„Harte Schale, Weichtierkern“: Von der Selbstfindung im Schreiben
Cornelia Travnicek und Michael Szyszka haben einen inhaltlich und formal überzeugenden Jugendroman gestaltet.
Cornelia Travnicek und Michael Szyszka haben einen inhaltlich und formal überzeugenden Jugendroman gestaltet.
Warum ist sie, wie sie ist – und: Ist sie normal? Was ist überhaupt normal? Fabienne ist 16 Jahre alt, andere Menschen halten sie für eingebildet, unhöflich, berechnend, krankhaft ehrgeizig, überängstlich oder einfach nur ständig schlecht gelaunt. Was immer noch besser ist, als man hält sie für gestört, meint die junge Frau, nachdem sie von einem Therapeuten die Diagnose Asperger-Syndrom erhalten hat. Die Therapie hat sie sich – ohne das Wissen ihrer Eltern – selbst finanziert. Weil sie es wissen wollte: Gibt es eine Bezeichnung, eine Diagnose dafür, wie sie ist?
Auslöser für die und Thema in der Therapie sind auch die Trennung von ihrem Freund Marco und dessen Freundeskreis, den sie „mitbenutzt“ hatte und mitverloren hat. Die therapeutische Vorgangsweise des Psychologen unterscheidet sich nur wenig von einem Workshop für kreatives Schreiben. Seine Aufgabenstellungen lauten: Führen Sie ein Tagebuch, schreiben Sie sieben bis neun Minuten, ohne den Stift abzusetzen, was Ihnen einfällt …
Schreibend geht Fabi also ihren Gedanken, Ängsten und Sorgen auf den Grund, und dieses Buch hier ist das Ergebnis, ein Tagebuch. Das ein immer genaueres Bild vom Innenleben der aufzeichnenden Protagonistin vermittelt, auch Auskunft darüber gibt, was es bedeutet, eine Autismus-Spektrum-Störung zu haben: „Ich bin oft grundlos leicht traurig, mache mir ständig Sorgen, weiß nicht, wie man eine beste Freundin findet, und nachts frisst mich die Zeit langsam auf.“ Fabi hasst Lärm, klar definierte Grenzen hingegen geben ihr Sicherheit. Das Verhalten und die Reaktionen von Menschen einzuschätzen und zu deuten, fällt ihr schwer.
„Harte Schale, Weichtierkern“ ist allerdings kein durchgängiges Tagebuch, in dem die Figur immer mehr an Dreidimensionalität gewinnt, sondern eher eine Art „Zettelsammlung“ (Travnicek) mit Listen, Fragestellungen, Gesprächsfetzen. Das zeigt sich deutlich auch in der formalen Gestaltung des Textes: Die Schriftart variiert in Stil (zwischen Handschrift und gedruckten Buchstaben), Größe und Farbe, manche Seiten bleiben fast leer und geben so den Lesenden Raum und Zeit für eigene Gedanken, die ausdrucksstarken Zeichnungen und Grafiken von Michael Szyszka sind nicht nur schmucke Illustration, sie geben der Protagonistin zusätzliche Tiefe. Das alles zusammen sorgt dafür, dass dieser Jugendroman formal und inhaltlich überzeugt.
Die Therapie und der Prozess der Selbstfindung im Schreiben haben nicht nur dazu geführt, dass sich Fabi für andere öffnet, sondern auch zur Erkenntnis, dass es nicht so wichtig ist, ob man normal ist, sondern wie man mit sich auskommt. „Andere Leute verbringen ihr Leben damit, aus sich rauszugehen, weil sie es in sich selbst nicht aushalten. Ich komme ganz ausgezeichnet mit mir aus.“
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