6778304-1969_31_12.jpg
Digital In Arbeit

Nicht mitzuhassen

Werbung
Werbung
Werbung

BRUDERMÖRDER. Roman von Nikos Kazantzakis. Aus dem Neugriechischen von Chlodwig Plehn. Verlagsbuchhandlung F. A. Herbig, Berlin-München-Wien. 304 Seiten. DM 18.—.

Obwohl dieses Buch seinen Hintergrund aus der Mitte des 20. Jahrhunderts bezieht, erscheinen die Landschaft und die Menschen fast archaisch. Nikos Kazantzakis hat das Grundmotiv der „Griechischen Passion“ noch einmal aufgenommen, noch zeitnäher, noch dichter, noch tragischer: die Konfrontation von Liebe und Haß, beide in ihrer ganzen über- und unterirdischen Dimension. Die Realistik, die kein ästhetisches Alibi gestattet, macht das Werk zu einer beklemmenden Lektüre, zu einer Literatur das engagierten Gewissens. Dabei ist die von Kazantzakis angewandte Erzählmethode konservativ. Die Figuren leben und erleben intro-vertriert, die Impressionen der Landschaft sind in die Charaktere eingewoben, die Ereignisse laufen zeitlich geradlinig ab. Dieser Stil eines behäbigen Realismus trägt dazu bei, Atmosphäre zu schaffen, das klassische Gleichmaß der griechischen Natur in den schärfsten Gegensatz zu den menschlichen Leidenschaften zu stellen. Das Cres-

cendo des Hasses bricht aus dem ruhigen Sprachfluß plötzlich auf und fällt wieder zurück. Mit diesem Kunstgriff bewirkt der Autor, daß der Roman, der eigentlich eine Geschichte des Hasses ist, der die Liebe in ihrer Hoffnungslosigkeit und Ohnmacht zeigt, selbst nicht hoffnungslos wird. Der Stil ist Element der Aussage.

Die Story ist das Leben des thraki-schen Pfarrers Jannaros während des Bruderkrieges in Griechenland 1944 bis 1949. Der Unfriede schneidet dem frommen Priester bis ins Herz. Man geht sicher in der Annahme nicht fehl, daß Kazantzakis sich auf Weiten Strecken mit seinem Helden identifiziert, in der herben Kritik an den etablierten Bürgern, am klerikalen und faschistoiden Apparat, an der Reaktion der „Schwarzen“ — aber auch an der Grausamkeit und dem Unrecht der Aufständischen, an dem Bruderhaß der „Roten“. Zu der Einsamkeit und Bedrohung dessen, der nicht mitzuhassen bereit ist, kommt als letztes Steigerungsmoment noch der Sohn des verwitweten Pfarrers, der auf Seiten der Aufständischen kämpft. Das Motiv besitzt verwandte Züge mit dem Pfarrerssohn in der „Sterbenden Kirche“ von Edzar Schaper.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung