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Digital In Arbeit

Lernen durch die Maschine?

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Kann man ment gewisse nauier gut nennen?

Ja.

Andere schlecht?

Ja.

Nicht wahr, gut ist, wer gut läuft, schlecht aber, wer schlecht?

Aber natürlich!

Wer nun ist der gute Läufer: der langsam laufende oder der schnell laufende?

Der schnell laufende, meine ich.

Und welcher ist der bessere Läufer: der mit Willen langsam läuft oder der nicht anders kann als langsam laufen?

Der mit Willen.

Plato schrieb dieses Frage- und Antwortspiel; Sokrates und Hippias sind die Gesprächspartner.

Aber es könnte auch ein Dialog zwischen Schüler und Elektronenrechner sein und aus einer Lehrmaschine stammen. Dabei ist die Maschine an sich nicht einmal wichtig; ihre Fragen wurden von Menschen vorgedacht, an Menschen ausprobiert; die Maschine stellt sie nur; mit Hilfe eines Filmbandes, einer Fernsehkamera oder auch einer simplen mechanischen Transportvorrichtung.

Entscheidend ist allein der Aufbau der Fragen, ihre Abfolge: nur auf sie kommt es an bei der „programmed Instruction“, dem programmierten Unterricht. Es ändert sich kaum etwas, wenn die Fragen in einer Broschüre oder einem Buch gedruckt werden: Der Schüler muß dann nur noch die Arbeit des Umblätterns zusätzlich auf sich nehmen.

„Abscnauen senaaet ment menr

Kann, wira cter wissenssroit autge- splittert in eine Fülle von Einzelerkenntnissen; das Behalten aber jedes einzelnen Lernschrittes wird durch immer wieder zwisehenge- schaltete Fragen geprüft. In der Kurtst der Zerteilung liegt das Können des Programmierers.

Zugleich kann der Schüler den Fragen nicht entrinnen. Immer wieder werden seine Aufmerksamkeit, seine Aktivität, auch sein sportlicher Ehrgeiz geweckt. Wer „abschaltet“, wie das in der normalen Klasse oft geschieht, dem läuft der Unterricht nicht davon: Er bleibt bei dem Punkt des Lehrprogramms stehen, an dem er seine Träumerei begann.

Und das ist wieder ein Vorteil. Zwar hat der Schüler nichts gelernt, aber auch nichts versäumt. Nichts Unwiderrufliches geschah. Das Programm, anders als der Klassenlehrer, hat auf ihn gewartet. Nach eigenem Willen und Können hat der Schüler seine Arbeit eingerichtet: Er ist sein eigener Programmdirektor. Wie der geduldigste Privatlehrer hat die Maschine auf ihn gewartet. Natürlich sind die Fleißigen schneller fertig, aber auch der Langsamste kommt zu seinem Ende: erfahrungsgemäß in etwa der dreifachen Zeit.

Mogeln hilft nicht

Hat nun der Schüler die Frage beantwortet, nach längerer oder kürzerer Zeit, mit oder ohne Pause, dann bekommt er sofort die richtige Antwort und kann nun vergleichen. Gerade hierauf legen die Lernpsychologen besonderen Wert: Fehler werden schon nach Sekunden berichtigt (und nicht erst nach Tagen oder Wochen, wie bei einer mangelhaften Klassenarbeit) und können sich deshalb nicht als falsche Anschauungen festsetzen. Da die Schüler aber zumeist richtig antworten (der Lernschritt ist ja so klein, das Programm so ausgearbeitet, daß der normale Mensch richtig antworten muß), bekommt er durch die Bestätigung ein Lob, einen neuen Anreiz, im Programm fortzufahren. Auch hier also die alte Ansicht: Lob spornt an, Tadel drückt nieder.

Und Möglichkeiten zu mogeln? Natürlich kann sich der Schüler beim Programm in Buchform das Nachdenken ersparen, erst nachschlagen und dann seine Antwort eintragen. Aber ab und zu werden

Dies und vieles andere erfuh lan auf einer Tagung für „Pro rammierten Unterricht und Lehr įaschinen“, die heuer eine Reih on namhaften, zumeist amerikani ihen Fachleuten und mehr al 300 Berliner Lehrer und auswärtig' laste in der Kongreßhalle in Berlii ereinigte.

Bezeichnend für die Tagung, dal on den Rednern wohl nur de sychologe Hilgard (Stanford-Uni- ersität) einen tieferen Eindruc] interließ; Projektionen, Filme, vo Ilern aber die Lehrmaschinen uni 'rogramme der begleitenden Aus tellung sprachen eindringlicher al ie vielen Worte in den zwar an kdotenreichen, aber allzu simplei Erträgen und Diskussionen.

eder sein eigener Programm- irektor

Was ist nun das Neue am pro rammierten Unterricht? Nicht viel zenn wir mit Sokrates vergleiche; - aber eben eine wissenschaftlich lurchbildung seiner Kunst der Ge prächsführung.

Wissenschaftlich heißt erprobt, au en Lernerfolg hin getestet. Hat de rersuchsschüler nichts gelernt, s zird das Programm geändert. Bis er war ein Redner, ein Lehrer, eil tutor von Lehrbüchern immer ver ucht zu sagen: „Hier hast du alle: zas ich weiß. Wenn du es nich erstehst, so bist du dumm.“ De lersteller eines Programms abe agt: „Hier ist aufgeschrieben, wa iu lernen sollst. Wenn du es nich ■erstehst, so bin ich dumm.“ Un las Programm wird geändert.

.ösung das Programm nicht gib in ihnen „lernt“ der Schüler seh chnell, daß Mogeln ihm nicht hilf'

He Maschine ppoitei'

Wird das Programm aber durc ine Maschine übermittelt, so gib ie die Antwort erst frei, wenn di antwort des Schülers unter ein lurchsichtige Scheibe gerutscht ist lr kann noch vergleichen, abe licht mehr verbessern.

Andere Programme bieten dem Schüler in Form eines Quiz auf jede Frage mehrere Antworten an: Hier soll er die richtige auswählen. Bei diesen Wahlprogrammen (die ebenfalls in Buch- und Maschinenform vorliegen) gehört oft zu jeder Antwort eine andere Fortsetzung: Je nach Art des Fehlers werden neue Aufgaben und Erklärungen zwischengeschaltet; bei der richtigen Antwort wird gleich die Fortsetzung gegeben. Hier ist also der individuellen Arbeitsweise weiterer Spielraum gegeben. Manchmal fragt die Maschine auch den Schüler, ob er nun lieber noch weitere Übungsaufgaben haben möchte oder es sich zutraut, gleich Neues zu lernen. Überschätzt sich der Schüler und haut bei den folgenden Fragen zu oft daneben, so wird er mit einer leicht spöttischen Bemerkung seiner Maschine zurückverwiesen: „Es ist wohl doch besser, Sie wiederholen noch einmal die Fragen 18—25!“ Und schon erscheint auf der Mattscheibe die übergangene Frage.

Ähnlich wird er noch einmal an den Anfang des Programms zurüpk- geschickt, wenn er gar nicht mitarbeitet und alle Fragen durch Probieren lösen will: Ein eingebauter Fehlerzähler gibt dieses Kommando bei einer bestimmten Anzahl. Er nimmt auch dem Lehrer die Arbeit des Zensierens ab: Von jedem Schüler hat er die Leistungen genau festgehalten.

Vom Kindergarfen bis zur Universität

Etwa 150 Programme gibt es inzwischen in Amerika, vom Kindergarten (ein Programm) bis zur Universität. Grundsätzlich läßt sich alles programmieren, heißt es. Aber zumeist stammen die Programme aus mathematischen oder naturwissenschaftlichen Gebieten. Wenn sie. sich „pqetry“ nennen, meinen sie Verslehre, wehn Sprachlehre dann Grammatik. Wortschatzübungen, Anfärigerkurse.- Aber es gibt auch Lehrgänge für Geschichte, für Bürgerrecht, für Religion. Es scheint, als ob hier nicht mehr vermittelt wird als Arbeitsmethoden und Wissensgerippe. Die aber sicher, schnell, ökonomisch, abfragbar. Eine Aus

nahme macht der aufreizende, füi len Kenner köstliche Tutor-Tex' Iber moderne Lyrik. Aber diese: Buch läßt sich nicht verallgemeinern. Für weniger Geld wire also in kürzerer Zeit mehr gelernt Der Traum des Comenius schein' erfüllbar. Vor allem für die Entwicklungsländer und ihre noch unibersehbare Erziehungsexplosior scheinen sich hier endlich realisier- □are, adäquate Mittel zu finden Schon darf man träumen vom Tel- star-Fernsehprogramm mit direktem, individuellem Kontakt zwischen tausenden einzelnen Schülerr in Afrika und Asien und eine: slektronischen Rechenmaschine ir Amerika, die für jeden einzelner lie nächste Frage auswählt. Sit könnte auch politische Überzeugungen vermitteln

Aber auch in Europa kann dir Maschine sparen helfen. Sparen voi allem mit dem zweitkostbarsten Erziehungsgut: dem Lehrer. Er dar! befreit aufatmen: Viel unwichtiger

Ballast nimmt ihm die Maschine ab. Er wird emanzipiert zu schöpferischer Arbeit. Denn sicherlich vermittelt die Maschine keine Erlebnisse. Für sie ist der Lehrer (oder eine andere Art von Unterricht, Film, Theater) unersetzlich. Das wissen auch die Programmierer. Vielleicht gerade sie. Skinner, ihr erster und immer noch führender Kopf, pointierte: „Ein Lehrer, der durch Programm oder Lehrmaschine voll ersetzt werden kann, sollte so schnell wie möglich davon ersetzt werden.“

Das Problem „Schüler“

Bleibt die Frage, ob nicht das kostbarste Erziehungsgut, der Schüler, geschädigt wird. Wieviel seiner Erziehung darf man der Maschine überlassen, ohne ihn zu entmündigen?

Denken wir noch einmal an Sokrates. Am Ende des Lehrprogramms der Maschine steht ein Wissen; Erfolg ist gleich dem Zuwachs an Kenntnissen; diese Kenntnisse, apodiktisch vorgetragen, werden dem Schüler eingepflanzt. Das Programm wird beschlossen von einem Test, den man nachweislich besteht und der den Erfolg verbürgt, getreu nach der Devise einer der Programmvorlage: Wissen ist Macht.

Am Ende der Unterhaltung mit Sokrates steht die Frage, stehen Erschütterung, Abtragen des (falschen) Wissens, Offenheit des Fragens, Erkenntnis der Unwissenheit, Philosophie, Gewissen.

Sicherlich ist Wissen gut; es darf nur nicht zur Überheblichkeit des Allwißbaren führen.

Dazu kommt, daß der Schüler des Programms ständig von der Maschine gelobt wird, daß jeder seiner kleinsten Schritte von ihr bestätigt wird, von ihr gestützt. Nun soll ja Lernen auf das Leben vorbereiten: Leben aber kennt kaum diese ständige Vergewisserung von außen. Wo soll der Schüler lernen, aus sich selbst sich zu behaupten? Wo bekommt er die Widerstandskraft, entgegen einer herrschenden Meinung zu handeln und zu wissen? Es könnte sein, daß die Maschine zu einer unguten Verstärkung und Vergröberung der menschlichen Anpassungsbestrebungen führt und ihn korrumpiert. Hier muß man scharf beobachten.

Gut, daß in Berlin der erste europäische Kongreß dieser Art stattfand. Berlin ist in der glücklichen Lage, keinen Lehrermangel zu haben und in absehbarer Zeit nicht mit ihm rechnen zu müssen. Ohne den unechten Druck einer Notlage kann man hier Gewinn und Verlust dieser neuen Art des Unterrichts ausbauen und ausprobieren. Man darf nur hoffen, daß der Kongreß nicht nur spektakuläre Attraktion (Berlin als kulturelles Zentrum) für die Öffentlichkeit war, sondern daß ernsthafte Arbeit an neuen Formen im Klassenzimmer erfolgt, daß man produktiv wird.

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