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Sadismus vor Saisonschluß
Die Franzosen machten die große Revolution. Die deutschen Autoren schreiben Stücke darüber, nach vielen illustren Vorgängern nun auch Peter Weiß. Sein Stück trägt den barocken Titel „Die Verfolgung und Ermordung Jean Paul Ma- rats, dar gestellt durch die Schauspielgruppe Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade“. Es greift aus der Revolution also die Ermordung Ma- rats heraus, gestaltet sie aber als Vergangenheit und Spiel höchst zweifelhafter Mimen: der Insassen nämlich der Anstalt Charenton, aus wahrhaft irren und politisch mißliebigen Individuen zusammengesetzt. Autor und Regisseur der Aufführung im Bad des Hospizes ist der ebenfalls eingewiesene Marquis de Sade, den Weiß lange philosophische Dialoge mit Marat führen läßt, um im Grunde, letzte Schicht dieser vielfachen Brechungen, diese in unsere Gegenwart anzusprechen. Leider allzu selten; die besondere Aufmerksamkeit und amüsierte Zustimmung der Zuschauer gerade an diesen Stellen sollte für den Autor ein Hinweis sein, über welches Thema man ihn in dieser offenen, dramaturgisch meisterhaft geführten Art hören möchte.
Denn, obwohl die vielfache Brechung und Theaterei stört, obwohl es kindisch ist, Sade höchste Weisheiten über die Revolution sprechen zu lassen, während man den Zuschauer durch eine Geißelung auf der Bühne ablenkt, obwohl es zuviel des Bösen, zu Charlotte Corday nun auch noch die Krankengeschichte eines erotomanen Jünglings und einer Schlafkranken mitzuliefern (wobei man nämlich weder von diesen, noch von ihrer Rolle in Sades Stück, noch von der Revolution, die sie spielen, noch von unserer Gegenwart, die schließlich gemeint ist, genug erfährt, man also hungrig bleibt), ist es vielleicht gerade deshalb ein großer Theaterabend, wenn auch kein unbedingtes literarisches Meisterwerk: Neugier wird gereizt, Denk- pyozesse in Gang gesetzt. Selten habe ich Zuschauer so angespannt .diskutieren gt hęu,.un(l ehö/ .wie in der Pause und nach dem ifreiß-Stück.
Großes Verdienst hat hierbei der junge polnische Regisseur Konrad Swinarski; er gab das Allzuviele immer gut, bekam von der Intendanz des Berliner Schiller-Theaters allerdings auch reichste Mittel an Zeit, Geld und erstklassige Schauspieler: Peter Mosbacher als Marat, Stefan Wigger als Ausrufer, allen voran der großartige Fjmst Schröder (als Sade); messerscharfer Intellekt über dumpfer Trauer.
Die „Ermordung Marats“ ist also nicht die Erfüllung des deutschen Theaters, wie manche Kritiker wollten: das hieße denn doch vom deutschen Theater zuwenig erwarten. Es ist ein großer Wurf. Ich glaube jedoch, daß Peter Weiß noch schärfer treffen kann, wenn er ökonomischer arbeitet und sich direkter der Gegenwart stellt, seine Stücke also nicht mehr in einem mystischen Irgendwo zwischen Bauern und Räubern (in der Moritat „Nacht mit Gästen“) oder in der fernen, mehrfach verschlüsselten Napoleonzeit ansiedelt. Dann erspart er uns vielleicht auch die grobe Geschmacklosigkeit, am Ende des Marat-Stückes den Imperator als leibhaftiges Skelett aus dem Souffleurkasten entsteigen zu sehen.
Zwei Uraufführungen gab es noch kurz vor Saisonschluß in Berlin; mit Buh und Beifall bewies das Publikum, daß es noch nicht sommermüde.
Bei Asmodis „Mohrenwäsche“ in Pisca- tors Volksbühne konnte es sich an einem höchst notwendigen, politisch brisanten Thema erhitzen: es ist ohne Zweifel nützliche Luftreinigung, einen Schwarzen einmal seinen Haß aus Leid und seine wilde Gier nach Macht auf ein weißes Publikum losgewittern zu lassen. Es ist auch dankenswert von einem dramatischen Autor, einen weißen Fabrikanten, der in’ Entwicklungshilfe und Export macht, in seinem privaten Villalein zu demaskieren und zu zeigen, was er wirklich von den „Mohren“ hält, zumal Asmodi dabei noch ein kräftiges Licht auf die Vergangenheit dieses deutschen Herren gelingt, der aus Weihnachtsseligkeit, Hölderlin und Geschäftssinn höchst einprägsam zusammengesetzt ist.
Zunächst aber geht es dem Stück um die Klärung unseres Verhältnisses zu den neuen Nationen und den anderen Rassen, um ein wahrhaft pädagogisches Unternehmen also. Dazu aber wäre ein Autor nötig mit viel Takt, stilistischem Feingefühl und pädagogischem Eros. Bei Asmodi reicht es nur zur Posse. Von Stil keine Spur. Arnold und Bach — beim Auftritt zweier Diplomaten mit absurdem Schnickschnack versetzt. Wenig Redlichkeit. Und dazu wohl noch Uneinsichtigkeit, so daß der vorgesehene Regisseur, im Einvernehmen mit der Intendanz, die Regie niederlegte, der Autor allein weiterbosselte, dann ebenfalls den Kram hinwarf und von
Verfälschung schrieb, schließlich der Hausherr Piscator (der Abonnenten wegen?) weiterinszenierte. Statt eines Regisseurs fand der erstaunte Leser auf dem Programmzettel dann drei Sterne: so freigebig wäre Baedeker nicht gewesen.
Trotzdem gab es noch gute schauspielerische Leistungen: Fritz Tillmann und Camilla Spira als Fabrikantenehepaar, dazu zwei schwarze Naturtalente. Das Publikum reagierte angemessen: viel ästhetisches, kein politisches Buh, Lachen bei der Posse, Beifall für die Schauspieler. Positivum des Abends: daß man dieses Thema aüfgegriffen. —
Noch aktueller ist Ahlsens Thema. „Sie werden sterben, Sir“, gilt für jeden von uns. Aber wer hört schon gern von seinem Tod. Ionescos sterbender König wurde wenigstens noch absurd überdreht zum Menschheitstod — da konnte man sich interessieren. Aber auch sein Stück war nahe an der Langeweile. Bei Ahlsen, wo wirklich nur ein einziger Tod gemeint, liegt Langeweile noch näher. Kein Wortkunstwerk legitimiert den Abend, trotz aller Redlichkeit, ja Eindringlichkeit der Arbeit. Keine frappierend neue oder tiefe Sicht auf den Tod reißt auf. Ein normales Schicksal erlebt Ludwig XI. — denn auch bei Ahlsen stirbt, unglückliches Zusammentreffen, ein König. Er reagiert, zwar als König mächtiger als ein normaler Sterblicher, doch mit völlig normalen Ausreden, Ausflüchten, Finten. So wird es, trotz mancher gekonnter Formulierung, ein etwas müder Abend. Man freut sich an dem dramaturgischen Geschick, mit dem hier Szenen verknüpft werden. Man wird gepackt von starken Einzelszenen: der Bettszene mit der Maitresse, in deren Armen der Verzweifelte Zuflucht sucht; der Arztszene, wo der Wissenschaftler kalt vom Tod doziert, stolz seine Sammlung abnormer Organe vorführt und dabei einen Exitus beobachtet; der Dauphinszene schließlich, wo Rolf Schult genüßlich einen undurchsichtigen Dümmling gestaltet.’Ma front- über Erm Schröter iüvpoiatn LdKtttlg als König, in seiner Suche erst nach Rettung vor dem Tod, dann nach Verständnis für seine Verzweiflung.
Aber wenn man sich auch sagt, wie gut es ist und tröstlich, daß hier ein Autor den Tod eines einzigen einzelnen Menschen für so wichtig und bedenklich hielt, ein Stück darüber zu schreiben, von der Bühne her wird man nur momentweise gepackt. Von Ahlsen und Asmodi her wird klar, wie gut der „Marat“ des Peter Weiß war. Dort hatte sich der Autor bewußt und entschieden im Absurden angesiedelt: Irrenhaus, Theater; aber ihm gelang durch mancherlei Brechungen der Einblick in die Wirklichkeit. Ahlsen und Asmodi gingen von Ihr aus, wollten sie direkt gestalten und verfehlten sie, trotz einzelner absurder Einsprengsel. Es scheint, als ob der heutigen Welt der indirekte Weg angemessen sei.
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