, enttäuscht über die Geburt eines Mädchens waren. Wenn beide oder mehrere Töchter eine Enttäuschung für die Eltern sind, können sich diese zumindest gegenseitig stützen und stärken und möglicherweise so dem dummen Vorurteil die Stirn bieten. Wenn jedoch eine Schwester in den Himmel gehoben und die andere als Unglück angesehen wird, sind Spannungen zwischen den beiden natürlich vorprogrammiert.

Ein spezielles Merkmal zwischen Schwestern ist die Fähigkeit, ihre Beziehung eng oder distanziert zu halten, ohne die Verbundenheit aber ganz zu verlieren. Es gibt sicher Schwestern, bei denen die Intensität der Beziehung immer gleich stark ist. Bei vielen anderen jedoch wechselt sie. Einmal ist sie stärker, dann wieder über einen bestimmten Zeitraum neutral oder auch ganz unterbrochen.

Auch eine distanziert erscheinende Beziehung wird aber in bestimmten Lebensphasen von Frauen unweigerlich enger. Bei Schicksalsschlägen, bei Scheidung, Tod des Ehemannes oder eines Kindes, bei schwerer Krankheit ist es meist die Schwester, die „plötzlich da war", die hilft, tröstet, wieder Freude am Leben vermitteln konnte.

Obwohl die Beziehung von Schwestern von frühester Kindheit an das Leben von Mädchen und Frauen beeinflußt, wissen wir sehr wenig über den Grund von Ambivalenz und Zwiespältigkeit der eigenen Schwester gegenüber. Wir sind grundsätzlich davon überzeugt, daß uns von Natur aus Liebe verbinden sollte. Warum aber gibt es dann so viel Konfliktstoff, so viel Eifersucht?

Sicher erwarten wir als Frauen zu viel von der anderen, der Schwester. Wir denken andauernd über unsere frühere und gegenwärtige Beziehung zueinander nach. Warum hat mich meine Schwester nicht ihren Freunden vorgestellt? Warum ist sie so bestimmend? Warum sagt meine Schwester nicht offen, was sie denkt?

Gibt es eine schonungslosere Kritik als die einer Schwester? Gibt es andererseits eine Beziehung, die dauerhafter, komplexer und fähiger ist, sich zu regenerieren?

Die Eltern sterben, unsere Kinder verlassen uns, wir können uns von Ehemännern und Freunden trennen, aber eine Schwester bleibt doch immer ein Teil von uns selbst, ein Teil des eigenen Lebens.

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