6541911-1946_45_07.jpg
Digital In Arbeit

Leopold Kunschak

Werbung
Werbung
Werbung

Als ich Leopold Kunschak zum erstenmal sah, war er Landesausschuß von Niederösterreich und ich ein Gymnasiast in einer der letzten Klassen. Ich verfolgte die politischen Vorgänge damals schon mit einem über mein Alter hinausgehenden Eifer. Zu den Freunden unseres Hauses zählte nämlich der alte Landtagsabgeordnete Dr. Franz Scholz, dem ich höchste Verehrung entgegenbrachte. Von ihm hörte ich den Namen des christlichen Arbeiterführers Kunschak stets mit ausnehmender Ehrerbietung erwähnen, was mir Eindruck machte, da er sonst gerne gerade über Politiker eine spitze, kritische Zunge führte; Und nun stand der verehrungswürdige Mann leibhaftig vor meinen .Augen! Er besuchte — als damaliger Scliul-referent des niederösterreichischen Landesausschusses das Mödlinger Gymnasium, das damals eine Landesanstalt war und einige Neueinrichtungen erhalten hatte, darunter den großen Festsaal. Kunschak besichtigte alles genau und ich war schon im Beobachten geschult genug, um zu bemerken, mit welcher Sachkunde er unbewußt seine Hände über die Lederpolsterung der Stühle streichen ließ. Das gefiel mir besonders, es lehrte mich schon einen Charakterzug Kunschaks kennen: den Arbeiter niemals demagogisch herauskehren, aber ihn noch weniger jemals verleugnen.

Bald ist es 30 Jahre, seit dieser ersten Begegnung her, aber Leopold Kunschak hat sich in ihnen nicht geändert, weder im Wesen noch in der Erscheinung. Die Gestalt des mittelgroßen Mannes mit den verhältnismäßig breiten Schultern ist immer die gleiche geblieben. Denn nichts konnte ihn bisher beugen, weder die Gestapo, noch das Alter. Mögen die Schultern nachlässiger geworden sein und der Körper sonst die Spuren des hohen Alters verraten, die Körperhaltung blieb aufrecht und gerade, wie die Sinnesart und die Denkrichtung. Das trägt auch der Kopf zur Schau, der fest und eigenwillig zwischen den Schultern sitzt, stets ein bißchen nach vorne geneigt, was besonders auffällt unter dem sprichwörtlich gewordenen runden schwarzen Hut, wie Kunsdiak stets den gleichen — oder sogar den nämlichen? — seit ich ihn kenne, trägt. Der Schädel ist etwas breiter als das Gesidit, was dem Haupt an sicli schon einen Zug ins Vergeistigte gibt. Dieses Übergewicht aber bewirkt auch das Hervortreten einer auffallend breiten und hohen Stirne, die ganz eben daliegt wie ein Schild, wie eine Wehr, die da spricht: Hinter mir birgt sich Klugheit und Erfahrung, erarbeitetes Wissen, viel Men-sdienkenntnis und manche Enttäuschung, noch mehr aber Menschenliebe und unbeugsamer Optimismus, unermüdlicher Wille zur Tat und zu unbestechlicher Wahrhaftigkeit; Hinterhältigkeit, Zwiespalt, Falschheit suchst du vergebens hinter mir.

Wie die Stirne, so reden auch die Augen und die Züge um den Mund. Sie sind allerdings stiller geworden, das listige Lächeln zeigt sich nur noch selten, wie auch der Blick ernst und feierlich geworden ist. Zuviel des Leides, zuviel des Kummers haben diese Augen in den langen Jahren der öffentlichen Tätigkeit geschaut. So haben auch die Stürme des Lebens das Gesidit mit Fältchen überzogen, die zu dem philosophischen Gleichmut des Gehabens ebensowenig passen wie zu dem offenkundigen Optimismus, der unerschütterlichen Hoffnung auf Fortsdiritt und Besserung, auf Einkehr und Umkehr der Menschheit, deren die Seele des Alternden noch genau so erfüllt ist, wie sie Triebkraft des' Jünglings war, als er zu der Gefolgschaft Dr. Karl Luegers stieß. Aber, wenn Kunschak auf der Tribüne steht und der Kämpfe gedenkt, die er ausfocht in seinem ausgedehnten politischen Leben, dann leuchten diese Augen wieder auf, dann sprühen sie wieder wie einst bald das milde Feuer der reinen Freude am Erfolg, bald die lebendige Glut der echtesten Überzeugung; nur zu einem Brand vermöchte nichts sie zu verleiten: zu den Flammen des Hasses. Denn auch im Verirrtesten sehen diese Augen immer noch den Mitmenschen, den Mitbruder. Das sagt aber nicht, daß unter dem ergrauten Schnurrbart nicht auch einmal ein herbes, scharf tadelndes Wort hervorkommen kann. Aber selbst dann ist es getragen vom hohen Ernst der Mahnung, der Warnung, der Beschwörung.

Der Name „Vater Kunschak“, der sich schon, seit ich ihn kenne, eingebürgert hat, erklärt sich weniger aus seinem Altersvorsprung und seiner langjährigen Erfahrung als aus dieser väterlichen Art. Wie Goethe sein Wesen von seiner Mutter empfangen hatte, so mag auch Kunschak sein Wesen,

Nicht jede Zeit findet ihren großen Mann, und nicht jede große Fähigkeit findet ihre Zeit. Vielleicht sind jetzt sehr große Männer vorhanden für Dinge, die nicht vorhanden sind. Jedenfalls kann sich das vorherrschende Pathos unserer Tage, das Besserleben-Wolien der Massen, unmöglich zu einer wahrhaft großen Gestalt verdichten. Was wir vor uns sehen, ist eher eine allgemeine Verflachung, und wir dürften das Aufkommen großer Individuen für unmöglich erklären, wenn uns nicht die Ahnung sagte, daß die Krisis einmal von ihrem miserabeln Terrain „Besitz und Erwerb“ plötzlich auf ein anderes geraten und daß dann „der Rechte“ einmal über Nacht kommen könnte — worauf dann alles hinterdrein läuft.

Denn die großen Männer sind zu unserem Leben notwendig, damit die weltgeschichtliche Bewegung sich periodisch und ruckweise frei mache von bloßen abgestorbenen Lebensformen und von reflektierendem Geschwätz.

Und für den denkenden Menschen ist gegenüber der ganzen bisher abgelaufenen Weltgeschichte das Offenhalten des Geistes für jede Größe eine der wenigen sicheren Bedingungen des höheren geistigen Glückes.

Jacob Burckhardt, .Weltgeschichtliche Betrachtungen üas in seiner Fürsorglichkeit und Gewissenhaftigkeit beschlossen ist, eben von seiner Mutter empfangen haben. Gründe gibt's genug dafür. Nicht nur, daß die in Armut lebende Frau um diesen einen Sohn wegen semer Schwächlichkeit und seiner zarten Gesundheit besonders besorgt war, sie blieb auch dem Erwachsenen die Weggefährtin ein langes Leben dahin, denn Gott schenkte ihr — wohl für diesen Zweck — ein hohes Alter.

EHe äußeren Daten von Kunschaks Lebensgang sind Scheidemünzen, die jeder kennt: Am 11. November 1871 geboren und so begeht er jetzt seinen 75. Geburtstag, schon 1886 als damaliger Setzerlehrling mit Dr. Geßmann in Fühlung gekommen, erregte der junge nunmehrige Sattlergehilfe auf einer Kundgebung in Kirchberg am Wagram etliche Jahre später als Debatteredner die Aufmerksamkeit Dr. Luegers. 1892 gründet er seinen „Christlichsozialen Arbeiterverein“, wird 1902 in den Gemeinderat von Wien und 1907 in den Reichsrat gewählt. Seither gehörte er stets den Volksvertretungskörpern an bis zum Untergang der Selbständigkeit Österreichs im Jahre 1938. Ak aber die Stunde ihrer Wiedergeburt schlug, da war Kunschak einer der ersten, die sie aufzurichten sich bemühten. Für immerwährende Zeiten trägt das historische Dokument der „Unabhängigkeit erklärung“ seinen Namen.

Selbstverständlich berief ihn die neue Partei, die sich die Wiederaufriditung eines Österreichischen Volksstaates, gewillt alle Stände unter ihrem Panier zu sammeln, zum Ziele setzte, zu ihrem Präsidenten.

Ebenso selbstverständlich war es, daß sie, als es im Herbst des Vorjahres zur Bestellung der demokratischen Volksvertretungen des Bundes und der Länder kam, Leopold Kunschak sowohl in den Gemeinderat wie in den Nationalrat entsandte. Zeit seines Lebens war er fast ständig Träger beider Mandate, obwohl dies nach der Parteidisziplin eigentlich unstatthaft ist. Ihn aber brauchte man da und dort. Es ginge weit über den Rahmen dieser Federzeichnung hinaus, wollte man versuchen, Kunschaks politische Leistung auch nur flüchtig zu skizzieren. Hier können daher nur zwei Grundlinien des politischen Weges Leopold Kunschaks aufgezeigt werden. In der Staatspolitik war er stets ein unentwegter Österreicher und ein Demokrat, in der Kommunalpolitik ein warmer Anwalt der Interessen der christlichen Arbeiterschaft und der durch die Uberlieferung geheiligten bodenständigen Wiener Kultur.

Sein österreichertum ist ihm angeboren, es kreist in seinem Blut und bildet das Mark seiner Knochen. Daher ward er nie schwankend; auch nicht in den Zeitläuften, da viele es verleugneten oder doch wenigstens es zurückstellten, die heute daran nicht erinnert werden wollen. Seine demokratische Gesin-. nung war ihm Überzeugung, nicht Opportunität. Sein Christentum wurzelt in der Grundhaltung seiner Familie, besonders seine Mutter, einer Frau, so recht nach dem Sinne Papst Pius' X., der sich äußerte: „Gebt mir richtige christliche Mü.tter und ich will alles in Kür'ze wiederherstellen, . in Jesu Christo.“ Seine Religiosität ist so kerngesund wie die seiner Mutter. Die hatte in ihrem arbeitsreichen Leben keine Zeit für Bet-schwesterei und so erging es auch ihm. Sein Glaube ist eine unlösbare Gottverbundenheit, den er in den gottesdienstlichen Formen der katholischen Kirche schlicht und einfach, deswegen aber mit der bezwingenden Echtheit erfüllt, die auch dem Glaubenslosen Achtung abnötigt und den Spötter verstummen läßt.

Diese Grundhaltung ließ ihn auch Arbeiter bleiben, wie hoch er auch im öffentlichen Leben stieg; Arbeiter, der in jedem aus der breiten Masse seinen Mitmenschen und Mitbruder sieht, auch dann, wenn er etwa glaubt am Heil der Zukunft seines Standes mit andern Mitteln und nach andern Theorien bauen zu sollen. So war er stets ein Gegner des Marxismus, aber nie ein Feind des einzelnen Marxisten. Und wo es gar gilt, über der Parteien Zwist hinweg das Allgemeinwohl km wahren, da ist Kunschak sein getreuer Hüter und zum Händereichen zum Gemeinschaftswerk stets bereit.

Ein Eiferer kann er nur werden, wenn er die bodenständige Wiener Kultur, wie wir uns ausdrücken wollen, angetastet fühlt. Unter Kultur verstehen wir dabei das gesamte Treiben in Wissenschaft und Bildung, in Schule und Familie, in Theater und Kunst, in Presse und Publizistik und ganz allgemein in der öffentlichen Moral und im

Gesellschafts- und Wirtschaftsleben. Allem Fremdtum, das sich darin breitmachen wollte, tritt er entschlossen entgegen, den Feind nicht achtend und der Streiche, die ihn im Kampfe treffen könnten. Denn Wien gilt seine Liebe, ihm schenkte er sein Leben, sein ganzes Streben galt seiner Vaterstadt. Im Wiener Gemeinderat sah er stets den Hauptbereich seiner politischen Tätigkeit. So mag es ihm schwer gefallen sein, als er sein Gemeinderatsmandat niederlegte, um sich vollkommen den Aufgaben eines Präsidenten des Nationaliates widmen zu können. Wo es einen Konflikt zwischen PfMcht und Neigung gibt, zwischen Gemeinwohl und Einzelbedürfnis, gibt es für Kunschak nur eine Entscheidung: das Gemeinwohl zu wählen.

Nehmt alles denn in allem: der Mensch, der Mann, der Christ, der Bürger, in jeder Hinsicht kann uns Leopold Kunschak Vorbild und Meister sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung