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Walter Kempowski blickt von den USA aus ins Deutschland des Jahres 1989.

Ein deutscher Schriftsteller auf seiner letzten Lesereise. Alexander Sowtschik, Hauptfigur in Walter Kempowskis neuestem Roman "Letzte Grüße", macht es sich dabei auf seiner USA-Tournee nicht leicht. Geehrt, aber auch ein klein wenig verängstigt, überlässt er sich einer vom Auswärtigen Amt und Kulturinstituten organisierten Schriftsteller-Tournee, die ihn quer durch Amerika treibt. Was sich da auf gut 400 Seiten entrollt, lässt sich nicht nur als gut beobachtetes Länderporträt lesen, "Letzte Grüße" ist viel mehr noch ein zeitlich klug gesetztes Panoptikum einer allgemeinen Intellektuellen-Befindlichkeit, die damals, im letzten Sommer vor der Neuordnung Europas, ihren Höhepunkt erfuhr.

Es ist der Sommer 1989, noch existieren BRD und DDR, der weithin akzeptierte Ostblock zeigt zwar Risse, erste Familien setzen sich Richtung Ungarn in Bewegung, dennoch scheint alles beim Alten zu bleiben: Zumindest aus der Sicht der bohemienhaft wirkenden Kulturvermittler und -behörden, fernab vom Alltagsgeschehen in der Heimat. Sowtschik, ein störrischer, ja als "Konservativer" verschrieener Autor, lernt diese Haltung bis zur letzten Nuance auf seiner 50-Städte-Tournee kennen: Da gibt es das kultivierte, wie bequem eingerichtete Nörgeln über die kapitalistische Bundesrepublik ebenso, wie die bei Cocktails und Empfängen geäußerte Wertschätzung gegenüber dem vermeintlichen Literatur-Staat DDR. In unzähligen Porträts lässt Kempowski diesen Exportartikel des Zulässigen aufscheinen: Etwa in der Studentin in New York, die via USA-Stipendiat über ihr Heimatland in absehbar-kritischer Art Auskunft gibt, oder durch den College-Lehrer, der Sowtschik lautstark nach dessen - nicht existierender - Nazi-Vergangenheit vor seinen lümmelnden Studenten befragt, nicht zu vergessen auch der selbstverliebte Kulturamtsleiter in New York, der zwar kein einziges Werk von Sowtschik gelesen hat, diesem aber dafür umso mehr sein eigenes Manuskript namens "Gleitflug" ans Herz legen möchte. Dazu kommt noch - gleichsam dem Hase-Igel-Märchen entnommen - der jüngere Autorenkollege Adolf Schätzing, ebenfalls auf US-Städte-Tournee unterwegs, der mittels seiner "kritischen" Lyrik-Auftritte auf der Woge des Applaus dahinsegelt, während der grantelnde Sowtschik in der Dürre schlecht organisierter Lesungen sein Auskommen finden muss.

"Letzte Grüße" das ist nicht nur ein flüssig zu lesender Reiseroman, sondern auch ein literarisch gelungenes Lebewohl auf ein Deutschland-Bild, dessen zeilenfüllendes Selbstläufertum teilweise bis heute das Feuilleton füllt. Gleichsam daneben porträtiert Kempowski mit Sowtschik eine Schriftsteller-Figur, deren störrisches Insistieren auf das Erzählen anstelle des Kommentierens durchwegs Sympathie ernten kann. Die durch Alter und Lebenswerk miteinhergehenden Eitelkeiten nimmt man dabei gerne in Kauf. Vor allem angesichts Sowtschiks abrupten Lebensendes in einem Hotelzimmer, kurz vor seiner Rückkehr in sein unbequemes, weil facettenreiches Deutschland.

Letzte Grüsse

Roman von Walter Kempowski

Knaus Verlag, München 2003

432 Seiten, geb., e 23,60

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