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Kein Recht auf Notwehr

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Im kleinen Städtchen Danneberg im niedersächsischen Wendland ist wieder Ruhe eingekehrt. Nichts erinnert mehr an die bürgerkriegsähnlichen Tumulte vom 8. Mai, als der zweite Ca-stor-Transport mit hochradioaktivem Müll aus den in Frankreich wiederaufbereiteten Brennstäben deutscher Atomkraftwerke in das Zwischenlager Gorleben gebracht wurde. Hier soll er 30 Jahre abkühlen, bis er endgelagert werden kann. Könnte! Denn kein Endlager ist in Sicht. Die Radionuklide Strontium 90, Cäsium 137, Curium 244 und Reste von Uran und Plutonium heizen die 130 Tonnen schweren Behälter auf, ihre 40 Zentimeter dicken Wände messen an der Außenseite noch über 85 Grad Celsius.

Die Ruhe wird nicht von langer Dauer sein. Spätestens bis zum nächsten Transport - Tausende Tonnen sollen in 110 Castor-Behältern bis zum Jahre 2002 nach Gorleben verfrachtet werden - gegen den immer heftiger werdenden Widerstand der Bevölkerung. 28 Millionen DM hat der Einsatz von 15.000 Polizisten gekostet, welche die Behälter mit ihrer Todesfracht vor den Menschen schützen sollen.

Wer aber schützt die Menschen? Alle wissen, daß Zwischenlager keine Lösung sind, doch riesige Mengen spaltbaren Materials werden weiterhin in Atomkraftwerken produziert. Sie sind die Lunte am Pulverfaß, die unsere Zivilisation in die Luft zu jagen vermag. Gemessen an der Sünde jener verantwortungslosen Verantwortlichen, die uns und allen kommenden Generationen diese Jahrtausendlast aufbürden, schrumpfen die Ausschreitungen einiger hundert zorniger Narren, die in Gorleben die Beihen der friedlichen Demonstranten durchbrachen und gegen Polizei und Atommüll randalierten, zur Dimension einer alltäglichen Wirtshausrauferei.

Doch die Empörung der Bonner Regierung galt auch jenen, die sich mit durchaus friedlichen Mitteln gegen den Weg zum Atomstaat wehrten. Kein Wort gegen die Unverhältnismäs-sigkeit des Polizeieinsatzes durch Tränengas, Wasserwerfer und Gummiknüppeln. Und erst recht kein Wort gegen die Umweltministerin, die als Gehilfin der Atomlobby erklärte. „Wir können uns unsere technischen Möglichkeiten nicht kaputt machen lassen!”

Das Zivilrecht sichert jedem Menschen das Recht auf Notwehr bei Redrohung von Leib und Leben zu. Geht jedoch eine solche Redrohung der Revölkerung von der Regierung aus, erklärt diese die Notwehr zum Verbrechen.

Der einzige Weg, um ein stürmisches Weiterwachsen der Gefahrenlast wenigstens zu verlangsamen, ist der von der SPD, den Grünen und der großen Bevölkerungsmehrheit geforderte Ausstieg aus der atomaren Energieproduktion. Die Bürgerinitiativen wären bereit, konstruktiv an der Entsorgung mitzuwirken, sobald die Absicht zum Ausstieg glaubwürdig beschlossen wird.

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