Dachs und Stinktier - © Illustration: cbj / Jon Klassen

Kein Sonntag ohne Literaturbeilage

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Franz Lettner über das Kinderbuch „Dachs und Stinktier“ von Amy Timberlake.

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Franz Lettner über das Kinderbuch „Dachs und Stinktier“ von Amy Timberlake.

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Knapp 100 Jahre ist es her, dass A. A. Milne den Hundertsechzig-Morgen-Wald mit Winnie-the-Pooh und Co bevölkerte, die aus der Literatur so wenig wegzudenken sind wie Maulwurf und seine Kumpanen, von Kenneth Grahame nur wenige Jahre zuvor in eine idyllische englische Flusslandschaft gesetzt. Diese außergewöhnlichen Charaktere haben es zu Weltruhm gebracht – was wenigen der unzähligen Tierfiguren der Literatur vor und nach ihnen gelungen ist. Mit „Dachs und Stinktier“ hat die Amerikanerin Amy Timberlake nun zwei Figuren erdacht, die auch das Zeug zu einer großen Karriere haben.

Was man ihnen auf den ersten Blick nicht unbedingt ansieht: Dachs ist ein ernsthafter Forscher. Im Steinzimmer auf dem Dachboden hämmert, poliert und kategorisiert er und präsentiert die schönsten Exemplare in der „Ruhmeswand der Steine“. Sein ganzer Stolz ist zugleich ständiger Hinweis auf die Kränkung seines Lebens: Der Platz für den Achat, der ihm vor Jahren geklaut wurde, ist und bleibt leer.

Der andere Part dieses „odd couple“ ist das fröhliche Stinktier: extrovertiert, ein bisschen chaotisch, kochbegeistert – ein Lebenskünstler, der seinen grauen Mitbewohner mit schönen Geschichten und vor allem mit feinem Essen immer wieder aus seinem Elfenbeinturm zu locken vermag. Aber auch Stinktier hat Erfahrung in Sachen Verlust, wird ihm doch ständig die geliebte Literaturbeilage der „Hühnerfurter Rindschau“ entwendet. Um zumindest am nächsten Sonntag diese Enttäuschung zu umgehen, schlägt er eine Steinsuch-Expedition vor: „Du brauchst einen Achat für deine Ruhmeswand der Steine. Und ich will am Sonntag nicht zu Hause sein. Was ist ein Sonntag ohne Literaturbeilage?“ Es folgen eine Ode an die Freundschaft und ein Abenteuer der Sonderklasse, in dem ein winziges oranges Bantamhuhn ebenso eine Rolle spielt wie ein Bär, eine ganze Batterie Ratten und ein fieser Fischmarder, der diesmal keinen Achat klauen will, sondern ein in Bernstein eingeschlossenes Dinosaurier-Ei.

Die Fortsetzung von Amy Timberlakes „Dachs und Stinktier“ übertrifft den ersten Band fast noch, in dem sich die beiden kennenlernten (und der ebenfalls schon von Jon Klassen mit Bildern versehen war). Es ist ein Feuerwerk schräger Ideen, verrückter Figuren, komplizierter Worte und wunderbarer Dialoge. Und weil Uwe-Michael Gutzschhahn den Spaß übersetzt hat, funktioniert das auch im Deutschen bestens. Timberlake beherrscht die unterschiedlichsten Formen literarischen Humors und nimmt dabei nicht übertrieben viel Rücksicht auf kinderliterarische Konventionen. Auch deshalb ist dieses Kleinod – wie schon „Winnie-the-Pooh“ oder „Der Wind in den Weiden“ – so gut zum Vorlesen geeignet. Der Weltruhm kann kommen.

Buchpreis von FURCHE, Stube und Institut für Jugendliteratur

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